Mehrwert durch systematische Aktienselektion
Der Anspruch eines Investmentmanagers muss es sein, durch das aktive Management von Kapitalanlagen einen Mehrwert für den Kunden zu erzielen. Nur das rechtfertigt überhaupt seine Existenz. Die große Mehrheit der aktiven Aktienansätze schafft es allerdings mittelfristig nicht, nach Kosten bessere Ergebnisse zu erzielen als der jeweilige Markt.Ein Armutszeugnis für die Finanzbranche, das Fragen aufwirft: Ist jeder aktive Ansatz unausweichlich zum Scheitern verurteilt? Hat die moderne Portfolio-Theorie am Ende mit ihrem stoischen “Nobody beats the market” vielleicht sogar doch Recht? Sollte man es als Portfoliomanager also gar nicht erst versuchen, aus einem Korb von Aktien die besten herauszupicken? Die Antwort auf diese Fragen ist ein klares Nein! Die Ineffizienzen der internationalen Aktienmärkte bieten eine Vielzahl an Chancen. Allerdings sollte man bei der Auswahl drei Regeln beachten:Ab der fünften Auflage seines Werkes “Die Entstehung der Arten” überschreibt Charles Darwin das Kapitel über die natürliche Selektion mit der seitdem bekannten Formulierung “Survival of the Fittest”. “Fitness” beschreibt hierbei den Grad der Anpassung an die Umwelt. Somit überlebt nicht etwa die Art, die alle Feinde besiegt, sondern vielmehr diejenige, die sich der Umwelt am besten anzupassen versteht. Die evolutionäre Finanzmarktforschung greift genau diese Idee auf. Ihre Bedeutung in der Wissenschaft hat in den vergangenen Jahren zugenommen, die Wurzeln reichen aber bis zu den Anfängen der Österreichischen Schule im neunzehnten Jahrhundert zurück. Vertreter der Evolutionsökonomik untersuchen hierbei die Finanzmärkte auf Analogien zur Biologie.Gewisse Erkenntnisse aus der Evolutionsbiologie scheinen demnach auch auf den Finanzmärkten zu gelten, und dabei in besonderem Maße auf dem Aktienmarkt: Selektionssysteme, die die notwendige Anpassungsfähigkeit an die jeweilige Marktphase nicht aufweisen, scheitern am Wandel der Umwelt. Das ist die entscheidende Aussage. Also lautet die erste Regel: Ein erfolgreicher Aktienselektionsansatz muss anpassungsfähig sein. Eine Ursache vieler Fehlentscheidungen ist die Informationswahrnehmung. Am Aktienmarkt besteht stets die Gefahr, dass sich Anleger aus den vorhandenen Informationen nur diejenigen Quellen heranziehen, die bezüglich der eigenen Vorstellungen als wichtig erscheinen. Zu oft halten Investoren trotz klarer Fehlindikation an einmal getroffenen Entscheidungen fest. Negativmeldungen werden relativiert, bevorzugt werden diejenigen Meldungen herangezogen, die den ursprünglich getroffenen Entschluss stützen. Der Marktteilnehmer hält somit zu lange an seiner Entscheidung fest, da er durch das Eingestehen einer Fehlentscheidung Schwäche zeigen würde.Es ist zu beobachten, dass Investoren sich oftmals sehr schwertun, Verluste zu realisieren. Die nicht realisierten Verluste werden als Kosten der Entscheidung angesehen, wobei das Zurücknehmen der Entscheidung einer sinnlosen Ausgabe gleichkommt (Problemfeld “Dispositionseffekt). Selbst professionelle Marktteilnehmer neigen dazu, Anlageentscheidungen aus dem Bauch heraus zu treffen, und tappen dabei immer wieder in die bekannten – von der Verhaltensökonomik inzwischen umfassend erforschten – Rationalitätsfallen. Dies ist einer der Hauptgründe, warum sie so oft nicht zufriedenstellende Ergebnisse erzielen. Regelgebundene DisziplinSo sehr man sich bei “weichen” Themen wie der Mitarbeiterauswahl oder der Pflege der Unternehmenskultur auch auf Bauch- und Fingerspitzengefühl verlassen sollte, so kompromisslos sollte man bei der Auswahl unter Anlagealternativen auf systematische Selektionsprozesse setzen. Regelgebundene Disziplin sollte dabei jeweils im Mittelpunkt stehen. Anlageentscheidungen müssen frei von Emotionen und Bankinteressen sein. Kurz gesagt gilt Regel Nr. 2: Eine erfolgreiche Aktienauswahl muss systematisch erfolgen.Bleibt die Frage, wie die Aktienauswahl denn nun konkret vorgenommen werden sollte. Die Möglichkeiten sind vielfältig: Sowohl die fundamentale als auch die technische Aktienanalyse umfassen heutzutage eine nahezu unübersehbare Palette unterschiedlicher, in der Regel aus der Praxis für die Praxis entwickelter Verfahren, wobei mittlerweile nahezu jeder professionell arbeitende Analyst oder Fondsmanager zusätzlich über selbstentwickelte bzw. weiterentwickelte Varianten verfügt. Beide Ansätze haben ihre Vor- und Nachteile. Beide Richtungen umfassen eine Vielzahl einzelner Faktoren. Die Fachwelt ist geteilter Meinung, wie der richtige Mix der beiden Stile bzw. die Berücksichtigung der einzelnen Faktoren aussehen sollte.Eines aber hat die Vergangenheit gezeigt: Ansätze, die nur auf ein einziges Kriterium abzielen, können nicht nachhaltig erfolgreich sein. Als Beispiel sei hier die in regelmäßigen Abständen immer wieder lautstark propagierte Dividendenstrategie zu nennen. In manchen Zeiten war es sehr erfolgreich, sich auf die dividendenstärksten Titel innerhalb eines Index zu konzentrieren, in anderen Zeiten erlebte man aber eine böse Überraschung (wie im Jahr 2008). Mittelfristig erfordern die komplexen Aktienmarktbedingungen eben eine multidimensionale Antwort. Das führt uns zu Regel Nr. 3: Ein erfolgreiches Aktienselektionssystem muss sich auf mehr als nur auf ein einzelnes Auswahlkriterium beziehen.Diese drei Regeln sollten den Rahmen grob vorgeben. Zu allererst gilt es, nicht in die menschlichen Rationalitätsfallen zu tappen. Dieses Ziel ist durch den Rückgriff auf ein systematisches Aktienselektionsmodell zu erreichen, das zudem mehrere Betrachtungsdimensionen berücksichtigen sollte. Somit wären die Regeln Nr. 2 und 3 erfüllt.Diese Systematik muss nun außerdem in der Lage sein, sich den Veränderungen des Marktes anpassen zu können. Wer die Vorteile der fundamentalen und technischen Ansätze nutzen will, muss dafür sorgen, dass zur gegebenen Zeit die jeweils passende Analyseart die Hauptrolle spielt.Um die Anpassungsfähigkeit eines Ansatzes zu gewährleisten (und damit die Regel Nr. 1 zu erfüllen), müssen sowohl die Kategorie “Fundamentalanalyse” als auch die Kategorie “Markttechnik” mit einer Art Knockout-Charakter ausgestattet sein: Nur bei einem derartig konzipierten Aktienselektionsansatz können die fundamentale und die technische Aktienanalyse eine symbiotische Beziehung eingehen; je nach Marktlage kann dann entweder die fundamentale oder die technische Modellseite dominieren. Damit wäre die Voraussetzung für eine Mehrrendite in unterschiedlichsten Börsenphasen gegeben. Und diese muss doch schließlich das Ziel eines jeden Investmentmanagers sein.