RECHT UND KAPITALMARKT

Nach der Regulierung ist vor der Regulierung

Teamviewer und die ersten Erfahrungen mit der neuen Prospektverordnung - Risikoaverses Vorgehen nimmt zu

Nach der Regulierung ist vor der Regulierung

Von Stephan Hutter und Katja Kaulamo *)Der Börsengang von Teamviewer ist der erste eines deutschen Unternehmens nach Inkrafttreten der seit dem 21. Juli 2019 in der EU geltenden neuen Prospektverordnung (ProspektVO). Deren Ziel ist es, auf dem Weg zur Schaffung einer Europäischen Kapitalmarktunion regulatorische Hindernisse für Emittenten weiter abzubauen, Kosten für Emissionen zu senken sowie Wertpapierprospekte und insbesondere Prospektzusammenfassungen einfacher und kompakter zu gestalten, um deren Lesbarkeit und Verständlichkeit zu verbessern.Zunächst ist als positive Errungenschaft der neuen ProspektVO festzuhalten, dass künftig bei einem Börsengang eines deutschen Unternehmens in Deutschland das Erstellen eines Prospekts in deutscher Sprache nicht mehr erforderlich ist – und zwar auch ohne das Erfordernis eines zusätzlichen öffentlichen Angebots in einem anderen EU-Land (vormals zumeist in Luxemburg oder Österreich). Über die Sinnhaftigkeit der nach wie vor erforderlichen Übersetzung der nunmehr ohnehin stark gekürzten Zusammenfassung des Prospekts in die deutsche Sprache wird allerdings auch in Zukunft weiter zu diskutieren sein. Strengere VorgabenDie Neuregelung enthält insbesondere für die Prospektzusammenfassung sowie für die Darstellung der Risiken strengere Vorgaben, die jeweils das Ziel verfolgen, die Darstellung zu verkürzen und auf die wesentlichen Informationen zu fokussieren. Der Anleger soll in die Lage versetzt werden, den Inhalt des Prospekts und insbesondere die relevanten Risiken schneller und in komprimierterer Form zu erfassen.Die deutlich strengeren formalen Anforderungen führen zu einer erhöhten Standardisierung der Zusammenfassung, und die Spielräume für individuelle Anpassungen an die Bedürfnisse des jeweiligen Emittenten sind sehr gering. Die Zusammenfassung muss nach der Neuregelung nunmehr grundsätzlich auf maximal sieben A4-Seiten alle wichtigsten Informationen für den Anleger abbilden. Eine solche absolute Begrenzung des Umfangs stellt in der Praxis eine gewisse Herausforderung dar, auch wenn diese strenge Vorgabe einen gewissen disziplinären Effekt hat und damit den Fokus auf das Wesentliche schärft. Wenig RaumWie aus dem Teamviewer-IPO-Prospekt ersichtlich, bieten die sieben erlaubten Seiten im Wesentlichen nur noch Raum für die formal und technisch vorgeschriebenen Mindestinformationen. Auch nach Optimierung aller Optionen in Bezug auf Formatierung und Schriftgröße bleibt wenig Raum für die Beschreibung der spezifischen Chancen und Risiken des Geschäfts des Emittenten – und auch kaum Platz für detaillierte Tabellen mit mehr als den allerwichtigsten Finanzkennzahlen. Der Anleger ist somit künftig mehr denn je auf die Lektüre des gesamten Prospekts verwiesen, wenn er sich ein vollständigeres Bild über die Geschäftsgrundlage seiner Investitionsentscheidung machen will.Auch die Darstellung der Risikofaktoren soll künftig schlanker ausfallen, wobei die Beschreibung sich auf die für den jeweiligen Emittenten und die Transaktion wesentlichen und spezifischen Risiken zu fokussieren hat. Dieses Bestreben steht im Einklang mit der langjährigen diesbezüglichen Praxis mit Wertpapierprospekten im US-amerikanischen Kapitalmarkt, die Risikofaktoren kürzer und deutlich maßgeschneiderter auf die jeweiligen Emittenten zu präsentieren. Zu diesem Zweck hat die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) detaillierte Richtlinien für die Erstellung von Risikofaktoren veröffentlicht mit dem Ziel, den verschiedenen europäischen Aufsichtsbehörden einheitliche Auslegungsparameter an die Hand zu geben.Nicht nur soll der Abschnitt “Risikofaktoren” verschlankt und übersichtlicher nach definierten Kategorien gegliedert werden, es muss bei jedem Risikofaktor auch der konkrete Bezug zum Emittenten, zu dessen Geschäft und zum betroffenen Wertpapier hergestellt und auch die konkrete Wesentlichkeit thematisiert und gegebenenfalls quantifiziert werden. Sogenannte “Boilerplate”-Risikofaktoren, in denen allgemeine Markt- und Lebensrisiken beschrieben werden, die für jedes Unternehmen gelten könnten, sind ebenso zu vermeiden wie Beschreibungen von nicht wesentlichen Risiken.Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hatte noch vor Inkrafttreten der neuen ProspektVO verlautbart, dass sie den ESMA-Leitlinien für die Erstellung von Risikofaktoren vollumfänglich folgen wird, und hat dies im Rahmen des Prospektprüfungsverfahrens für den Teamviewer Börsengang in die Praxis umgesetzt. Dabei zeigt ein Blick auf den im Teamviewer-Prospekt enthaltenen 29 Seiten langen Abschnitt für die Risikofaktoren, dass sich dieser auf den ersten Blick – insbesondere betreffend Struktur und Gesamtumfang – gar nicht wesentlich von Prospekten unterscheidet, die vor Inkrafttreten der Neuregelung veröffentlicht wurden. Das ist nicht weiter verwunderlich. Internationale OrientierungDenn insbesondere bei großen Börsengängen deutscher Unternehmen, die auch eine internationale Platzierung beinhalten, war es seit jeher gängige Praxis, dass die von Investorenseite – in Anlehnung an internationale, insbesondere US-amerikanische Marktpraxis – gestellten Anforderungen an Klarheit, Substanz, Wesentlichkeit und Struktur von Wertpapierprospekten (inklusive des Abschnitts Risikofaktoren) eingehalten werden.Während die ProspektVO nunmehr ein klares und modernisiertes Regelungsgefüge für Wertpapierprospekte vorgibt, bleibt allerdings ein sehr großes Betätigungsfeld zur Risikominimierung eines Börsengangs, in dem heutzutage der Inhalt der Wertpapierprospekte über weite Strecken vordefiniert oder gar ausformuliert wird, weitgehend unreguliert. Konkret handelt es sich dabei um die Early-Look-, Pilot-Fishing- und Analysten-Präsentationen, die bei großen Kapitalmarkttransaktionen nicht selten einen Umfang von 200 Seiten oder mehr umfassen und sozusagen als ,Frühwarnsystem für einen erfolgreichen Börsengang dienen. Da diese Dokumente in der Form von Powerpoint Präsentationen in der Praxis teilweise mehrere Monate nicht nur vor Billigung, sondern bereits vor Erstellung des Wertpapierprospekts gegenüber (zumeist ausgewählten) institutionellen Investoren verwendet werden, um zu einem möglichst frühen – noch informellen – Zeitpunkt eine Validierung des Geschäftsmodells des künftigen Emittenten zu erreichen, haben sie in der Praxis eine sehr große Bedeutung erlangt.Zwar behelfen sich kundige Emittenten, Banker, Anwälte und Wirtschaftsprüfer dahingehend, dass die Präsentationsunterlagen mit allen einschlägigen Warnhinweisen versehen werden mit dem Ziel, dass Investitionsentscheidungen letztlich nur auf Basis des von der BaFin gebilligten Prospekts getroffen werden dürfen. Allerdings führt die normative Kraft des Faktischen dazu, dass diese aus rechtlicher Sicht “Sekundärdokumente” eine wesentliche Rolle für Vermarktung und Meinungsbildung der Investoren spielen. Es wird sich zeigen, ob sich aus dieser Praxis, die letztlich einer stets weiter ansteigenden risikoaversen Vorgehensweise seitens Emittenten und Banken geschuldet ist, nicht weiterer Regelungsbedarf ergeben wird. Weiterer BedarfDas Bestreben des europäischen Gesetzgebers, das europäische Regelwerk für internationale Kapitalmarkttransaktionen laufend zu aktualisieren, zu modernisieren und auch mit anderen internationalen – insbesondere den US-amerikanischen – Regelwerken abzugleichen ist sehr zu begrüßen. Allerdings entwickelt sich die internationale Kapitalmarktpraxis stetig weiter, und wie am Beispiel des genannten Trends zu weitestmöglicher Risikominimierung geschildert ist davon auszugehen, dass es auch künftig weiteren Regelungsbedarf in Bezug auf die einschlägige – in der Praxis tatsächlich genutzte – Kapitalmarktdokumentation geben wird. *) Dr. Stephan Hutter und Dr. Katja Kaulamo sind Partner von Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom.