Nish Popat

Der Bail-out für Evergrande fällt aus

Wer auf einen Bail-out des überschuldeten chinesischen Immobilienriesen Evergrande setzt, dürfte enttäuscht werden, meint Nish Popat, Experte für Schwellenländeranleihen bei Neuberger Berman.

Der Bail-out für Evergrande fällt aus

Von Norbert Hellmann,

Schanghai

Die Existenznöte des massiv überschuldeten chinesischen Immobilienriesen Evergrande sind zu einem beherrschenden Marktthema geworden. Offenbar habe das Unternehmen eine am Montag fällige Zinszahlung nicht leisten können, hieß es in Marktkreisen. In den vergangenen Tagen hatte das Unternehmen die Frist für mehrere millionenschwere Zinszahlungen auf Dollar-Anleihen kommentarlos verstreichen lassen. In den kommenden Wochen werden bei ähnlichen Bonds weitere 162 Mill. Dollar fällig.

Am Montag sind zudem Aktien von Evergrande und ihrer Hausverwaltung Property Services an der Börse in Hongkong ausgesetzt worden. Dem chinesischen Online-Nachrichtendienst Cailian zufolge will der chinesische Konkurrent und Immobilienkonzern Hopson mit 51% eine Mehrheit an dem Hausverwaltungs-Arm übernehmen, dessen Gesamtwert mit mehr als 40 Mrd. HK-Dollar (umgerechnet 4,4 Mrd. Euro) angegeben wurde. Der Cailian-Dienst gehört zur staatlichen chinesischen Zeitung „Securities Times“. Die Aktien von Hopson waren am Montag ebenfalls ausgesetzt.

Chinas  Finanzwächter steht vor einer Zerreißprobe bei der Frage, ob der private, mit 300 Mrd. Dollar verschuldete Bauträger mit Staatsgeldern aufgefangen werden muss, um Ansteckungsgefahren im Immobilien- und Finanzmarkt zu vermeiden und einer destabilisierenden Vertrauenskrise zu entgehen. Für  Investoren im chinesischen Corporate-Bond-Markt ist Evergrande eine große Nummer. Chinas zweitgrößter Immobilienentwickler zählt zu den wichtigsten Emittenten von Hochzinsanleihen im asiatischen Raum und nimmt in Schwellenländer-Bondindizes entsprechend ein hohes Gewicht ein.

Wie Nish Popat, Experte für Schwellenländeranleihen, beim US-Fondsmanager Neuberger Berman, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung erklärt, war es nie ein Geheimnis, dass Evergrande als Einzelrisiko mit einem auffallend hohen Leverage unterwegs ist. Gleichzeitig aber überzeugte die Gesellschaft mit hoher Wachstums- und Ertragsdynamik in einem bis dato äußerst stabilen Wohnimmobilienmarkt mit praktisch programmierten Preisanstiegen.

Paradigmenwechsel

Im Sommer 2020 begann die chinesische Regierung im Rahmen einer Verschuldungs- und Preisdämpfungskampagne die Zügel am Immobilienmarkt anzuziehen, was zu einer sukzessiven Verknappung der Liquiditätsbedingungen im Immobiliensektor führte. Das ist für Popat der entscheidende Auslöser der Evergrande-Problematik. Hinzu kam die Einführung der berüchtigten drei „roten Linien“, mit denen Chinas Finanzregulatoren die Immobilienentwickler vor Auflagen zur Rückführung ihrer Nettoverschuldungsquote, Erhöhung der Cash-Abdeckung von kurzfristigen Verbindlichkeiten und allgemeiner Bilanzgesundung stellt (siehe Grafik). „Der Paradigmenwechsel der chinesischen Regierung hat bei einer Gesellschaft mit extrem hohem Leverage zu einer dramatischen Erhöhung der Anfälligkeit gegenüber Liquiditätsrisiken geführt“, betont Popat.

Bei Neuberger Berman kam man zur Einschätzung, dass Evergrande unter den veränderten Immobiliensektor-Bedingungen einem existenzgefährdenden Liquiditätsstress unterliegt. Während man im Ausland am Gedanken festhielt, dass Evergrande bei einem Schuldenberg von über 300 Mrd. Dollar als „too big to fail“ zu gelten habe, wuchs unter chinesischen Marktteilnehmern die Skepsis, dass der Staat zu einer groß angelegten Auffangaktion (Bail-out) des Immobilienriesen bereit sein würde. Man habe Hinweise aus dem Schanghai-Büro von Neuberger Berman zur veränderten Dynamik der Einschätzung des „Credit Risk“ zum Anlass genommen, die Evergrande-Positionen rechtzeitig zu liquidieren, erklärt Popat.

Der Portfolioverwalter verweist aber darauf, dass das Bondklima nicht vergiftet ist. Bei genereller Ausweitung der Credit Spreads (Risikoaufschläge) auf chinesische Hochzinsanleihen habe sich die Risikoeinschätzung bezüglich anderer Immobilienentwickler mit gemäßigterem Leverage nicht dramatisch verschlechtert. Während Evergrande-Bonds, die Ende Mai noch bei etwa 80 Cent zum Dollar notierten und mittlerweile auf 20 bis 25 Cent abgestürzt sind, halten sich die Dollarbonds anderer chinesischer Immobilienfirmen weitgehend über 80 Cent zum Dollar.

Aktionsplan in Sicht

Dahinter steht die Sichtweise, dass die Regierung zwar nicht zum kategorischen Bail-out von Evergrande bereit ist, aber auf ein kontrolliertes Umschuldungsverfahren hinarbeitet, das breitere Ansteckungsgefahren im Immobilien- und Bankensektor verhindert, so Popat. „Die Regierung wird dafür sorgen, dass Evergrandes Bauprojekte mit über 1,4 Millionen vorverkauften Wohnungseinheiten von den übrigen Konzernaktivitäten separiert und weitergeführt werden können. Sie wird aber sicherlich nicht für den Schuldendienst von Evergrande aufkommen.“ Dies würde den Disziplinierungs­effekt für andere Sektorfirmen verwässern, die im Rahmen der roten Linien aufgefordert sind, ihre Bilanzen in Ordnung zu bringen.  „Gegenwärtig sieht man das Vertrauen in einen stabilen Immobilienmarkt angegriffen, so dass auch andere Bauträger im Warten auf eine Lösung bei Evergrande ihre Aktivitäten zurückfahren“, so Popat. Dies lasse erwarten, dass Peking in den nächsten Wochen mit einem Aktionsplan nach außen trete, um das Marktvertrauen zu stärken, ohne freilich Evergrande kategorisch aufzufangen.

Die Dollarbonds von Evergrande dürften sich überwiegend in Händen von ausländischen Anlegern befinden, zumal sie in einschlägigen Benchmarks, denen Emerging-Markets-Investoren folgen, ein hohes Indexgewicht einnehmen, vermutet Popat. Auch dieser Investorengruppe gegenüber wolle Peking ein Zeichen setzen. „Es geht darum zu verhindern, dass Fixed-Income-Investoren automatisch von einem staatlichen „Backstop“ ausgehen, der ihre Ausfallrisiken begrenzt, weil sie Evergrande als „too big to fail“ ansehen“. Die Regierung sende nun ein Signal, dass es diesen Backstop bei einer privaten Gesellschaft nicht gebe.

Ein geordnetes Scheitern von Evergrande ist für Popat die „stärkstmögliche Warnung“ an andere Immobilienentwickler, dass sie „ihr Haus in Ordnung bringen müssen“. „Das Scheitern einer Gesellschaft mit extrem hohem Leverage führt zwar kurzfristig zu heftigen Anpassungsschmerzen am Immobilienmarkt, doch soll dies der langfristigen Stabilität des Sektors dienen“, sagt Popat. Nur so könne man verhindern, dass Immobilienkonzerne und Bondinvestoren aus verzerrten Anreizen heraus immer größere Verschuldungs- und Anlagerisiken eingehen.

Transparenzgewinn

Der chinesische Kapitalmarkt öffnet sich mehr und mehr gegenüber ausländischen Investoren, brauche dabei aber auch Spielregeln, die die Transparenz erhöhen. Gleichzeitig müssten die Bondinvestoren die Tragfähigkeit von Privatfirmen mit hohem Leverage ohne implizite Annahme von Auffanglösungen bewerten.  Der Verzicht auf einen anreizverzerrenden Bail-out gehöre damit zu den notwendigen Schritten einer Regierung, die mehr ausländisches Kapital anlocken und an ihrer Kapitalmarktöffnungsagenda festhalten wolle. Entsprechend erwartet Popat auch nicht, dass eine etwaige Evergrande-Pleite zum Auslöser für einen breiten Rückzug ausländischer Investoren aus China wird. „Der Fall Evergrande dürfte zumindest langfristig dazu beitragen, den Markt transparenter zu machen und das Investorenvertrauen in China-Investments zu stärken.“  

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.