Tokenisierung

Große Chance für die Banken

Die Tokenisierung von bislang illiquiden, nicht-bankfähigen Vermögenswerten (Non-Bankable Assets, NBA) kann Banken neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen, zum Beispiel im Wealth Management.

Große Chance für die Banken

Der Tokenisierung von Vermögenswerten könnte die Finanzindustrie grundlegend verändern. Die Disruption wird aber nicht gleichmäßig und flächendeckend sein, sondern unterschiedliche Teile der Industrie in unterschiedlichem Ausmaß betreffen. Die Finanzbranche hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass und wie die Tokenisierung klassischer Wertpapiergattungen funktionieren kann – zum Beispiel bei Schuldscheinen, Anleihen oder auch Aktien. Ein Vorteil der Tokenisierung ist, dass viele Teile der Wertschöpfungskette von der Emission bis zur Abwicklung und Verwahrung eines Wertpapiers papierlos und automatisiert durchgeführt werden können. Das spart Zeit und kann Teile der Wertschöpfungskette überflüssig machen.

Regulatorik behindert

Aus regulatorischen Gründen ist ein breiter Einsatz tokenisierter Vermögenswerte noch nicht ohne weiteres möglich. Vor allem bei Aktien wurden bislang nur Vorstufen getestet wurden, die aber einer echten Tokenisierung einer Aktie nicht gleichkommen. Dazu zählen Security Token Offerings (STO) oder Initial Coin Offerings (ICO), bei denen teilweise Kinderkrankheiten auftraten.

Die Beseitigung regulatorischer Unklarheiten und Hürden ist jedoch nur eine Frage der Zeit. Das zeigt sich an institutionellen Spezialfonds, die inzwischen bis zu einem Fünftel ihres Vermögens in Krypo-Assets – also theoretisch auch tokenisierte Wertpapiere – investieren dürfen. Einzelne Anbieter wie die Deka nutzen diesen Spielraum schon. Interessant ist auch die regulatorische Grundlage, die sich aus dem „Token Act“ in Liechtenstein und die Möglichkeit des Prospekt-Passportings in die EU für Krypto-Wertpapiere ergibt.

Sobald die regulatorischen Un­klarheiten vollständig beseitigt sind und die Regelungen von den Marktteilnehmern adaptiert werden, wird sich die Tokenisierung in der Breite durchsetzen. Darauf werden vor allem die Wertpapier-Emittenten drängen, um in den Genuss der Effizienz- und Kostenvorteile zu kommen. Es ist damit zu rechnen, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre jedes wichtige Wertpapier tokenisiert wird.

In der Folge wird es auch zu Um­brüchen in der Finanzindustrie kommen. Insbesondere die Intermediärsfunktion von Banken wird an Bedeutung verlieren, weil sie bei einigen Transaktionen perspektivisch komplett entfallen kann. Dies wird auch eine Neubepreisung der Leistungen, zum Beispiel im Emissionsgeschäft mit Aktien und Anleihen, nach sich ziehen. Demgegenüber wird die Rolle von Investmentbanken und spezialisierten Beratungshäusern sogar potenziell aufgewertet, weil die Emittenten von Wertpapieren in der Transformation ihrer Finanzfunktion und vor allem ihrer Investor-Relations-Arbeit umfassende Unterstützung in Anspruch nehmen werden. Banken und Berater tun gut daran, sich frühzeitig für dieses Geschäft in Stellung zu bringen.

Maßgebliche Verschiebungen sind auch bei Handelsplattformen sowie im Abwicklungs- und Verwahrgeschäft zu erwarten. In einer guten Ausgangsposition sind hier die Innovationsführer, die für tokenisierte Ver­mögenswerte schon entsprechendes Wissen und Infrastrukturen aufgebaut haben. Häuser, die im klassischen Wertpapiergeschäft über Größe und damit über Skalenvorteile verfügen, werden also nicht zwingend zu den Gewinnern der Token Economy gehören, weil mit der Verbreitung einer neuen Technologie die Karten neu gemischt werden. Zugleich verfügen die Platzhirsche über ausreichend Mittel, um sich notwendige Technologien oder Infrastrukturen per Akquisition anzueignen. Technologiebedingte Disruption kann also auch Konsolidierung nach sich ziehen.

Die Veränderungen werden sich indes nicht auf das klassische Wertpapiergeschäft beschränken. Vielmehr entsteht zusätzlich ein gänzlich neues Feld: die Tokenisierung von bislang illiquiden, nicht-bankfähigen Vermögenswerten (Non-Bankable Assets, NBA). Sie funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie die Tokenisierung der klassischen Wertpapiere und hat Ähnlichkeiten mit Verbriefungen: Eigentumsrechte an eigentlich illiquiden Vermögenswerten werden in kleine Teile zerlegt und dann in Form von Tokens handelbar gemacht. Typische Anwendungsfälle sind wertvolle Kunstobjekte und Oldtimer, Uhren, Wein, Immobilien oder nicht-börsennotierte Unternehmensbeteiligungen wie Private Equity-Fonds oder Direktinvestments.

Durch die Unterteilung in überschaubare Losgrößen werden diese Vermögenswerte erstmals auch für weniger vermögende Anleger und teils sogar Kleinanleger investierbar. Wenn sich am Markt entsprechende Produkt- und Handelslösungen herausbilden, ist auf diese Weise eine weitreichende Demokratisierung von vormals exklusiven Vermögenswerten vorstellbar. 

Umgekehrt kann der ursprüngliche Eigner des jeweiligen Vermögenswerts mithilfe der Tokenisierung auf relativ einfache Weise Besitztümer in Teilen oder vollständig veräußern – oder je nach Konstruktion auch als Sicherheit bei der Bank hinterlegen und so zusätzliche Liquidität für andere Investitionen aufnehmen. Perspektivisch sind so­gar noch weiter reichende Anwendungsfälle denkbar, zum Beispiel die Tokenisierung von Betriebsvermögen wie Maschinen zum Zwecke des Working Capital Management oder auch die Tokenisierung der Eigentumsrechte an ganzen Firmen im Zuge von Nachfolgelösungen oder eines Firmenverkaufs. Diese Beispiele zeigen, dass sich aus der Tokenisierung von NBA völlig neue Geschäftschancen für die Finanzindustrie ergeben – im Investmentbanking und der M&A-Beratung ebenso wie im klassischen Corporate Banking, im Wealth Management und sogar im Retail Banking.

Vor der Nutzung dieser Opportunitäten stehen noch einige Hürden, zuvorderst die regulatorischen und steuerlichen Unwägbarkeiten. Auch die technische Kompatibilität der IT-Sys­teme für die klassische Wertpa­pierwelt einerseits und die Token-Welt andererseits ist aktuell kaum gegeben – ist aber unerlässlich, damit zum Beispiel ein Assetmanager ein Portfolio aus tokenisierten und klassischen Vermögenswerten integriert steuern kann. Gleiches gilt für die Handelssysteme der Banken.

Entscheidend für die Erschließung der neuen Geschäftsmöglichkeiten wird auch der Aufbau von Handelsplattformen mit ausreichend hoher Liquidität für tokenisierte NBA sein. Denn nur dann wird es möglich sein, für eine marktbasierte Preisbildung zu sorgen, die die bei vielen NBA sonst notwendigen Sachverständigengutachten ergänzen oder ersetzen kann. Nicht umsonst haben etwa die beiden führenden deutschen Börsen das Potenzial der neuartigen Handelsplätze erkannt und bieten bereits Plattformen an oder arbeiten daran – wie die Deutsche Börse beispielsweise mit dem Projekt 360x.

Die Banken zögern noch. Dabei haben sie jetzt die Chance, noch zu den Pionieren der Erschließung von NBA zu gehören. Bislang haben sich hier, abgesehen von den Börsen, vor allem Fintech-Unternehmen hervorgetan. Dies ist umso erstaunlicher, als es um ein Geschäft mit schier endlosen, neuen Möglichkeiten im Banking geht – vor allem im Wealth Management, das ohnehin seit Jahren unter Margendruck steht und neue Impulse dringend braucht. Der zu verteilende Kuchen ist groß: Vom weltweiten Privatvermögen sind laut Schätzungen rund ein Drittel den NBA zuzurechnen. Parallel zur Transformation des klassischen Wertpapiergeschäfts müssen die Banken daher bereits jetzt an der Tokenisierung von NBA arbeiten.