IM BLICKFELD

Kein Schulterschluss in der Finanzbranche

Von Anna Sleegers, Frankfurt Börsen-Zeitung, 27.8.2020 "Die erste Bank, die Du lieben wirst" ist keineswegs die erste, die Betriebsräte hasst. Die Posse um den Versuch des Berliner Fintech-Unternehmens N26, die Betriebsratsgründung zu unterbinden,...

Kein Schulterschluss in der Finanzbranche

Von Anna Sleegers, Frankfurt”Die erste Bank, die Du lieben wirst” ist keineswegs die erste, die Betriebsräte hasst. Die Posse um den Versuch des Berliner Fintech-Unternehmens N26, die Betriebsratsgründung zu unterbinden, ist exemplarisch für das teils tiefe Misstrauen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerlager in der Finanzbranche. Banken, Versicherer, Assetmanager und technologiegetriebene Dienstleister beteuern zwar gern, wie unersetzlich Engagement, Kreativität und individuelle Persönlichkeit ihrer Beschäftigten für ihren Erfolg seien. Dass sie von ihrem Recht Gebrauch machen, ihre Interessen zu vertreten, wird dann aber doch eher ungern gesehen.Das war nicht immer so. Gerade die für ihre weißen Kragen bekannte Finanzbranche zeichnete sich traditionell eher durch ein entspanntes Verhältnis zur betrieblichen Mitbestimmung aus. Viele Banken und Versicherer waren lange staatliche Institutionen, ihre Beschäftigten in der Regel privilegierte Angestellte, zum Teil mit Beamtenstatus. Ihren Vertretern lag es fern, sich an den zum Teil wüsten Arbeitskämpfen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zu beteiligen. Sie verstanden sich eher als konstruktiver Ratgeber der Geschäftsführung. Letztere griff gern auf deren Rat und Unterstützung bei der Organisation von Arbeitsprozessen zurück, was angesichts der unglaublichen Mengen an Schriftverkehr, die Banken und Versicherungen in vordigitaler Zeit zu bewältigen hatten, einen wesentlichen Beitrag zum Geschäftserfolg leistete. Konsequenterweise waren es meist leitende Angestellte, die mit der Interessenvertretung der Arbeitnehmerseite betraut wurden, wie die Historiker Werner Milert und Rudolf Tschirbs in ihrer lesenswerten Geschichte der Mitbestimmung bei der Allianz herausgestellt haben.Reste dieser Kultur des Schulterschlusses waren noch Anfang dieses Jahrtausends zu bemerken. Zum Beispiel beim Fototermin anlässlich des ersten Spatenstichs für das Allianz-Gebäude am Theodor-Stern-Kai. Wie selbstverständlich ließ sich Karl Ludwig Freiherr von Freyberg, damaliger Vorstandssprecher der Frankfurter Allianz-Versicherungs-AG, neben dem Betriebsratschef ablichten. Verhinderer und Karrierekiller Mit der fortschreitenden Konzentration in der Finanzbranche wandelte sich das Verhältnis zusehends. Kaum eine Führungskraft, die heute nicht genervt die Augenbrauen hochzöge, wenn die Sprache darauf kommt, dass irgendein Projekt “noch durch die Gremien” gehen müsse. Auch an der Basis hält sich Begeisterung in Grenzen. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft gilt vielen als potenzieller Karrierekiller und gerade jüngere Kollegen, die neue Ideen in den Job einbringen wollen, sehen den Betriebsrat oft als Verhinderer.Daher erstaunt der hohe Grad gewerkschaftlicher Organisation in den Reihen der Commerzbank. Wie zu hören ist, gehört fast jeder dritte Beschäftigte der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi an. Der von einigen Arbeitnehmervertretern offen vorgetragene Widerstand gegen die inzwischen ad acta gelegten Fusionspläne mit der Deutschen Bank bescherte der Gewerkschaft Zulauf. Verfügten Anfang 2018 noch wie branchenüblich weniger als 10 % der Belegschaft über eine Verdi-Mitgliedschaft, zog der Anteil im Laufe des vergangenen Jahres auf über 30 % an, während bundes- und branchenweit der Organisationsgrad seit Mitte der 1990er Jahre kontinuierlich sinkt (siehe Grafik). Dahinter dürfte übrigens vor allem die Tatsache stehen, dass die im Zuge der Wiedervereinigung in die DGB-Organisationen überführten Beschäftigten im Osten der Republik von ihrer neuen Freiheit Gebrauch machten, aus der Gewerkschaft auszutreten.Mit Blick auf das Mitgliederwunder bei der Commerzbank gibt sich Verdi indes zugeknöpft. Zahlen und Angaben über den Organisationsgrad gehörten zum Allerheiligsten einer Gewerkschaft, da diese den Arbeitgebern einen zu tiefen Einblick in Kampfkraft und Ausdauer der Gewerkschaft im Falle von Tarifkonflikten ermöglichen würden, teilt ein Sprecher dazu mit. Tatsächlich deutet etwa das schrittweise Auseinanderbrechen der einstigen Tarifgemeinschaft der Arbeitgeber der privaten, genossenschaftlichen und öffentlichen Banken darauf hin, dass der Respekt vor der Durchsetzungskraft der Gewerkschaften auf der anderen Seite des Verhandlungstischs abnimmt. Der an der Universität Kassel tätige Gewerkschaftsforscher Samuel Greef schätzt den gewerkschaftlichen Organisationsgrad im Finanzsektor auf 17 bis 20 % – je nachdem, ob man sich auf die DGB-Organisationen bezieht oder auch die bei der Deutschen Bank traditionell stark vertretene Kleingewerkschaft DBV hinzunimmt. Der sprunghafte Anstieg bei der Commerzbank wundert ihn nicht. Es gebe zwei Motivationsmuster für den Gewerkschaftsbeitritt: sozialer Druck, weil die Mitgliedschaft im Kollegenkreis erwartet wird, oder ein konkreter Konflikt, der mit Angst vor Jobverlust einhergeht. Bei der Commerzbank wie auch bei N26 dürfte Letzteres den Ausschlag gegeben haben. Deutschlands erstes Einhorn hatte unter dem Druck der Coronakrise jüngst angekündigt, einen Teil der 1 500 – wie auch immer gestalteten – Beschäftigungsverhältnisse zu lösen.