GASTBEITRAG

Mehr Verständnis für Kunden durch Machine Learning

Börsen-Zeitung, 19.9.2020 Vom autonomen Fahren bis zur Filmempfehlung auf Netflix, immer häufiger kommen wir mit Anwendungen von Machine Learning in Berührung. Auch immer mehr Banken interessieren sich für praktische Anwendungsgebiete des...

Mehr Verständnis für Kunden durch Machine Learning

Vom autonomen Fahren bis zur Filmempfehlung auf Netflix, immer häufiger kommen wir mit Anwendungen von Machine Learning in Berührung. Auch immer mehr Banken interessieren sich für praktische Anwendungsgebiete des maschinellen Lernens. Die Segmentierung von Kunden stellt ein vergleichsweises einfach zu realisierendes Anwendungsgebiet dar.Das Ziel jeder Kundensegmentierung ist es, Kunden in Gruppen zusammenzufassen, die in sich möglichst homogen, aber untereinander möglichst heterogen sind. Die klassische Kundensegmentierung deutscher Banken und Sparkassen unterteilt Kunden zur Erreichung dieses Ziels nach wenigen Kriterien – meistens nach Vermögen und Einkommen. Zur Bestimmung der Segmente werden hierfür einfache Analysemethoden wie die ABC-Analyse oder das Lebensphasenmodell verwendet. Mehr KriterienJedoch sind Kundenbedürfnisse ein multidimensionales Phänomen und hängen daher von vielen Faktoren ab. Bestehende Segmentierungsansätze resultieren so in einem hohen Informationsverlust, und Kunden mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen werden in identischen Segmenten zusammengeführt.Durch den Einsatz maschinellen Lernens kann der individuelle Kontext des Kunden besser erfasst werden, da mehr Segmentierungskriterien verwendet und zuvor unbekannte Kundensegmente identifiziert werden können. Insgesamt wird so das Verständnis der Kundenbedürfnisse vertieft und die Kundenansprache sowie Betreuung verbessert.Datenpunkte wie Einkommen oder Vermögen gehörten jahrelang zu den wenigen aussagekräftigen Daten, die Kreditinstitute über ihre Kunden sammeln konnten. Durch die fortschreitende Digitalisierung wird es zunehmend erleichtert, Kundendaten systematisch zu erfassen und neues Wissen über Kunden zu erschließen. Präferenzen der Kanalnutzung, geografische Kriterien wie der Aufenthaltsort oder Kundeninteressen sind nur ein kleiner Ausschnitt der Fülle an Informationen, die über einen Kunden gewonnen werden können. So klingt die Nutzung von Voice Recognition, um die Stimmung eines Kunden zu analysieren, für viele noch nach Science-Fiction, aber sie ist technisch bereits möglich und von manchen Unternehmen bereits im Einsatz.Ein unkontrollierter Datensammlungswahn wird dabei jedoch nicht automatisch zu einer besseren Segmentierung führen: Zum einen sind datenschutzrechtliche Aspekte bei der Datenerhebung zu berücksichtigen, zum anderen ist neben der Datenmenge auch die Datenqualität bei der Erhebung von zentraler Bedeutung. Der goldene Weg für eine erfolgreiche Segmentierung ist die systematische Erhebung von relevanten Datenpunkten in hoher Datenqualität im jeweiligen Kontext der institutsspezifischen Strategie. Unterteilung in ClusterNach der Definition der Segmentierungskriterien und der Erhebung einer ausreichenden Menge an Daten in notwendiger Qualität werden die Segmente bestimmt. Hierfür werden sogenannte Clustering-Algorithmen (“Unsupervised Learning”) verwendet, die Datenmengen anhand ihrer Merkmale automatisiert in eine zuvor definierte Anzahl an Clustern (Segmenten) unterteilen.Die Segmentanzahl wird dabei auf Basis statistischer Auswertungen und strategischer Überlegungen bestimmt. Es empfiehlt sich aufgrund des geringen Mehraufwandes, die Anzahl der Segmente zu variieren, um am Ende die optimale Segmentanzahl aus betriebswirtschaftlicher Perspektive zu bestimmen.Nach der Cluster-Analyse werden die einzelnen Segmente anhand ihrer durchschnittlichen Merkmalsausprägungen interpretiert. In der Praxis hat es sich bewährt, für jedes Segment einen repräsentativen oder typischen Kunden (Persona) zu bestimmen, um die Charakteristika der Kunden des Segments zu verdeutlichen.Die notwendigen tiefgründigen Statistik- und Programmierkenntnisse stellten lange Zeit das größte Hindernis für solche Analysen dar. Mittels Softwarelösungen wie Alteryx, die eine Benutzeroberfläche ähnlich zum Standardprogramm Excel haben, können solche Analysen von Mitarbeitern ohne profunde Programmierkenntnisse durchgeführt werden.Nachdem Mitarbeiter mit den nötigen Statistikkenntnissen identifiziert wurden, kann jede Bank auf Basis bestehender Kundendaten schon heute die beschriebene Segmentierungsmethodik anwenden. Für eine langfristige Anpassung sollten zuerst die zusätzlichen Segmentierungskriterien definiert und die dazugehörigen Datenpunkte erhoben werden. Die beste BeratungKundendaten systematisch und qualitativ hochwertig verfügbar zu haben und diese im Sinne des Kunden sinnvoll auszuwerten, wird auch im Bankgeschäft zunehmend zum zentralen Wettbewerbsfaktor. Das beschriebene Vorgehen stellt einen zentralen Schritt Richtung datengetriebenes Geschäftsmodell dar und bildet damit das Fundament für eine kundenzentrierte Weiterentwicklung hin zum “Contextual Banking”, indem eine Segmentierung in Echtzeit jedem Kunden in seiner jeweiligen individuellen Situation die beste Beratung garantiert. Pascal Kleinmann, Consultant von Berg Lund & Company