Energiewende

Sieben Thesen zur nach­haltigen Transfor­mation

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine beschleunigt die Energiewende mehr als die Angst vor der Klimakatastrophe. Sorgen um nationale Sicherheit sind nun die treibende Kraft.

Sieben Thesen zur nach­haltigen Transfor­mation

These 1: Traurig, aber wahr: Das Risiko, das die Energieversorgung für die nationale Sicherheit darstellt, könnte mehr Menschen für eine nachhaltige Transformation mobilisieren als die drohende Klimakatastrophe. Wir sollten die Chance nutzen, die sich aus diesem Mobilisierungspotenzial er­gibt.

Auch wenn es seltsam erscheinen mag, dass erst eine militärische Invasion nötig war, damit wir endlich handeln und erneuerbare Energien als „Freiheitsenergien“ wahrnehmen, steht eines fest: Fossile Brennstoffe, die lange als zuverlässige und sichere Energiequellen beworben wurden, sind wohl das genaue Gegenteil, da sie unvorhersehbaren Disruptionen ausgesetzt sind. Die drohende Klimakatastrophe hat nicht ausgereicht, doch die Sorgen um die nationale Sicherheit bringen das nötige Mobilisierungspotenzial.  Während bei der Energiewende früher in Zeiträumen von Jahrzehnten geplant wurde, besteht jetzt eine neue Dringlichkeit. Die EU hat einen Plan für einen schnelleren Umstieg vorgelegt, und die Internationale Energieagentur (IEA) hat es ihr gleichgetan.   

Sorgen um die nationale Sicherheit sind jetzt die treibende Kraft, die uns zwingt, die Versorgung der Volkswirtschaft mit Energie neu zu denken. Es ist eine traurige Erkenntnis, dass eine nationale Sicherheitskrise stärker mobilisiert als die Klimakatastrophe. Dennoch müssen wir diese Chance nutzen. 

These 2: Noch nie haben Unternehmen und An­­leger beim Thema nachhaltige Transformation eine solche Dynamik entwickelt. 

Der Rückzug westlicher Unternehmen aus Russland deutet darauf hin, dass die Geschäftswelt nun bereit sein könnte, auf Gewinne zu verzichten, indem sie ihre Tätigkeit in Ländern oder Sektoren beendet oder mindestens aussetzt, die nach ihrer Einschätzung den nötigen Wandel nicht mehr mittragen. 

Nie zuvor hatten Anleger ein so begründetes Interesse daran, sich mit Vertretern des Status quo anzulegen und Regierungen zu drängen, immer drastischere Schritte zu ergreifen und so den Weg in eine nachhaltige Zukunft zu ebnen.  Dies ist die Folge des Krieges, der in Osteuropa tobt. Wenn wir den Wohlstand von Ländern stärker qualitätsorientiert definieren und auch das Wohlergehen von Menschen und Umwelt einbeziehen, können wir zahlreiche Veränderungsprozesse anstoßen, die das Leben der Menschen verbessern.   

These 3: Bei der Transformation gibt es nicht den einen großen Wurf, der den Durchbruch bringt. Der Weg ist lang und steinig.

Wir haben eine zweite Chance erhalten, uns zu überlegen, wie ein widerstandsfähiges und nachhaltiges Energiesystem aussehen könnte. Die nötige Versorgungssicherheit und -verlässlichkeit könnte dabei jedoch durchaus einige überraschende Entwicklungen bringen, etwa eine kurzfristige Erweiterung der Öl- und Gasspeicherkapazitäten.

Erdgasimporte aus Russland werden bis Ende dieses Jahres um bis zu 65% zurückgefahren. Zu­dem hatte Russland an den Ölmärkten zuletzt Schwierigkeiten, Käufer zu finden – und das trotz heftiger Preisabschläge und noch bevor die US-Regierung ihr Embargo gegen den Kauf russischen Öls verkündet hatte.  Die Versorgungslücke kann zwar kurzfristig nicht vollständig geschlossen werden, doch die EU hat politischen Handlungsspielraum, um die Auswirkungen auf das Wachstum zu begrenzen.  Europa wird möglicherweise dennoch Rationierungen vornehmen und die Folgen steuerlich abfedern müssen.  Ein Rückgang des europäischen Verbrauchs um 12% könnte in Verbindung mit starken Preissteigerungen leicht da­zu führen, dass die Kosten für Erdgas 2022 um etwa 250 Mrd. Dollar steigen – über 1,5% des BIP der EU. Dies ist keine unerhebliche Summe.

Genau wie die Energieversorgung wird die Krise auch die weltweite Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln beeinträchtigen. Die russische Invasion in der Ukraine hat somit eine Situation verschlimmert, die sich bereits zuvor zugespitzt hatte: Die Bedrohung der globalen Nahrungsmittelversorgung durch den Klimawandel ist enorm und nimmt stetig zu. Bisher hatte die Weltgemeinschaft dies jedoch weitgehend nicht zur Kenntnis genommen.  Traditionelle Ansätze für das Management von Handelsrisiken – etwa Ersatz und Diversifizierung – werden in einer Welt, die parallel immer stärker mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen hat, weitgehend ihre Wirkung verfehlen. 

Der Global Food Price Index hat einen historischen Höchststand erreicht, und doch ist dies nur der Probelauf für das, was uns erwartet. Der staatliche und der private Sektor müssen zusammenarbeiten, damit ein gerechter Wandel hin zu einer widerstandsfähigeren, nachhaltigen Welt gelingen kann.

These 4: Der Wandel wird umfassend sein und sämtliche Bereiche be­treffen – auch wenn er in kleinen Schritten erfolgt.

Es ist keine weit hergeholte Vorstellung, dass wir vor einer fundamentalen Dekarbonisierung stehen, die deutlich über Elektrofahrzeuge und den Ersatz fossiler durch erneuerbare Brennstoffe hinausgeht.  Auch Sektoren, bei denen hohe Emissionen schwer vermeidbar sind, dürften vom Wandel ergriffen werden. Dies gilt etwa für die Herstellung von Industriemetallen, Chemikalien und Düngemitteln sowie den Langstrecken- und Schwertransport. 

These 5: Anleger können die „Transformation der kleinen Schritte“ un­terstützen, indem sie sich aktiv einbringen.

Es liegt an den Anlegern, im Rahmen von Active Stewardship auf die Unternehmen einzuwirken, in die sie investieren. Sie müssen die Verantwortung verstehen, die auch sie für die Transformation tragen.

Es spricht einiges dafür, dass es Anlegern durchaus möglich ist, das Verhalten von großen, etablierten Unternehmen in kleinen Schritten durch aktive Mitwirkung zu beeinflussen.

These 6: Investitionen in Energieeffizienz und Alternativen zu Mi­neralien für die Energiewende (Transition Minerals) sind be­sonders gefragt.

Wir erwarten, dass Investitionen in die Energiewende mittelfristig anziehen werden, da dieses Thema zunehmend mit der nationalen Sicherheit verknüpft ist. Gerade In­vestments mit Fokus auf Energieeffizienz könnten von den hohen aktuellen Energiepreisen und den erwarteten Reinvestitionen in diesen Sektor profitieren.

Die Anleger werden eine hohe Motivation haben, nach alternativen Versorgungsquellen Ausschau zu halten, um Abhängigkeiten von unerwünschten staatlichen Akteuren zu vermeiden. Zudem werden sie auch über die kollektive Anfälligkeit einzelner Technologien für risikobehaftete Mineralien nachdenken. Speichersysteme sowie Atom- und Windkraft erscheinen hier besonders gefährdet. Daraus könnten sich Chancen für Alternativen ergeben.

These 7: Der Wandel kann nur ge­meinsam gelingen.

Ohne jeden Zweifel stehen wir vor einem systemischen Problem, das Vermögensverwalter nicht allein lösen können. Wir teilen uns die Verantwortung vielmehr mit den Regierungen, die mit entschlossenen Gesetzesvorgaben vorangehen müssen, um das richtige Umfeld für eine Reallokation von Kapital und eine alternative Ausgabenpolitik der Unternehmen zu schaffen.