IM GESPRÄCH: HENNING BERGMANN, DEUTSCHER DERIVATE VERBAND

"Völlig unsachgemäße Besteuerung"

Verbandschef kritisiert Verlustverrechnung bei Kapitalanlagen - Änderung trifft Millionen Anleger

"Völlig unsachgemäße Besteuerung"

“Die aktuell geltenden Regelungen führen zu einer völlig unsachgemäßen Besteuerung”, erklärt Henning Bergmann, geschäftsführender Vorstand des DDV, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung zum Gesetz über die Begrenzung der Verlustverrechnung bei Kapitalanlagen. “Aus diesem Grund regen wir an, die Beschränkung der Verlustverrechnung auf 10 000 Euro aufzuheben und auf den besonderen Verlustverrechnungskreis zu verzichten.”Von Werner Rüppel, FrankfurtIm Dezember vergangenen Jahres, wenige Tage vor Weihnachten, hat der Bundestag im Rahmen des Gesetzes über grenzüberschreitende Steuergestaltungen neue Vorschriften für die Verlustverrechnung von Kapitalanlagen privater Anleger beschlossen (vgl. BZ vom 12.12.2019, Seite 7). Henning Bergmann, geschäftsführender Vorstand des Deutschen Derivate Verbands (DDV), erläutert, dass die Auswirkungen erheblich sind und mithin breite Bevölkerungsschichten und auch deren Altersvorsorge treffen.Denn im Gesetz sind, wie Bergmann betont, nicht nur Änderungen bei der Besteuerung von Termingeschäften mit einem eigenen Verlustverrechnungskreis und der Beschränkung der Verlustverrechnung bei Termingeschäften auf 10 000 Euro im Jahr beschlossen worden. Auch bei anderen Kapitalanlagen sei die Verlustverrechnung für private Anleger jetzt in bestimmten Fällen auf 10 000 Euro im Jahr begrenzt worden. “Die Änderungen umfassen generell Verluste aus der ganzen oder teilweisen Uneinbringlichkeit einer Kapitalforderung, Verluste aus dem Verfall von Wertpapieren und der Übertragung und Veräußerung wertloser Papiere oder Verluste aus einem sonstigen Ausfall von Wirtschaftsgütern”, erklärt Bergmann. “Dies betrifft beispielsweise auch Aktien und Anleihen. Angesichts dieses breiten Anwendungskreises sind potenziell ca. 10 Millionen Anleger berührt.” Verwaltungsaufwand steigtWie Bergmann darüber hinaus erläuterte, bestehen bei der unterjährigen Verrechnung von Verlusten durch das neue Gesetz noch erhebliche Unsicherheiten. “Die gesetzliche Regelung ist wohl so zu verstehen, dass die neu eingeführten Verlustverrechnungskreise auf der Ebene der Kreditinstitute nicht nachvollzogen werden”, sagt Bergmann. “Die Begrenzung von 10 000 Euro für die Verlustverrechnung wäre dann erst im Rahmen der persönlichen Veranlagung des einzelnen Anlegers nachzuvollziehen.” Die verfahrensmäßige Umsetzung der neuen Regelungen sei allerdings weitgehend unklar.Wenn Anleger sofort Steuern auf Gewinne zahlen müssten, aber Verluste sich erst im darauffolgenden Jahr erstatten lassen könnten, führe dies insbesondere bei aktiven Anlegern schnell zu einem Liquiditätsengpass. Zudem erhöhe sich der Verwaltungsaufwand sowohl für den Anleger als auch für die Finanzämter deutlich.Besonders wendet sich Bergmann gegen die im Gesetz beschlossene Behandlung zur Verlustverrechnung bei Termingeschäften, die laut Gesetz ab Jahresbeginn 2021 in Kraft tritt. Von den Änderungen seien vor allem auch konservative Anleger betroffen, die mit Termingeschäften ihr Aktiendepot absichern wollten. Dazu nutzten viele Anleger Puts. Diese Absicherung sei eine gebräuchliche Vorgehensweise und aus Anlegersicht vollkommen nachvollziehbar. “Es handelt sich hier also gerade nicht um hochspekulatives Verhalten”, betont Bergmann. Vielmehr stünden der Werterhalt und die Absicherung des eigenen Depots im Vordergrund. Doch betreffe die Verlustverrechnung bei Termingeschäften nicht nur Verluste aus wertlosem Verfall (Totalverluste), sondern auch solche aus Veräußerungsgeschäften. Bergmann folgert: “Die Verlustverrechnung wird im Bereich der Termingeschäfte gegenüber der bisherigen Rechtslage erheblich eingeschränkt und führt nach einer ersten Einschätzung zu unsachgerechten Ergebnissen bei der Besteuerung.”In mehreren Fallbeispielen zeigt der DDV-Vorstand auf, dass das neue Gesetz insbesondere bei Termingeschäften erhebliche Auswirkungen für den privaten Anleger hat. Insgesamt werde damit der ja sehr erwünschte private Vermögensaufbau in Wertpapieren deutlich erschwert und verteuert. Letztendlich würden die neuen Regelungen zu einem signifikanten Rückgang von Termingeschäften führen. Da gerade der regelmäßige Handel mit Termingeschäften konzeptionell nicht mit der Verlustbegrenzung auf 10 000 Euro vereinbar sei, stelle die neue Regelung einen “signifikanten Eingriff” in den Markt dar.Zudem wirken sich laut Bergmann die Neuregelungen “auch negativ auf die private Altersvorsorge aus, etwa beim wertlosen Verfall von Aktien oder Anleihen sowie bei der Kursabsicherung eines zur Altersvorsorge dienenden Wertpapierdepots”. Rechtliche Bedenken”Der Anleger wird asymmetrisch besteuert, da er seinen Gewinn aus Kapitalanlagen vollumfänglich zum Zeitpunkt des Zuflusses versteuern soll, die Anerkennung seiner Verluste aber auf 10 000 Euro pro Jahr begrenzt ist”, folgert Bergmann. “Im Zusammenhang mit der Neuregelung bestehen daher erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.” Auch die vorgesehene zeitliche Streckung der Verlustberücksichtigung werde wohl größtenteils zu einem immer weiter ansteigenden Verlustvortrag in den Folgejahren führen und damit keine Abhilfe schaffen.Da das neue Gesetz insgesamt zu einer völlig unsachgemäßen Besteuerung führe, regt der DDV an, die Beschränkung der Verlustverrechnung wieder aufzuheben und auf den besonderen Verrechnungskreis für Termingeschäfte zu verzichten.