GASTBEITRAG

Wie sich die (L)ibor-Reform auf die Buy Side auswirkt

Börsen-Zeitung, 13.8.2019 Ende 2021 werden die meisten Interbank Offered Rates (Ibor) auslaufen und durch neue alternative Referenzsätze (ARR) ersetzt. Die Folgen für Investmentmanager sind erheblich, die Kosten einer zu späten Migration von Ibor...

Wie sich die (L)ibor-Reform auf die Buy Side auswirkt

Ende 2021 werden die meisten Interbank Offered Rates (Ibor) auslaufen und durch neue alternative Referenzsätze (ARR) ersetzt. Die Folgen für Investmentmanager sind erheblich, die Kosten einer zu späten Migration von Ibor auf ARR beträchtlich.Interbank Offered Rates unterstützten mehr als 40 Jahre lang den weltweiten Handel mit Finanzprodukten. Eine Reihe von Skandalen hat jedoch das Schicksal der einst dominanten Ibor besiegelt. In dem Bestreben, die kompromittierten Referenzzinsen zu ersetzen, veröffentlichte die IOSCO 2013 die Principles for Financial Benchmarks. Robust und zuverlässigRegulatorische Maßnahmen sollten sicherstellen, dass kritische Benchmarks robust, zuverlässig, widerstandsfähig und jederzeit berechenbar sind, ohne deren Integrität zu beeinträchtigen. Die Benchmarks haben die Anforderungen, insbesondere hinsichtlich der Integrität, jedoch nicht erfüllt. Infolgedessen haben sich die Regulierungsbehörden und Marktteilnehmer geeinigt, dass Finanzprodukte auf neue alternative (ARR)/risikofreie (RFR) Referenzzinsen auf Basis realer Transaktionen umgestellt werden müssen.Was bedeutet die Reform für Buy-Side-Unternehmen? Die Reform hat Auswirkungen auf alle Instrumentenklassen; am stärksten wirkt sie auf Floating Rate Notes (FRN), Derivate und Kredite. Direkt betroffen sind Instrumente, die sich direkt auf eine der betroffenen Zinssatz-Benchmarks beziehen. Indirekt betroffen sind Instrumente, die Zinsbenchmarks für Terminzinssätze oder Diskontierungen verwenden. Auswirkungen sind für drei Bereiche zu erwarten:Erstens: Portfoliobewertung und Benchmarks. Viele Rentenfonds haben (L)ibor-Sätze als Benchmark oder beinhalten (L)ibor-Sätze, an denen Performance- und Managementgebühren gemessen werden. Jede Änderung der Benchmarks kann sich auf die Gebühreneinnahmen auswirken. Auch die Änderung der Diskontierungskurve oder des Referenzsatzes innerhalb dieser Kurve kann den Barwert von FRN oder Derivaten verändern. Die Investoren sollten dafür angemessen kompensiert werden. Es wird also “Gewinner und Verlierer geben”, wie der CEO der in London ansässigen International Swaps and Derivatives Association (ISDA), Scott O’Malia, betont. Buy-Side-Firmen müssen in der Lage sein, die Marktwertanpassungen bei Verhandlungen mit Sell-Side-Gegenparteien selbstständig zu berechnen und zu überprüfen. Andernfalls sind sie einem erheblichen wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt, da sich die zu erwartenden Ausgleichszahlungen über das gesamte Derivateportfolio gerechnet, durchaus zu Millionenbeträgen summieren können.Hierzu gibt es Handlungsempfehlungen: Investmentmanager sollten Instrumente und Forderungen identifizieren, die an (L)ibor gekoppelt und nach 2021 fällig sind. Sie müssen interne und externe Portfolio-Benchmarks auf (L)ibor-Abhängigkeit untersuchen und den potenziellen Werttransfer für Portfolios mit Derivate- und FRN-Beständen berechnen.Zweitens: Rechts- und Portfoliodokumentation. Betroffene Rechtsdokumente können in drei Klassen eingeteilt werden: Fondsdokumentation (bei Anpassung kann eine regulatorische Genehmigung erforderlich sein), instrumentenbezogene Verträge sowie Kundendokumente (müssen auf bilateraler Basis neu dokumentiert werden).Änderungen an einigen dieser Rechtsdokumente können einem standardisierten Prozess wie den ISDA-Vereinbarungen folgen, bei denen von ISDA eine Protokolllösung erwartet wird. Andere bedürfen einer Genehmigung durch die Aufsichtsbehörden oder bilateraler Verhandlungen mit den Gegenparteien. In vielen Unternehmen kann die Anzahl der Dokumente leicht in die Tausende oder sogar Zehntausende gehen. Um dies effizient zu gestalten, sollten Unternehmen den Einsatz von KI- und NLP-Technologien (Natural Language Processing) erwägen. Das Beispiel Mifid II hat gezeigt, dass diese Werkzeuge einen erheblichen Nutzen stiften. Um rechtliche Risiken zu vermeiden, müssen Investoren in den nächsten zwei Jahren eine Strategie für Investitionen in (L)ibor-basierte Instrumente entwickeln und entsprechende Fallback-Optionen definieren.Wir empfehlen, alle Verträge zu analysieren, um die Auswirkungen der Umstellung zu verstehen. Investmentmanager sollten eine Bestandsaufnahme aller Handels-, Derivate- und Repo-Vereinbarungen durchführen und über die Anwendbarkeit des ISDA-Benchmark Supplements entscheiden, ferner darüber, welche (L)ibor-Instrumente vor deren Auslaufen noch gehandelt werden dürfen. Erhebliche AuswirkungenDrittens: Betrieb und Technologie. Unabhängig vom Organisationsmodell des Unternehmens werden die Auswirkungen auf den Betrieb und die IT-Infrastruktur erheblich sein. Diese betreffen die T+1-Abwicklung von ARR, neue Instrumente sowie die Migration von Altverträgen. Prozesse in der operativen Plattform müssen angepasst werden, um die T+1-Verfügbarkeit der Zinssätze und die spätere Berechnung der Zinszahlungen zu berücksichtigen. Handlungsempfehlungen: Betroffene sollten die Auswirkungen auf operative Prozesse und Schnittstellen, die die spätere Bereitstellung neuer ARR mit sich bringen wird, analysieren. Es gilt, nach den Grundsätzen eines ganzheitlichen Change-Management-Projektes einschließlich eines Risiko- und Portfoliomanagements zu verfahren und auf klassische Fehlerquellen wie beispielsweise Übergaben zwischen parallelen oder koexistierenden Systemen zu achten.Die Einführung neuer ARR-Instrumente wird operative Herausforderungen mit sich bringen. Die in einigen dieser Instrumente benötigten Fristensätze werden typischerweise als Zinseszins der relevanten ARR berechnet, was darauf hindeutet, dass das Fixing “in arrears” üblicher sein wird. Darüber hinaus kann eine Aussetzungsfrist ein häufiges Merkmal bei der Kuponberechnung von FRNs sein.Hier lautet die Handlungsempfehlung, die Flexibilität der IT-Plattform für die Verwaltung der neuen Wertpapier- und Derivatstrukturen, einschließlich neuer Berechnungsmethoden für aufgelaufene Zinsen und angepasste Bewertungs- und Risikomodelle zu validieren. (L)ibor-Verträge mit langer Laufzeit müssen in ARR-Verträge umgewandelt werden. Die erste FRN wurde bereits in einem komplexen Verfahren von Libor auf Sonia umgestellt und im vierten Quartal 2019 will ISDA Leitlinien für das Protokoll zur Vertragsmigration herausgeben. OTC-Kontrakte können durch Hinzufügen eines Anpassungs-Spreads in ARR migriert werden, um die Wertänderung zu minimieren. Die Änderung der Bedingungen für bestehende Altinstrumente wird zu Ausgleichszahlungen führen – entweder auf Basis bilateraler Verhandlungen oder infolge von Marktmaßnahmen durch Clearingstellen. Diese Veränderungen müssen berücksichtigt werden, die entsprechenden Vergütungsbeträge berechnet, abgerechnet und korrekt verbucht werden, um negative Auswirkungen auf die Bilanz, die Portfoliobewertung sowie Risikosteuerung zu vermeiden.Es ist wichtig, dass die operative Plattform die komplexe Umwandlung einer sich auf (L)ibor beziehenden Position in die neue Instrumentenstruktur unterstützt. Ebenso wichtig ist, dass diese technische Umstellung ohne Realisierung von Gewinnen und Verlusten erfolgt und gleichzeitig eine einmalige Zahlung ermöglicht wird, die den Werttransfer kompensiert. Investmentmanager müssen entscheiden, welche neuen ARR-Produkte wann eingeführt werden sollen, und die Auswirkungen der Umstrukturierung des bestehenden Instrumentenportfolios einschließlich Änderungen der Bewertung, Risikomodellierung, Buchhaltung und Besteuerung analysieren. Branche im FokusWeltweit haben Aufseher die Branche im Fokus und beobachten die Umsetzung der (L)ibor-Reform genau. Daher ist es unerlässlich, dass sich das Topmanagement eines jeden Marktteilnehmers mit diesem Thema intensiv beschäftigt und einen konkreten Aktionsplan vorlegt, mithilfe dessen die unternehmensspezifischen Auswirkungen der Reform kontrolliert werden können. Carl Balslev Clausen, Product Manager bei SimCorp A/S und Jan Rosam, Partner, Advisory EMEIA Financial Services bei Ernst & Young