LEITARTIKEL

Investitionsprogramm

Mit Max Conze an der Vorstandsspitze geht es so weiter, wie es mit Thomas Ebeling aufgehört hatte: Der Aktienkurs von ProSiebenSat.1 sinkt und sinkt. Seit Ebeling mit dem Aufstieg in den Dax im März 2016 den Höhepunkt erreicht hatte, weist der Weg...

Investitionsprogramm

Mit Max Conze an der Vorstandsspitze geht es so weiter, wie es mit Thomas Ebeling aufgehört hatte: Der Aktienkurs von ProSiebenSat.1 sinkt und sinkt. Seit Ebeling mit dem Aufstieg in den Dax im März 2016 den Höhepunkt erreicht hatte, weist der Weg nach unten. So dauerte das Gastspiel in der höchsten deutschen Börsenliga gerade einmal zwei Jahre. Seit Conzes Arbeitsbeginn im Juni 2018 verlor das Fernseh- und Internetunternehmen an der Börse weiter an Wert – in den knapp sechs Monaten fast ein Drittel.Klar, auch ein neuer Vorstandsvorsitzender kann nicht zaubern. Und als Branchenneuling gewährten die Aktionäre dem früheren Chef des britischen Staubsaugerherstellers Dyson keinen Vorschuss. Zudem ist die Ausgangslage schwierig: Die Digitalisierung verändert die Mediennutzung vor allem junger Zuschauer radikal und bedroht das alte Geschäftsmodell, das lange hohe Margen aus der TV-Werbung garantierte. In dieser Phase hat sich auch RTL Deutschland für einen Wechsel an der Spitze entschieden. Anke Schäferkordt verlässt nach fast drei Jahrzehnten die Sendergruppe.Ebeling hatte auf den Strukturwandel der Branche reagiert, indem er von 2013 an ein Portfolio mit Beteiligungen an E-Commerce-Unternehmen aufbaute: vom Parfümhändler Flaconi und dem Verbraucherportal Verivox bis zur Partnerbörse Parship. Die Kaufpreise beglich ProSiebenSat.1 zum Teil mit TV-Werbung, die wiederum den Internetfirmen zu einem Wachstumsschub verhalf. Conze geht auf diesem Weg nun schneller und will das Wachstum dieses Segments trotz geringerer Margen beschleunigen, um die Abhängigkeit von den Einnahmen klassischer Reklame weiter zu verringern. Seit zwei Jahren stagnieren diese Erlöse nur noch.Mit seinem Konzept krempelt er das Unternehmen nicht um, aber er setzt Akzente. Die kosten Geld. Das bekommen auch die Aktionäre zu spüren, die sich als Trost für den Kursverlust auf eine Ausschüttungsquote von 80 bis 90 % verlassen konnten. Conze kürzt ihren Anteil am Jahresgewinn auf 50 %.Schwerpunkte der höheren Ausgaben sind digitale Plattformen und das Programm. Investitionen auf dem ersten Gebiet sind sinnvoll und notwendig, um die Veränderungen in der Medienwelt mitzugestalten, auf dem zweiten, um den zu lange vernachlässigten Kern des Geschäfts zu stärken. Ohne ein Programm, das bei den Zuschauern gut ankommt, bleiben Werbekunden fern – egal ob im Fernsehen oder auf anderen Plattformen. Amerikanische Serien haben im TV an Zuspruch verloren, die Zuschauer bevorzugen dafür Video-on-Demand-Plattformen (VoD) wie Netflix und Amazon Prime Video. Die Zauberworte für das klassische Fernsehen lauten deshalb: mehr eigener lokaler Inhalt.Damit beginnt die Arbeit für Conze und seine Mitarbeiter allerdings erst richtig. Die Aufgabe ist sehr anspruchsvoll. Denn zum einen weiten auch die VoD-Konkurrenten ihr Angebot um lokale Inhalte aus. Zum anderen gehören Flops zum Geschäft und machen es schwer berechenbar. Deutschsprachige Serien und Shows sind beileibe keine Selbstläufer. Vor allem Sat.1 ist in den vergangenen drei Jahren damit ziemlich oft auf die Nase gefallen. Sogar Produktionen auf hohem Niveau, vom Feuilleton gelobt, enttäuschen bisweilen die Erwartungen ans Zuschauerinteresse. Die ARD musste diese Erfahrung jüngst mit “Babylon Berlin” machen, RTL vor drei Jahren mit “Deutschland 83”.Risiken liegen zudem in der von Conze angestrebten engeren Verzahnung von Unterhaltung und E-Commerce. So will er mit den Zuschauern, die im Idealfall gleichzeitig Konsumenten sind, mehr Umsatz erzielen. Daten von Online-Käufern und von Verivox-Nutzern sollen verstärkt für individuelle Werbung verwendet werden, um zum Beispiel Singles, Familien und älteren Paaren unterschiedliche TV-Spots zu zeigen. Doch bis zu welchem Punkt sind die Zuschauer bereit, ihre Daten sammeln und analysieren zu lassen? Verbraucherschützer und Gesetzgeber haben wachsame Augen darauf. So arbeitet die EU am Entwurf der sogenannten E-Privacy-Verordnung für elektronische Kommunikation.Trotz aller Risiken wäre es fatal, den Ist-Zustand nur zu verwalten. Angesichts des gewaltigen Umbruchs der Fernsehbranche hat Conze keine andere Wahl als anzupacken und etwas zu wagen. Mehr zu investieren belastet zunächst das Ergebnis. Die Chancen für eine Kurserholung der Aktie sind deshalb zumindest auf kurze Sicht recht dürftig.—–Von Joachim HerrProSiebenSat.1 investiert mehr ins Programm und in digitale Plattformen. Die Aktionäre haben erst einmal nichts davon und bleiben skeptisch. —–