Autohandel

Auto1 eifert an der Börse US-Vorbild Carvana nach

Es ist einiges los im europäischen Online-Gebrauchtwagenhandel. Erst Anfang dieser Woche meldete der tschechische Autohändler Aures Holding, den Start seines neuen Online-Angebots Driverama in Deutschland ein halbes Jahr vorzuziehen, um möglichst...

Auto1 eifert an der Börse US-Vorbild Carvana nach

Von Stefan Paravicini, Berlin

Es ist einiges los im europäischen Online-Gebrauchtwagenhandel. Erst Anfang dieser Woche meldete der tschechische Autohändler Aures Holding, den Start seines neuen Online-Angebots Driverama in Deutschland ein halbes Jahr vorzuziehen, um möglichst schnell von der Verschiebung der Verbraucherpräferenzen beim Kauf ihres nächsten Autos Richtung E-Commerce profitieren zu können. Der britische Online-Gebrauchtwagenhändler Cazoo konnte diesen Trend bereits für sich nutzen und im März eine Fusion mit einer Special Pur­pose Acquisition Company (Spac) abschließen, mit der das Unternehmen zu einer Bewertung von 7 Mrd. Dollar an der New Yorker Börse vorgefahren ist.

IPO unter Top 3 in Europa

Am besten positioniert, um von der Digitalisierung des Gebrauchtwagenhandels in Europa zu profitieren, ist nach Einschätzung vieler Analysten aber der Berliner Branchenprimus Auto1, der Anfang Februar den bisher drittgrößten Börsengang in Europa im laufenden Jahr aufs Parkett gelegt hat und es aktuell auf eine Marktkapitalisierung von rund 10 Mrd. Euro bringt. Am Donnerstag notierte die Aktie bei 47 Euro unter der Erstnotiz von 55 Euro, aber immer noch deutlich über dem Angebotspreis von 38 Euro, der am oberen Ende der Spanne festgesetzt wurde. Von einem Dutzend Analysten raten aktuell acht zum Kauf, während vier neutral eingestellt sind. Die Kursziele der Marktbeobachter liegen zwischen 46 und 70 Euro, wobei die Commerzbank am nüchternsten auf die Aktie blickt und die Royal Bank of Canada das größte Aufwärtspotenzial sieht. Im Vergleich mit der jüngsten Entwicklung beim amerikanischen Online-Gebrauchtwagenhändler Carvana ist auch dieses Preisziel noch fast bescheiden. Der Börsenwert des US-Unternehmens, mit dem Auto1 schon vor dem IPO gerne Vergleiche zog, hat sich seit Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 zwischenzeitlich fast verzehnfacht und liegt derzeit bei rund 47 Mrd. Dollar.

Autos aus der Glasvitrine

Für Analysten ist Carvana vor allem als Blaupause für das Geschäft von Auto1 mit dem Verkauf von Gebrauchtwagen an private Verbraucher unter der Marke Autohero interessant, das bisher im Vergleich zum Ankauf von Privaten (Wirkaufendeinauto.de) und an­schließendem Weiterverkauf an Gebrauchtwagenhändler eine un­tergeordnete Rolle spielt. In den nächsten drei Jahren will Auto1 allein in das Marketing für Autohero 200 Mill. Euro investieren und 250 Lastwagen kaufen, mit denen die Gebrauchtwagen in einer Art überdimensionierter Glasvitrine zum Kunden gefahren werden können. Ein Effekt, für den sich Auto1 auch von Carvana inspirieren ließ. Die Analysten der Commerzbank trauen Autohero zu, die Entwicklung des US-Vorbilds in den nächsten Jahren noch zu übertreffen. Die verkauften Einheiten in den beiden Jahren seit dem Start 2019 lagen über den Verkäufen von Carvana nach ihrem Start 2014. 2025 traut die Commerzbank Auto1 in diesem Segment bereits einen Absatz von annähernd 200 000 Autos zu, während es bei Carvana in Jahr sechs knapp 180000 waren. Langfristig könnte dieses Geschäft, das höhere Margen als der Weiterverkauf an Händler bringt, rund die Hälfte des Umsatzes tragen. Im Grundsatz ist deshalb auch die Commerzbank von Auto1 begeistert. Das Unternehmen verfüge über die führende Online-Plattform in einem der größten Verbrauchermärkte in Europa, heißt es in der Studie von Christoph Blieffert und Andreas Riemann. Der europäische Gebrauchtwagenmarkt sei mit einem Marktvolumen von rund 600 Mrd. Euro größer als die Kategorie Bekleidung oder Elektronik, und der Anteil der Online-Verkäufe liege erst bei knapp 1%. Umfragen unter den europäischen Verbrauchern legten nahe, dass dieser Anteil demnächst kräftig steigen könnte. Der Marktforscher Yougov berichtete zuletzt, dass 45% der Konsumenten in Europa darüber nachdenken, ihren nächsten Wagen über das Internet zu kaufen. In Deutschland finden schon heute fast 30% der Käufer ihr Auto über Online-Portale. Eine riesige Marktchance für Auto1, finden auch die Analysten der Commerzbank. Ein großer Teil dieser Chancen sei aber bereits im Preis enthalten. „Halten“ lautet auch die Empfehlung von Metzler-Analyst Tom Diedrich, der sein erstes Preisziel Mitte März auf 45 Euro festlegte und dem Papier des Online-Gebrauchtwagenhändlers mittlerweile 48 Euro zutraut.

Mehr Pferdestärken vermuten die Analysten von Goldman Sachs unter der Motorhaube von Auto1. Die Firma sei mit 61000 Autohändlern im Geschäft, verkaufe Autos in mehr als 30 Ländern und sei 1,6- mal so groß wie der nächste Wettbewerber im europäischen Markt, schreiben Lisa Yang, Aditya Buddhavarapu und Lucy Sun. Nach dem pandemiebedingten Einbruch des Gebrauchtwagenhandels im vergangenen Jahr gehöre die Firma zu den größten Profiteuren von Öffnungsschritten aus dem Lockdown. Langfristig würden Effizienz, Transparenz und Komfort des Online-Handels den E-Commerce im Gebrauchtwagenhandel beflügeln. Auto1 traut Goldman Sachs im Zuge dieser Entwicklung einen Marktanteil am Online-Gebrauchtwagenhandel von bis zu 10% zu. Das Unternehmen selbst hat vor etwas mehr als drei Wochen seine Guidance für das neue Jahr vorgestellt und traut sich kräftiges Wachstum zu. Der Umsatz soll demnach um mindestens 1 Mrd. Euro auf 3,8 Mrd. bis 4,2 Mrd. Euro klettern und würde in der Mitte der Spanne ziemlich genau den Konsens der Analysten treffen.

Pandemie hinterlässt Delle

Der Bruttogewinn wird 2021 in der Spanne von 360 Mill. bis 410 Mill. Euro erwartet, womit der Mittelstreifen ebenfalls genau beim Konsens von 385 Mill. Euro liegt. Das wären 100 Mill. Euro mehr als im vergangenen Jahr. Auch die Prognose für das bereinigte Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) liegt in der Größenordnung der Konsensschätzung von –80 Mill. Euro. Im vergangenen Jahr lag das bereinigte operative Ergebnis bei –15 (i.V. –60) Mill. Euro. Die Pandemie und vor allem der erste Lockdown im zweiten Quartal haben 2020 eine ordentliche Delle hinterlassen. Insgesamt hat Auto1 noch 457000 Autos verkauft und damit knapp ein Viertel weniger als im Jahr zuvor. Der Umsatz musste ebenfalls um ein Fünftel zurückstecken.