Schweiz

Bleibt der Franken ein sicherer Hafen?

Kann der Schweizer Franken noch sicherer Hafen sein, wenn es dort erheblichen Stress im Finanzsystem gibt? Diese Frage beruht zumindest teilweise auf einem Missverständnis.

Bleibt der Franken ein sicherer Hafen?

Von Ulrich Leuchtmann*)

Kann der Schweizer Franken noch sicherer Hafen sein, wenn es dort erheblichen Stress im Finanzsystem gibt? Diese Frage wurde mir in den letzten Tagen mehrfach gestellt. Sie beruht, wie ich meine, zumindest teilweise auf einem Missverständnis. Bei Wertpapieren und Einlagen meint man mit „sicherer Hafen“ häufig, dass das Ausfallrisiko besonders gering ist. Im Gegensatz zu Aktien, Anleihen und Einlagen ist eine Währung nicht von Ausfallrisiken bedroht, abgesehen vom seltenen Fall einer echten Währungsreform.

Und es kann auch nicht um Wechselkursvolatilität gehen. Dass die dänische Krone gegenüber dem Euro eine äußerst geringe Wechselkursvolatilität aufweist, macht sie nicht „sicher“, zumindest nicht sicherer als den Euro. Andererseits ist die typischerweise recht hohe Volatilität des Wechselkurses von Euro und südafrikanischem Rand wohl kaum eine Aussage zur „Unsicherheit“ des Euro.

Nicht ohne Risiken

Was also ist eine Sicherer-Hafen-Währung? Es geht meines Er­achtens darum, in welchem Umfeld eine Währung besonders stark handelt und in welchem Um­feld besonders schwach. Warum ist das wichtig? Wer Geld anlegt, kann viele Risiken durch Diversifizierung re­duzieren. Doch auch wenn man di­versifiziert, kann man aus riskanten Währungspositionen kein risikoloses Portfolio zaubern. Die Risiken, die übrig bleiben, sind entscheidend für die Marktbewertung. In diesem Sinn ist eine Währung sicherer Hafen, wenn sie vor solchen nicht diversifizierbaren Risiken schützt.

Wie muss man sich das konkret vorstellen? Ein Beispiel: Als sich Ende Februar/Anfang März 2020 andeutete, dass die Coronawelle sich zu einer globalen Pandemie ausbreiten würde, gaben weltweit die Aktienkurse deutlich nach. Wer in Aktien angelegt hatte, verlor gerade dann Geld, als nicht nur die gesundheitlichen Risiken zunahmen, sondern auch die wirtschaftlichen Folgen unabsehbar waren, also gerade dann, als finanzielle Rücklagen besonders wünschenswert waren. Der Franken konnte in dieser Phase deutlich zulegen und war eine der am besten performenden Währungen im G10-Universum. Wenn gute Gründe dafür sprechen, dass die Franken-Performance in dieser extremen Krisenphase nicht Zufall war, wenn man stattdessen annehmen darf, dass sie eine inhärente Eigenschaft des Franken ist, dann ist das eine wertvolle Eigenschaft der Schweizer Währung. Dann ist er ein sicherer Hafen.

Unveränderte Zinsen

Hat der Franken die inhärente Eigenschaft eines sicheren Hafens? Als 2020 alle großen Zentralbanken in Reaktion auf die Pandemie ihre Zinsen auf die jeweils machbare Untergrenze absenkten, gab es drei große Zentralbanken, die ihre Zinsen unverändert ließen: die EZB, die Bank of Japan (BoJ) und die Schweizerische Nationalbank (SNB). Warum? Weil offensichtlich die Zinsen dort schon so niedrig waren, dass weitere Zinssenkungen nicht mehr möglich waren.

Als Student habe ich noch gelernt: Zinsen können nicht negativ werden. Die Erfahrung der 2010er Jahre hat uns gelehrt, dass das nicht ganz richtig ist. Leicht negative Zinsen sind möglich. Aber eben nicht unendlich negative Zinsen. Auch wenn sie nicht null be­trägt, es gibt eine Zinsuntergrenze. Dass weder die EZB noch die BoJ noch die SNB in der Pandemiephase ihre Zinsen weiter gesenkt haben, dürfte Zeichen dafür sein, dass diese drei Zentralbanken damals ihre jeweiligen Zinsniveaus (−0,75% in der Schweiz, −0,5% im Euroraum, −0,1% in Japan) als praktisch machbare Untergrenzen betrachteten. Man kann daraus schließen, dass – egal wie schlimm die Umstände würden – noch niedrigere Zinsniveaus nicht wahrscheinlich sind. Die Pandemie war in dieser Hinsicht ein aussagefähiger geldpolitischer Paradefall.

Zinssenkungen sind schädlich für die jeweilige Währung, weil sie den laufenden Zinsertrag schmälern. In globalen Krisenzeiten, in denen weltweit das Zinsniveau sinkt, ist dieser Schaden für die Währung geringer, deren Zinssenkungsspielräume kleiner sind, weil unter der Annahme einer Zinsuntergrenze ihr Spielraum geringer ist. So sind Niedrigzinswährungen sichere Häfen. Somit darf nicht verwundern, dass Yen und Franken als sichere Häfen gelten.

Interventionen stören

Jedoch, eine Einschränkung muss man machen: Die SNB überlässt die Franken-Wechselkurse nicht den Marktkräften. Lange hat sie am Devisenmarkt interveniert, um aus ihrer Sicht übermäßige Franken-Stärke zu verhindern. In der Folge kann der Franken sich schon lange nicht mehr so verhalten, wie eine Sicherer-Hafen-Währung das eigentlich tun würde. Die Sicherer-Hafen-Eigenschaft ist dem Franken zumindest teilweise ab­handengekommen. Aus den Veröffentlichungen der SNB geht z. B. hervor, dass sie sich im Frühjahr 2020 mit Interventionen gegen eine allzu große Franken-Aufwertung stemmte, der Franken also weitaus weniger als sicherer Hafen wirkte, als er das bei frei beweglichen Franken-Wechselkursen getan hätte.

Abwertung wünschenswert

Aus Sicht der SNB mag es verständlich sein, das Sicherer-Hafen-Verhalten der Franken-Wechselkurse einzudämmen. Machen wir uns klar: Eine Sicherer-Hafen-Währung wertet typischerweise dann auf, wenn allgemein in der Welt Zinssenkungen erwartet werden, also häufig dann, wenn es realwirtschaftlich nach Krise riecht. In solch einer Phase wäre es aus konjunktureller Sicht wünschenswert, wenn eine Abwertung der eigenen Währung die Exportwirtschaft und damit die Konjunktur stützen würde. Wertet die eigene Währung gerade in solchen Phasen auf, vergrößert das die konjunkturellen Risiken. Die Schweizer Wirtschaft hat sich bislang stets als äußerst robust erwiesen. Selbst nach dem Aufwertungsschock vom Januar 2015 war der Konjunkturdämpfer gering. Doch ist auch klar, dass die Inflationssteuerung unter solchen Umständen schwerer fällt, als wenn der Wechselkurs als Stabilisator der Konjunktur wirkt und konjunkturell bedingte Inflationsschwankungen verringert werden.

Keine Perfektion

Insgesamt gilt: Der Franken ist ein sicherer Hafen, allerdings kein perfekter. Das verhindert die Wechselkurspolitik der SNB. Mit dem Zustand einzelner Banken in der Schweiz hat das allerdings wenig zu tun.

*) Ulrich Leuchtmann ist Leiter des Devisen-Research der Commerzbank.

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