Korruptionsskandal

Beben im Europaparlament

Dem EU-Parlament droht ein Glaubwürdigkeitsproblem und damit als wichtiges Korrektiv in der europäischen Politik auszufallen.

Beben im Europaparlament

Als im EU-Parlament in Straßburg am Montagnachmittag die letzte Plenarwoche des Jahres eröffnet wurde, war für die Abgeordneten nichts mehr so wie noch wenige Tage zuvor. Die Korruptionsvorwürfe gegen die eigene Vizepräsidentin und die Durchsuchungen auch von Parlamentsbüros haben das Abgeordnetenhaus ins Mark getroffen. Und alle wissen, dass die Reputationsschäden, die hier gerade in der Öffentlichkeit entstehen, noch viele Jahre nachhallen können.

Es ist eine Szenerie, die sich kein noch so fantasievoller Drehbuchschreiber besser hätte ausdenken können: Es geht um ein Wüsten-Emirat, seine aktuell laufende, in Verruf geratene Fußball-Weltmeisterschaft, um Arbeitnehmerrechte, um eine geplante Visaliberalisierung und natürlich um Gasgeschäfte. Mittendrin eine griechische EU-Abgeordnete und weitere Verdächtige, die offenbar von den Scheichs geschmiert wurden. Dazu die Berichte von Tüten voller Geld, die von den Ermittlern gefunden wurden.

Diese Berichte diskreditieren eine ganze EU-Organisation quasi in ihrer Paradedisziplin. Denn es war das Parlament, das in der EU in den letzten Jahren am konsequentesten auf die Einhaltung von demokratischen Werten und den Kampf gegen Korruption gedrungen hat. Es war das Parlament, das in diesem Bereich immer wieder die EU-Kommission vor sich hergetrieben und die faulen Kompromisse der EU-Mitgliedstaaten angeprangert hat. Und es war das Parlament, das etwa beim Design des milliardenschweren Corona-Wiederaufbaufonds die klarsten Konditionalitäten und Rechenschaftspflichten von den EU-Ländern eingefordert hat.

Aktuell hat die EU ein echtes Problem mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán, der viele wichtige Entscheidungen blockiert, da Korruption in seinem Land zu milliardenschweren Mittelkürzungen führen könnte. Auch in diesem Prozess war das EU-Parlament die treibende Kraft. Es ist zu befürchten, dass das Abgeordnetenhaus in dem jetzigen Skandal so an Glaubwürdigkeit verliert, dass es als wichtiges Korrektiv im Gefüge der EU-Institutionen in Zukunft ausfällt.

Die richtigen Konsequenzen aus dem Skandal zu ziehen ist aber gar nicht so einfach. Denn es gibt im EU-Parlament schon ein recht strenges Transparenzregister, wo alle Kontakte mit Interessenvertretern öffentlich gemacht werden müssen und von dem viele Fachleute sagen, dass sich zum Beispiel der Deutsche Bundestag daran einmal ein Vorbild nehmen sollte. Es gibt Vorgaben für Nebentätigkeiten, einen Verhaltenskodex für Geschenke und vieles mehr. Und selbst die größten Befürworter für noch mehr Transparenz räumen ein, dass auch strengere Regeln den jetzigen Korruptionsfall wohl nicht verhindert hätten.

Das EU-Parlament hat gerade erst seinen 70. Geburtstag gefeiert. Und auch wenn es als Ko-Gesetzgeber mittlerweile eine bedeutende Rolle bekommen hat, ringt das Haus noch immer um zusätzliche Machtbefugnisse innerhalb der EU, was nicht nur das Recht betrifft, selbst Gesetze vorschlagen zu können. Die Bedingungen für die nächste Europawahl 2024 werden demnächst festgezurrt. Mehr Kompetenzen wird das Parlament aber wohl nur einfordern können, wenn der Korruptionsskandal überzeugend aufgeklärt wird.

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