Filme und Werbung

„Peng! Boom! Tschak!“

Die Region Stuttgart hat sich zu einem Zentrum für Animationsfilme und visuelle Effekte gemausert, das regelmäßig ins Rampenlicht rückt, wenn Film- und Fernsehpreise verliehen werden.

„Peng! Boom! Tschak!“

Wie an kaum einem anderen Ort der Welt hat sich in der Region Stuttgart eine Reihe von eng miteinander verflochtenen Firmen angesiedelt, die die gesamte Wertschöpfungskette der Automobilindustrie abdecken. Den Mittelpunkt dieses Clusters bilden die Werke von Mercedes-Benz und Porsche in Untertürkheim und Sindelfingen sowie Weissach. Im Schatten dieser in der Region dominierenden Industrie ist in den vergangenen Jahren ein viel kleineres, aber sehr erfolgreiches Cluster herangewachsen – ein Netzwerk für Animationsfilme und visuelle Effekte (VFX), das nicht nur in Hollywood einen guten Ruf genießt, sondern auch der gewerblichen Industrie vor Ort zugutekommt.

Seit der Science-Fiction-Film „Independence Day“ vor einem Vierteljahrhundert mit einem Oscar-Gewinn die Initialzündung dafür gab, schätzen auch große Filmstudios für internationale Projekte die Tricktechnik „Made in Schwaben“. So rücken die Animationsfilmer und Effektvirtuosen der Region Stuttgart regelmäßig ins Rampenlicht, wenn Film- und Fernsehpreise verliehen werden. Anfang des Jahres gab es einen Golden Globe in der Kategorie „Best Drama“ für die HBO-Serie „House of the Dragon“, für die die Pixomondo Studios ihre visuellen Effekte vornehmlich in Stuttgart entstehen ließen. Darüber hinaus ist Pixomondo aktuell für „House of the Dragon“ in zwei Kategorien der Visual Effects Society nominiert. Allein in den vergangenen vier Jahren kamen die Effektspezialisten von Mackevision auf fünf Nominierungen für den US-Fernsehpreis Emmy – zuletzt für „Lost in Space“ (2021) und „Stranger Things“ (2022).

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Etwas weiter zurück liegt die Emmy-Verleihung für die visuellen Effekte der US-Erfolgsserie „Game of Thrones“ an Mackevision (2014). Zwei Jahre vorher gab es gar einen Oscar für die in Stuttgart programmierten visuellen Effekte von Pixomondo in Martin Scorseses Film „Hugo Cabret“. Zusammen bringen die rund 30 Firmen für Filmeffekte in der Region einen Umsatz von 55 Mill. Euro (2020) auf die Waage, was ein Viertel des geschätzten bundesweiten Branchenumsatzes darstellt.

„Nirgendwo sonst in Deutschland, vielleicht sogar Europa, gibt es eine ähnlich große Anzahl derartiger Firmen an einem Standort“, sagt Dominique Schuchmann, Vorsitzender des Film- und Medienausschusses der IHK in der Region Stuttgart und Mitgründer der Effekteschmiede Mark13. Unterm Strich hat sich dabei die Gesamtzahl der Beschäftigten innerhalb des Clusters in den vergangenen acht Jahren auf rund 1000 mehr als verdreifacht.

Dabei ist die Auslastung in der Filmindustrie sehr projektabhängig und damit extrem schwankungsanfällig, weshalb die Verträge mit den meist freiberuflichen Artists für Spezialeffekte in der Regel von begrenzter Dauer sind. Um dem gegenzusteuern, sucht die Branche ihre Kunden auch bei der gewerblichen Industrie vor Ort, so dass die Kernauslastung oft vom Industrie- und Werbefilm getragen wird. Es wäre also falsch, die Clusterfirmen der Region nur auf den Animationsfilm und visuelle Effekte zu reduzieren.

Vom Industriefilm über Internetanwendungen in 3D sowie Kino- und Animationsfilme bis hin zu Werbung und audiovisuellen Inszenierungen im Raum decken die Effektspezialisten die gesamte Bandbreite ab. So hatte sich Mackevision seit ihrer Gründung 1994 auf 3D-Visualisierungen für Industrieproduktionen und auf die Visualisierung des Bildcontents für die Automobilindustrie spezialisiert. Damit wuchs das Unternehmen zu einem der Weltmarktführer für Computer Generated Imagery (CGI), was 3D-Visualisierung, Animation und visuelle Effekte umfasst, heran. Nachdem Mackevision zwischenzeitig an das belgische Private-Equity-Haus Gimv gegangen war, ist die Company seit 2018 Bestandteil des börsennotierten IT- und Unternehmensberaters Accenture mit Konzernfirmensitz in Dublin.

Inzwischen geht das Angebot von Mackevision über Konfigurationen für interaktive Produktpräsentationen der Autoindustrie hinaus. „Gefragt sind große Lösungen für andere Industrien wie Retail oder Fashion und das Metaverse“, sagt Heiko Burkardsmaier, Leiter VFX von Accenture Song Content Germany.

Während die meisten Mitarbeitenden des Unternehmens in Stuttgart für die Industrie tätig sind, gehören rund 70 zum VFX-Bereich, der deutsche Filme und die Streamingdienste bedient. Beide Bereiche erleben derzeit einen gewaltigen Boom. „Und das wird zumindest die nächsten zwei, drei Jahre weitergehen“, ist Burkardsmaier überzeugt. Die Streamingdienste von Netflix, Paramount Pictures, Apple oder Disney wollen schließlich mit Inhalt gefüttert werden. Ohnehin ist durch Corona die Nachfrage eher noch gestiegen. „Der Bedarf an Content ist daher ungeheuer hoch“, so der Accenture-Manager.

Als Nebeneffekt sieht er, dass die Produktion visueller Effekte für Serien wie „Lost in Space“ oder „Stranger Things“ im eigenen Hause für einen gewissen „Coolness-Faktor“ sorge, der die Identifikation mit dem eigenen Unternehmen fördert. Hinzu kommt, dass kaum mehr ein Film unter den Top-10-Kino-Produktionen zu finden ist, der noch ohne eine Form der Animation auskommt.

Innovationen mit visuellen Effekten aus dem Filmbereich kommen auch der industriellen Werbung zugute. Daher ist es für viele Studios sinnvoll, sowohl im Entertainmentbereich als auch in der Werbung tätig zu sein. Obwohl der Werbebereich derzeit extrem angespannt ist, sind dort höhere Margen als bei Animationsfilmen und VFX drin, ist in der Branche zu hören. Vor diesem Hintergrund hat Mark13 neben ihrem ersten Standbein für Animationsfilme eine zweite Firma gegründet, die Werbefilme produziert. „Werbung und Entertainment halten sich inzwischen die Waage“, sagt Schuchmann mit Blick auf das Umsatzvolumen.

Zu den Industriekunden zählen Audi, BMW, Daimler, BBDO, Scholz & Friends oder Trumpf. Die Zahl der Mitarbeiter schwankt je nach Projekt zwischen 15 und 70. „Die Firma ist ständig am Atmen“, sagt der Geschäftsführer. Bekannt geworden ist Mark13 mit animierten Kinderfilmen wie „Ritter Rost“, „Biene Maja“, „Wickie“ oder „Die Olchis“. „Doch wir sind vielfältiger aufgestellt“, erläutert Schuchmann mit Blick auf eine weitere, 2019 gegründete Tochterfirma, die seitdem Eigenproduktionen verantwortet und mit „Peng! Boom! Tschak! Films“ einen geradezu programmatischen Namen für die Branche trägt. Aktuell stecken die erste internationale Co-Produktion Quixote und für das ZDF die Serie „Minus Drei und die wilde Lucy“ in der Pipeline.

Den Nukleus des Branchenclusters bildete einst neben der Stuttgarter Hochschule der Medien (HdM) die 1991 gegründete Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Dort gilt der Ausbildungsansatz, wonach die rund 500 Studenten bei der praktischen Umsetzung eines Filmprojekts möglichst konkrete Erfahrungen sammeln sollen – Learning by Doing also.

Mit dem Erfolg der US-Produktion „Independence Day“ erlebte die „Filmaka“ im Jahr 1997 einen enormen Reputationsschub, nachdem sich Regisseur Roland Emmerich Studenten aus Ludwigsburg in sein Team nach Los Angeles geholt hatte und die Spezialeffekte des Films mit dem Oscar prämiert wurden. Spätestens seit dieser Zeit sind die auf Topniveau ausgebildeten Absolventen auf dem internationalen Markt heiß begehrt. „Es ist ein harter Wettbewerb, um die talentiertesten Köpfe zu gewinnen, zu halten und zu entwickeln“, sagt Christoph Malessa, COO des Studios Pixomondo Germany, das seit Oktober 2022 zu Sony Pictures gehört.

Geprägt ist die Branche aber nicht nur durch ein weltweites Ringen um die besten Artists, die sich ihre Jobs im Grunde aussuchen können, sondern auch vom Wettbewerb um die lukrativsten Aufträge der weltweit größten Studios. Insbesondere die Konkurrenten aus Vancouver, aber auch Großbritannien, Belgien oder Österreich sorgen für einen harten Wettbewerb, wenn es um die Vergabe von Projekten der internationalen Filmindustrie geht. So erfreuen sich in Kanada die großen amerikanischen Studios über Tax Incentives von 30% des Auftragsvolumens, die automatisiert vergeben werden.

Gewinn dank Zuschüssen

Auch die Stärke des VFX-Bereichs in Baden-Württemberg ist zu einem guten Stück auf die Politik der landeseigenen MFG Filmförderung zurückzuführen, für die das Land jährlich rund 16 Mill. Euro bereitstellt. Dies ermöglicht laut Malessa den lokalen VFX-Firmen, Aufträge für hochkarätige internationale Film- und Serienprojekte zu gewinnen. Dennoch: „Große Studios mit dicken Aufträgen gehen auf Dauer dorthin, wo sie die maximale Förderung finden“, warnt Schuchmann. Und weil ihm die Filmförderung im Land gerade für große US-Studios zu zeitaufwendig und bürokratisch erscheint, fordert Schuchmann für seine Branche eine kräftige Aufstockung des Subventionstopfes – am besten mit einer ergänzenden, automatisierten Förderung über Steuernachlässe. „Dann würde sich substanzielles Wachstum am Standort Stuttgart fortsetzen – Neugründungen inklusive“, sagt Schuchmann.

Tatsächlich heißt es in der Branche, dass sich die meisten Projekte ohne die Filmförderung des Landes nicht rechnen würden. Erst die staatlichen Zuschüsse machten das Geschäft profitabel. Und doch oder gerade deshalb gilt der Standort aufgrund der Kombination von staatlichen Subventionen und der netzwerkartig miteinander verbundenen Firmenansammlung als attraktiv.

Nicht von ungefähr haben die VFX-Spezialisten Scanline aus München, Rise Visual Effects Studios aus Berlin sowie, erst vor kurzem, die Werbefilmer von Psyop aus New York Dependancen in Stuttgart eröffnet. Auch ist es kein Zufall, dass Pixomondo mit Sitz in Frankfurt sein bundesweit größtes Office in Stuttgart unterhält.

Die baden-württembergische Filmförderung zeigt also Wirkung. „Dass die Community wächst, bereichert die Szene in Stuttgart natürlich ungemein“, sagt Schuchmann. So ermöglicht die Clusterbildung Austausch und Bündelung von Know-how. Aber auch Pleiten sind zu verzeichnen – so wie die von Luxx Studios, die sich durch die Schaffung virtueller Landschaften im Oscar-gekrönten Film „Grand Budapest Hotel“ hervorgetan hatte. Dafür sind neue Animationsfilmer aufgetaucht, etwa das Studio Overtoon in Freiburg oder das Gamestudio Kaleidoscube. „Je mehr Firmen sich ansiedeln, desto besser“, sagt Burkardsmaier.

Die Studios hätten es geschafft, die Region Stuttgart als bundesweiten Topstandort für Animationsfilme und visuelle Effekte zu positionieren, zieht Schuchmann als Vorsitzender des Film- und Medienausschusses der IHK eine Zwischenbilanz. Aber dies ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Denn irgendwann – in absehbarer Zukunft – will man klar europaweit an der Spitze stehen.

Von Thomas Spengler, Stuttgart

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