Doppelt abhängig vom Reich der Mitte

Merics-Studie: EU bei rund 100 Produkten an China gebunden - Deutschland größer Profiteur beim Export

Doppelt abhängig vom Reich der Mitte

Kein europäisches Land hat wirtschaftlich so vom Aufstieg Chinas profitiert wie Deutschland. Eine Studie der Denkfabrik Merics zeigt die Schattenseiten: Innerhalb der EU ist das Klumpenrisiko China nirgendwo größer – und bei mehr als 100 Produkten ist die Abhängigkeit der EU von chinesischen Zulieferern kritisch.rec Frankfurt – Die deutsche Volkswirtschaft hat wie kein zweites Land in der Europäischen Union vom Aufstieg Chinas und dem boomenden Handel profitiert. Zugleich ist die EU bei mehr als 100 Produkten in mehreren Sektoren in kritischer Weise abhängig von Lieferanten aus dem Reich der Mitte geworden. Das ist der zentrale Befund einer Studie zu den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen, die das Berliner Forschungsinstitut Merics gestern veröffentlicht hat.China ist zum zweitwichtigsten Handelspartner der EU nach den USA aufgestiegen. Seit 2000 haben sich die Handelsumfänge demnach fast verachtfacht, auf 560 Mrd. Euro im vorigen Jahr. Die Kehrseite: Für Deutschland bringt dieser an und für sich erfreuliche Exportboom ein erhebliches Klumpenrisiko mit sich.Laut Merics gehen mehr als 7 % aller Ausfuhren nach China – nirgendwo ist dieser Anteil höher (siehe Grafik). Für die Autohersteller ist China sogar der wichtigste Absatzmarkt. China schickt sich an, die USA als wichtigstes Abnehmerland für hiesige Produkte zu überholen. Während sich die Exporte in die USA mehr als ein halbes Jahr nach der weltweiten Ausbreitung des Coronavirus samt einschneidenden Maßnahmen zur Eindämmung nicht erholt haben, steht das China-Geschäft längst wieder unter Volldampf. Ausfuhrverbote sorgen EUDas ist auch für Importeure eine gute Nachricht, schließlich waren durch den anfänglichen Lockdown in China etliche Lieferketten kollabiert. Allerdings alarmierten Brüssel offenbar neue Exportverbote Chinas, die Peking vor wenigen Wochen verhängt hat. Diese zielen zwar in erster Linie auf Hightech-Produkte und gelten als Instrument im vom Handels- zum Technologiekrieg mutierten Konflikt mit den USA. Doch Peking hat ausdrücklich betont, die schwarze Liste könnte jederzeit um weitere Produkte ergänzt werden. Die EU hat dem Sekretariat der Welthandelsorganisation (WTO) seine Besorgnis über die Exportbeschränkungen mitgeteilt, wie aus einem gestern veröffentlicht WTO-Bericht hervorgeht.Die Sorgen kommen nicht von ungefähr. “In 103 Produktkategorien – darunter Elektronik, Chemie, Minerale/Metalle und Arzneimittel/Medizin – besteht eine kritische Abhängigkeit von Importen aus China”, konstatieren die Experten des Mercator Institute for China Studies (Merics). Ausgerechnet in der Elektronikbranche sei die Abhängigkeit am ausgeprägtesten, da viele Bausteine für Hightech-Produkte aus China geliefert würden. Von dort beziehen Firmen in der EU fast zwei Drittel aller Leiterplatten. Quasi vollständig auf China angewiesen ist die EU bei Vitamin B und dem Antibiotikum Chloramphenicol (siehe Tabelle). Merics-Chefökonom und Studienautor Max Zenglein sagte der Agentur Reuters: “Die Pandemie hat die gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeiten sichtbar gemacht.” Zugleich relativierte Zenglein: Die Wahrnehmung, Europa sei insgesamt “in kritischer Weise von China abhängig, ist überzogen”.