Steuernachzahlung

Ein Nach­zahlungs­zins auf Rädern wäre pragmatisch

Auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts erweist sich der hohe Zins für Steuernachzahlungen als zäh. Gastautor und Steuerexperte Bernd Jonas regt eine praktikable Lösung an.

Ein Nach­zahlungs­zins auf Rädern wäre pragmatisch

Der auf 77 Seiten sorgfältig begründete Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Steuerzinsen hat die Erwartungen mancher Steuerzahler enttäuscht. Mit Wirkung bis in die Gegenwart wird durch den Erlass einer sogenannten Fortgeltungsanordnung an den hohen Zinsen auf Steuernachzahlungen festgehalten. Der Beschluss war veranlasst durch zwei Verfassungsbeschwerden von zwei GmbHs gegen die Entscheidung von Oberverwaltungsgerichten der Länder Nordrhein-Westfalen und Bayern, die jeweils bei Zinsen auf nachzuzahlende Gewerbesteuern keine Bedenken gegen die gesetzlich vorgesehene Höhe von 6% p.a. erhoben.

Da die zugrundeliegenden Fälle symptomatisch für andere Betriebsprüfungsfälle sind, soll hier kurz auf deren Sachverhalte eingegangen werden: Im Fall aus Nordrhein-Westfalen lief die steuerliche Betriebsprüfung von Oktober 2006 bis Dezember 2012. Es ergab sich daraus ein zu verzinsender Zeitraum von mehr als sieben Jahren (April 2005 bis August 2012) und die streitbefangenen Zinsen erreichen gut 44% der als Folge der Betriebsprüfung geschuldeten Mehrsteuern. Ähnlich die Daten im Fall aus Bayern: Der Verzinsungszeitraum war länger als sieben Jahre (April 2007 bis Juli 2014) und die Zinsen erreichten 43,5% der nachzuzahlenden Steuern. Diese Zinsen sind das Produkt von Mehrsteuern nach Betriebsprüfung, gesetzlichem Verzinsungszeitraum und – steuerlich nicht abzugsfähigem – gesetzlichem Zins von 6% p.a.

Klare Worte des Gerichts

Zu der Länge der Verzinsungszeiträume nach Betriebsprüfungen hat das Bundesverfassungsgericht klare Worte gefunden: Unternehmen können die Dauer einer Betriebsprüfung nicht beeinflussen: „Letztlich be­stimmt allein die Finanzverwaltung oder die Gemeinde den konkreten Zeitpunkt der Steuerfestsetzung, der sich durch eine verzögerte Bearbeitung oder aufgrund von intern erforderlichen Abstimmungen mit höherrangigen Behörden zeitlich nach hinten verschieben kann“ (Rnr.119). Das Gericht hat von 2014 an einen strukturellen und nachhaltigen Trend zur Zinssenkung aufgrund der Finanzkrise festgestellt und dies unter anderem an folgenden Parametern festgemacht:

Entwicklung von Basiszinssatz gem. §247 Abs.1 BGB („grundsätzlich geeignet, klassischer Referenzzinssatz“, Rnr.186f.)

Zinsen am Kapitalmarkt (Anlagezinsen in 2014: 3,04%, Rnr. 209)

Zinssatz für Sparbücher (0,66% in 2014, Rnr.210)

Kreditzinsen von Privathaushalten mit 1,68 bis 9,38% (Rnr. 211, Höchstwerte im Bereich der Überziehungskredite, die aber laut Bundesverfassungsgericht nicht heranzuziehen sind, Rnr.173)

So sehr die Außerachtlassung von Überziehungskrediten überzeugt, so sehr verwundert es, dass wichtige Elemente der Unternehmensfinanzierung wie Anleihen oder Schuldscheine nicht in die Betrachtung einbezogen wurden.

Dabei erkennt das Bundesverfassungsgericht an anderer Stelle, dass Betriebsprüfungen die Hauptanwendungsfälle von Nachzahlungszinsen sind (Rnr. 17) und zu „beträchtlichen zusätzlichen Einnahmen des Fiskus führen. Diese resultieren vornehmlich aus geänderten Steuerfestsetzungen der Großbetriebe, die einer durchgängigen, sämtliche Besteuerungszeiträume umfassenden Prüfung unterliegen“ (Rnr. 21, hier auch Hinweis auf die Mehrergebnisstatistik des Bundesfinanzministeriums).

Die von 2014 an festgestellte Verfassungswidrigkeit entfaltet ihre Wirkung allerdings erst von 2019 an. Dies wird im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts mit dem Interesse des Fiskus an „einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung“ und an einem „gleichmäßigen Verwaltungsvollzug“ begründet. Grundlage dafür bildet eine sogenannte Fortgeltungsanordnung, die für den Zeitraum 2014 bis 2018 erlassen wurde und auch für Erstattungszinsen, die ebenfalls einen gesetzlichen Zinssatz von 6% haben, eine Bestandsgarantie bis 2018 bedeutet. Das Gericht kann sich dabei auf Entscheidungen – vor allem im Steuerrecht – berufen, in denen bei vergleichbarer Lage ebenso verfahren wurde.

Allerdings: Es war in den letzten Jahren festzustellen, dass das Volumen der Erstattungszinsen kaum geringer war als das der Nachzahlungszinsen. Wie dem Beschluss zu entnehmen ist, sind die ausgezahlten Erstattungszinsen in 2018 erstmalig höher gewesen als die Nachzahlungszinsen. Dies kann auch mit einem Anstieg der Anträge auf Aussetzung der Vollziehung der Bescheide über Nachzahlungen erklärt werden. Jedenfalls verliert das Haushaltsargument bei einer Saldobetrachtung deutlich an Gewicht.

Sehr zähe Regelung

Nicht ganz überzeugend erscheint auch die Dauer der Fortgeltungsanordnung. Wenn, wie oben gezeigt, das Gros der Zinszahlungen aus Prüfungen von Großbetrieben stammt, so ist zu konstatieren, dass deren Beendigung häufig erst in der Zukunft liegen wird und so z. B. noch im nächsten Jahr Zinsbescheide ergehen werden, die zum Teil noch Regelungen nach dem alten Recht beinhalten. Ein Beispiel: Die Be­triebsprüfung für die Jahre 2013 bis 2016 hat Mitte 2018 begonnen und endet im Sommer 2021, geänderte Steuerbescheide ergehen Ende 2021. Dann fallen für die vier Steuerjahre 57, 45, 33 und 21 Monate Verzinsungszeitraum unter das Regime der Fortgeltungsanordnung. Sie erweist sich so als sehr zäh, und das Hauptargument verliert an Überzeugungskraft, weil die Kassenwirksamkeit erst im Jahr 2022 entsteht.

Nach allem drängt sich die Frage auf, wie es so weit kommen konnte. In der Fachliteratur wurde schon zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts auf die sich anbahnende Entwicklung hingewiesen, woran das Bundesverfassungsgericht auch erinnert (Rnr. 233). Der IX. Senat des Bundesfinanzhofs hatte in einem Urteil vom 1.7.2014 für Verzinsungszeiträume nach dem 21. März 2011 darauf hingewiesen, dass „der Gesetzgeber bei dauerhafter Verfestigung des Niedrigzinsniveaus von Verfassungs wegen gehalten ist zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung zur gesetzlichen Zinshöhe auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist“. Daran hat der IX. Senat in seinem Aussetzungsbeschluss vom 25. April 2018 erinnert.

Man wird nicht sagen können, dass die Entwicklung gänzlich an der Politik vorbeigegangen ist, im Gegenteil: Am 25.4.2016 wandte sich der leider viel zu früh verstorbene ehemalige Finanzminister von Hessen, Thomas Schäfer, mit einer Initiative an die Öffentlichkeit. Die Pressemeldung beginnt mit folgenden Sätzen: „Wer dem Finanzamt Geld schuldet, sollte dafür in Zukunft nicht mehr mit unverhältnismäßig hohen Zinsen be­lastet werden. Der Bürger bekommt kaum noch Zinsen, der Staat langt mit 6% kräftig zu. Das passt in Zeiten der Niedrigzinsen nicht mehr zusammen. Wer sich darüber ärgert, tut dies zu Recht. Deshalb sollten wir handeln und die Zinsen für Nachzahlungen und Erstattungen an das gegenwärtige Kapitalmarktniveau anpassen.“ Das war an Deutlichkeit nicht mehr zu überbieten, aber der Appell verhallte, obwohl – wie wir jetzt wissen – der beschriebene Zustand im April 2016 schon seit mehr als zwei Jahren nicht mehr verfassungsgemäß war. In der Folge gab es immer wieder politische Initiativen, insbesondere von CDU/CSU, FDP (mehrfach), von Ländern wie Bayern und Hessen (Rnr.30, 31), und auch der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags wies mehrmals auf verfassungsrechtliche Risiken hin (Rnr.29, 32). Allein, gegen die Phalanx der anderen Parteien und auch gegen den Widerstand des Bundesfinanzministeriums, das in der Stellungnahme gegenüber dem Gericht allen Ernstes eine Zinsregelung mit Sanktionscharakter angeregt hatte („Zahlungsverzug“, Rnr.56, dagegen deutlich BVerfG, Rnr.191 und 194), war eine Änderung nicht durchzusetzen. Es bleibt zu hoffen, dass die vom Bundesverfassungsgericht gewählte Behandlung in Form der Fortgeltungsanordnung von den Parteien nicht bei vergleichbaren Gelegenheiten erneut zur Blockadehaltung führt.

Automatismus gefragt

Der Gesetzgeber ist vom Bundesverfassungsgericht aufgefordert worden, bis Ende Juli 2022 eine neue Regelung der Zinsen zu treffen. Unterdessen verharren die Zinsen immer noch auf einem historischen Tiefstand. Die Situation könnte aus Sicht der Politik für die Einführung eines „Zinses auf Rädern“ nach dem Muster des §247Abs.1BGB führen. Bei einem festen Zinssatz würde unter anderem das aktuelle Zinsniveau perpetuiert bzw. je nach Zinsentwicklung alsbald eine weitere Gesetzesänderung notwendig. Dies würde beim „Zins auf Rädern“ vermieden, weil automatisch Anpassungen erfolgen. Anwendungsprobleme könnten in der Praxis minimiert werden, wenn wie in §247 Abs.1 BGB verfahren würde und dabei jeweils eine Festschreibung des Zinssatzes auf ein Kalenderjahr erfolgt, indem auf die in §247 BGB vorgesehene innerjährige Anpassung zum 1.Juli verzichtet wird. Nachdem das Bundesverfassungsgericht an der 15-monatigen Karenzzeit keinen Anstoß genommen hat, sollte daran im Interesse der Handhabbarkeit für Finanzverwaltung und Steuerpflichtige festgehalten werden.

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