Industrie fehlt zusehends das Ruhepolster
Industrie fehlt zusehends das Ruhepolster
Auftragsbestand sinkt erneut – Reichweite bleibt aber stabil – Anstieg droht wegen Huthi-Angriffen auf Frachtschiffe
ba Frankfurt
Die deutsche Industrie kommt nicht zur Ruhe: Die maue Auftragslage hat im November das Auftragspolster erneut schrumpfen lassen. Damit dürfte sich die Konjunkturerholung weiter verzögern. Denn die Unternehmen haben den Rückstand durch die Lieferengpässe infolge der Corona-Pandemie weitestgehend abgearbeitet und dürften nun vermehrt die Produktion einschränken. Ändern könnte sich die Situation allerdings, wenn sich die Situation im Roten Meer weiter zuspitzen würde bzw. länger andauern sollte. Wegen der anhaltenden Angriffe der Huthi-Rebellen auf Frachtschiffe nehmen Reedereien den Umweg über das Kap der Guten Hoffnung in Kauf, der allerdings die Fahrtzeit um bis zu 20 Tage verlängert und die Frachtkosten in die Höhe treibt.
Laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) ist der preis-, saison- und kalenderbereinigte Auftragsbestand im verarbeitenden Gewerbe im November um 0,7% zum Vormonat gefallen. Während die offenen Bestellungen aus dem Ausland um 0,8% abnahmen, verringerte sich der Bestand an Aufträgen aus dem Inland um 0,4%. Im Jahresvergleich sank der Auftragsbestand kalenderbereinigt um 5,7%. „Der Auftragsbestand schmilzt weiter dahin und mit ihm die Chance auf eine wirtschaftliche Erholung“, erklärte Alexander Krüger, Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. Der Auftragseingang hatte im November nur dank der volatil ausfallenden Großaufträge um 0,3% zum Vormonat zugelegt. Im stabileren Dreimonatsvergleich ergab sich ein Minus von 4,5% zu den drei Monaten zuvor. Vor allem die schwache Auslandsnachfrage belastet derzeit die Industriekonjunktur.
Autoindustrie belastet erneut
Erneut war es die für Deutschland wichtige Automobilindustrie, die den Rückgang des Auftragsbestands im Vormonatsvergleich maßgeblich beeinflusst hat: Wegen der Lieferengpässe hatten sich hier in den Jahren 2020 bis 2022 historisch hohe Auftragsbestände angestaut. Seit Februar 2023 ist der Auftragsbestand aber rückläufig – in einer längerfristigen Betrachtung allerdings weiter auf hohem Niveau. Für November melden die Wiesbadener Statistiker ein Minus von 3,7%, im Oktober waren es –2,9%.
Die Reichweite, also die Zeit, die die Unternehmen bei gleichbleibendem Umsatz theoretisch produzieren müssten, um die bereits vorhandenen Aufträge abzuarbeiten, blieb hingegen konstant bei 6,9 Monaten. Im September waren es allerdings noch 7,0 Monate nach 7,1 Monaten im August und 7,2 Monaten im Juli.
Auftragsbestand und Reichweite waren wegen der Lieferkettenprobleme während der Corona-Pandemie rasant gestiegen und sind weiter auf erhöhtem Niveau. Die angespannte Lage im Roten Meer und die verlängerte Fahrzeit wegen des Umwegs lassen Sorgen aufkommen, es könnte erneut zu Materialengpässen und Produktionsstopps kommen. Noch aber sei es nicht so weit, beschwichtigt Julian Hinz vom IfW Kiel. Auch wenn im Dezember die Frachtmenge im Roten Meer um die Hälfte eingebrochen ist und erste Firmen wie etwa Tesla deswegen die Produktion gestoppt haben. Vincent Clerc, Chef der dänischen Reederei Maersk, warnte davor, dass es zu mehreren Monaten andauernden Lieferkettenunterbrechungen kommen könne. Im Roten Meer verlaufen wichtige Routen zwischen Afrika und Asien sowie über den Suezkanal von und nach Europa. Die US-Regierung hat wegen der Angriffe die Huthi-Miliz im Jemen wieder auf die Liste weltweit agierender Terroristen gesetzt.