Paris

Das Ende der roten Marianne

Frankreichs Präsidenten nutzen die Gesichtszüge der Marianne auf Briefmarken, um zu zeigen, welche Werte ihnen besonders am Herzen liegen. Doch La Poste hat jetzt eine von ihnen abgeschafft.

Das Ende der roten Marianne

Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Wenn es um Neujahrswünsche geht, zeigen sich viele Franzosen kreativ. Statt einfach nur „frohes neues Jahr“ zu schreiben, wünschen sie ihren Freunden „365 Tage voller Glück“ oder heißen sie an „Bord des Fluges 2023 mit Glück, Liebe und Gesundheit im Gepäck“ willkommen. Statt Weihnachtsgrüßen werden im laizistischen Frankreich traditionellerweise Neujahrsgrüße verschickt. Egal ob per Mail oder per traditioneller Post hat man dafür bis zum 31. Januar Zeit.

Wer sich für einen klassischen Brief entscheidet, den erwartet jetzt allerdings eine Veränderung, denn die vertraute „Marianne rouge“ gibt es seit dem 1. Januar nicht mehr. La Poste hat die Briefmarke, die bisher zur Frankierung von bis zu 20 Gramm schweren, vorrangigen Briefen mit einer Zustellung innerhalb von 24 Stunden diente, durch eine Hybridversion ersetzt, den „e-lettre rouge“. Kunden müssen dafür ihr Dokument entweder über die Internetseite der Post schicken oder in einer ihrer Filialen einscannen. Es wird dann von ihr in der Nähe des Empfängers ausgedruckt, in einen Umschlag gesteckt und zugestellt. Diese neue Zustellungsart, die mit dem Postgeheimnis schwer vereinbar scheint, kostet mit 1,49 Euro sogar 6 Cent mehr als die rote Marianne.

Diese ist aus dem Leben von Franzosen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden, eigentlich nicht wegzudenken. Frankreich hatte bereits 1849 begonnen, auf Briefmarken Porträts von Persönlichkeiten abzubilden, die die Werte der französischen Republik verkörpern sollen. Den Auftakt bildete Ceres, die römische Göttin des Ackerbaus und der Fruchtbarkeit. Die erste Briefmarke mit einer Marianne, der Symbolfigur der französischen Republik, wurde jedoch erst 1944 auf Beschluss des von Charles de Gaulle in Algerien gegründeten Befreiungskomitees Comité français de Libération nationale gedruckt. Sie wurde dann nach und nach in den befreiten Gebieten benutzt.

Seitdem haben die verschiedenen Präsidenten Frankreichs die Marianne-Briefmarke dafür genutzt, die Werte auszudrücken, die für sie Vorrang hatten oder haben. So zeigte sich die ab 1945 dargestellte Marianne entschlossen, ihre Nachfolgerin ab 1955 kon­struktiv. Die 1961 von Jean Cocteau entworfene Marianne galt als Trendsetterin, während die von Emmanuel Macron 2018 in Auftrag gegebene engagierte Marianne kritisch und feministisch sein soll.

Sie wird es auch weiterhin geben, wenn auch nicht mehr in Rot, sondern nur noch in Grün, Türkis oder Lila. Die grüne Marianne dient zur Frankierung von Briefen, die La Poste bisher innerhalb von zwei, jetzt aber innerhalb von drei Tagen für 1,16 Euro zustellt. Neu dazugekommen ist die türkise Marianne. Sie kostet 2,95 Euro und soll Briefe frankieren, die innerhalb von zwei Tagen zugestellt werden. Um den hohen Preis zu rechtfertigen, verspricht La Poste, dass die mit ihr verschickten Briefe nachverfolgt werden können und dass es bei verspäteter Zustellung eine Entschädigung gibt.

Das Verschwinden der roten Marianne sei ein Schritt mehr in Richtung des Endes der Briefmarke, urteilt „Libération“. Für die Kunden gehe es heute nicht mehr vorrangig um Schnelligkeit, argumentiert La Poste, die 22000 Kunden befragt hat. „Wenn wir keine Veränderungen vornehmen, wird es das Ende der Post sein“, meint Philippe Dorge, der stellvertretende Generaldirektor der Gruppe. Mit der roten Marianne seien zuletzt 200 Millionen Objekte pro Jahr verschickt worden, mit der grünen Marianne dagegen 1,2 Milliarden Objekte pro Tag. Gleichzeitig sei die Zahl der mit der roten Marianne verschickten Briefe um 15% bis 20% jährlich gesunken. Deshalb lasse es sich nicht länger rechtfertigen, dafür täglich drei Flugzeuge und 300 Autotransporte zu nutzen, sagt Dorge.

Doch einen Brief, der innerhalb eines Départements verschickt werden solle, einzuscannen, die Daten zu speichern und dann auszudrucken, sei auch nicht besonders umweltfreundlich, geben Kritiker zu bedenken. Vor allem aber sei die Entscheidung, normale Briefe langsamer zuzustellen, angesichts des Versprechens großer Einzelhändler, bestellte Waren innerhalb eines Tages zu liefern, unverständlich.