Fresenius

Ende einer Qual­verwandt­schaft

Es bedurfte einer langen Leidensphase, bis Fresenius bei der Dialysetochter FMC nach den Regeln des Kapitalmarktes für klare Verhältnisse sorgt.

Ende einer Qual­verwandt­schaft

Die Familienverhältnisse waren von Anfang an unübersichtlich. Als das Traditionsunternehmen Fresenius im Jahr 1996 zum Coup ansetzte und in einem hoch konsolidierten Markt im Dialysegeschäft an die Weltspitze strebte, musste sich die Gesellschaft zweiteilen. Damals bezeichnete sich Fresenius augenzwinkernd noch als Mittelständler; der Umsatz der Gruppe lag nach starken Jahren des Wachstums mit Gesundheitsprodukten bei 2,2 Mrd. D-Mark. Doch das Ego war groß genug, um sich einen fast doppelt so großen US-amerikanischen Wettbewerber einverleiben zu wollen. In bar wäre der Kaufpreis für das Dialysegeschäft der National Medical Care (NMC) schwer zu stemmen gewesen. So gliederte Fresenius das eigene Dialysesegment aus, um es mit dem US-Konkurrenten zu verschmelzen und die neue Einheit als Fresenius Medical Care (FMC) in New York und Frankfurt an die Börse zu bringen.

Aus dem Quantensprung entstand der größte vertikal integrierte Dialyseanbieter der Welt mit 25000 Mitarbeitenden und 3,6 Mrd. Dollar Umsatz. Geschaffen wurde aber auch die doppelte Fresenius, wobei das Mutter-Tochter-Verhältnis mit einer Mehrheitsbeteiligung von 51,9% an FMC zum Start noch im Lot war. Doch schon damals war klar, dass die Beziehung von einem weiteren Expansionsdrang beider Einheiten strapaziert werden würde. Und der Coup in den USA sollte ja erst der Auftakt sein.

Wie heute noch folgte das Fresenius-Management damals der Strategie, alle Sparten in ihren jeweiligen Märkten an die Spitze zu führen – FMC also ebenbürtige Geschwister an die Seite zu stellen. Über oft milliardenschwere Akquisitionen hat Fresenius über die Jahre das Krankenhaussegment und das Geschäft mit Infusionslösungen und Pharmaprodukten ausgebaut und diversifiziert. Auch diese Aktivitäten sind in jeweils eigenständige Tochterfirmen gegliedert worden, um sie gegebenenfalls an die Börse zu bringen. Das war in der Zeit klare Ansage, wurde unter einem neuen Management aber kassiert, um den Erfolg nicht mit außenstehenden Investoren teilen zu müssen. Die Diskussion über Portfolio und Konglomeratsstruktur ist damit so alt wie die Konstruktion des Konzerns selbst. Der 2022 an den Start gegangene CEO Michael Sen will fürs Erste ebenfalls alle Anteile an den großen Tochterfirmen Helios und Kabi im Konzern halten – auch um die Komplexität im Portfolio nicht weiter zu erhöhen. Angesichts der schwierigen Ertragslage stehen richtigerweise erst mal Aufräumen und Kostensenkung auf der Agenda, aber auch die Entflechtung.

Die familiären Verrenkungen wurden über die Jahre immer verzwickter. Um die Attraktivität der Aktie zu steigern, wandelte FMC 2005 die Vorzugsaktien in Stämme. Dabei verwässerte die Beteiligung von Fresenius auf 36,9%. Damit die Großaktionärin ihren beherrschenden unternehmerischen Einfluss nicht verliert, wurde FMC gleichzeitig in die Kommanditgesellschaft auf Aktien gesteckt. So sollte Fresenius die Fäden in der Hand behalten, solange ihr Anteil mehr als 25% beträgt. Gut gedacht, aber das Konstrukt entwickelte sich zunehmend zur Qualverwandtschaft.

Bei aller erfolgreichen Expansion über viele Jahre und allem ertragsstarken Wachstum hatte Fresenius immer wieder mit dem Problem zu kämpfen, dass die Marktkapitalisierung die Wertsteigerung der Sparten nicht adäquat abbildete. Wurde das herausgerechnet, was die Dialysetochter FMC an der Börse auf die Waage brachte, blieb über lange Phasen erschreckend wenig übrig. Die Schwesterfirmen standen im Schatten, was die Forderung außenstehender Investoren nach Zerschlagung beflügelte. Als Fresenius im März 2009 zehn Jahre später als FMC in den obersten Börsenindex Dax aufstieg, machte die FMC-Beteiligung von 36% fast zwei Drittel des Marktwerts von Fresenius aus. Dieses Bild hat sich immerhin gedreht, seitdem der Glanz der mit Ertragsproblemen belasteten FMC verblasst ist. Heute macht das FMC-Paket von 32% gerade mal ein Viertel des Börsenwerts von Fresenius aus – und FMC muss ihren Platz im Dax räumen. Die Börsenperformance ist leider bei beiden Firmen desaströs. Fresenius tut gut daran, nun klare Verhältnisse zu schaffen und die Familienstruktur so anzupassen, dass Eigentums- und Stimmrechte den Kapitaleinsatz abbilden und die Rechte der außenstehenden Anteilseigner nicht über intransparente Konstrukte beschränkt werden. Mit dem geplanten Wechsel von FMC zurück in die Aktiengesellschaft sollte wieder Klarheit herrschen über die wahren Kräfteverhältnisse im Gesellschafterkreis und das echte Gewicht der Dialysebeteiligung in der Bilanz von Fresenius. Das sind die Grundprinzipien im Kapitalmarkt.

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