Wirecard

Kontrolle mit Biss

Die parlamentarische Kontrolle ist im Fall Wirecard ihrer Rolle gerecht geworden. Eine Finanzmarktaufsicht mit Biss liegt dagegen in weiter Ferne.

Kontrolle mit Biss

Es war der Moment, an dem für die meisten Beobachter klar war, dass dieser Schlüsselzeuge im Wirecard-Untersuchungsausschuss wohl nicht mehr ins Wanken geraten würde. Denn als am vergangenen Mittwoch kurz vor Mitternacht die Lichter im Sitzungssaal im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus für ein paar Sekunden ausgingen und nur noch das rote Lämpchen des Mikrofons vor Jörg Kukies leuchtete, setzte der Staatssekretär, der als rechte Hand von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) so viele Berührungspunkte zum Fall Wirecard aufweist wie wohl kein anderer Spitzenbeamter, seine Aussage unbeirrt fort. Der ehemalige Investmentbanker, von dem sich die Opposition und die Union Antworten erhofft hatten, mit denen sie tags darauf den Finanzminister unter Druck setzen wollten, hatte sich da längst warmgeredet und verlor auch im Dunkeln nicht die Orientierung.

Scholz hatte wenig Mühe, die Linie zu halten, die Kukies in seinem zweistündigen Eingangsstatement und in der mehr als sieben Stunden dauernden Befragung vorgespurt hatte. Zwar konnte auch der SPD-Kanzlerkandidat die Vorwürfe gegen sein Haus, bei der Fachaufsicht über die Finanzmarktaufsichtsbehörde BaFin nachlässig gewesen zu sein und deshalb eine Mitverantwortung für den milliardenschweren Bilanzbetrug bei Wirecard zu tragen, nicht gänzlich entkräften. Doch sowohl Kukies als auch Scholz machten zumindest plausibel, warum das Ministerium keinen Grund sehen musste, das Leerverkaufsverbot, das die BaFin im Februar 2019 für Aktien von Wirecard erließ, zu stoppen. Die Maßnahme gilt nicht nur unter politischen Beobachtern als eine der gravierendsten Fehlentscheidungen der Behörden im Umgang mit Wirecard, weil Marktteilnehmer damit in der falschen Sicherheit gewiegt wurden, dass die Betrugsvorwürfe gegen das Unternehmen auf Eigeninteressen von Shortsellern zurückzuführen sind.

Eine Sonderbehandlung der Bundesregierung für das vermeintliche deutsche Fintech-Wunder wies zum vorläufigen Abschluss der Zeugenbefragung im Untersuchungsausschuss auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zurück, die noch im September 2019 auf einer China-Reise für die Expansionspläne von Wirecard warb, obwohl es zu diesem Zeitpunkt bereits zahlreiche Hinweise auf zumindest fragwürdige Geschäftspraktiken bei dem damaligen Dax-Konzern gab. Auf die Experten im Finanzministerium ließ Merkel vor dem Ausschuss aber ebenso wenig kommen wie auf ihren wichtigsten Wirtschaftsberater im Kanzleramt, obwohl keiner vor der Reise Vorbehalte gegen das Engagement für Wirecard anmeldete. Am Ende der viertägigen Befragung von Zeugen aus der Regierungsspitze hatte nur der ehemalige Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg einen politischen Preis zu zahlen.

Dem Lobbyisten, der Merkel die Expansionspläne von Wirecard in einem privaten Gespräch auf die Agenda ihrer China-Reise schmuggelte, kündigte die Kanzlerin am Freitag wenig verklausuliert die politische Freundschaft. Der Untersuchungsausschuss, dessen Arbeit voraussichtlich im Juni mit der Vorlage seines Abschlussberichts endet, hat politisch aber viel mehr bewirkt, als dem ehemaligen Posterboy der CSU den Zugang zum Kanzleramt zu versperren. So räumte sogar Scholz ein, dass erst der Untersuchungsausschuss den nötigen Druck erzeugt habe, um nötige Reformen in der Finanzmarktaufsicht und bei der Bilanzkontrolle angehen zu können. Was bisher geplant ist, reicht freilich nur, um den SPD-Kanzlerkandidaten unbeschadet über den Sommer zu bringen.

Die „beste Finanzmarktaufsicht der Welt“, die der Finanzminister in Aussicht gestellt hat, ist nur ein vages Versprechen, das an der Berufung von Mark Branson an die BaFin-Spitze festgemacht wird. Neues Personal ist wichtig, weil die Anpassung von Gesetzen nicht reichen wird, um der Aufsicht zu dem „Biss“ zu verhelfen, den Scholz fordert. Doch was im Ausschuss über Monate zu bestaunen war, ist eine insofern perfekt austarierte Aufsichtsmechanik, als sie die Verantwortung zwischen den zuständigen Behörden so fein zerreibt, dass sie, wenn das Licht angeht, in eine der vielen Ritzen gekehrt werden kann, in denen man für gar nichts verantwortlich ist. So hat bei Wirecard auch deshalb jede Kontrollinstanz versagt, weil immer gerade eine andere Instanz in der Pflicht zu stehen schien. Nur die parlamentarische Kontrolle ist ihrer Rolle gerecht geworden. Der erforderliche Kulturwandel in Aufsichtsbehörden, die am liebsten im Dunkeln sitzen bleiben, wenn die roten Warnlampen angehen, hat gerade erst be­gonnen.

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