Unicredit

Saphirhochzeit

Im Kern hält Unicredit-Chef Andrea Orcel die HVB organisatorisch an der kurzen Leine. Er agiert damit wie der Franzose Jean Pierre Mustier.

Saphirhochzeit

Mit Andrea Orcel an der Spitze von Unicredit hat die größte italienische Geschäftsbank auch ein neues Kapitel in ihrem Verhältnis zur HypoVereinsbank (HVB) aufgeschlagen. Der 58-jährige Topmanager ist der vierte CEO der Muttergesellschaft mit Sitz in Mailand seit der Übernahme des Münchner Geldhauses im Jahr 2005. Nach seinem Antritt als Konzernchef im April knüpfte er an eine „Tradition“ seiner früheren Amtsvorgänger Alessandro Profumo (bis 2010) und Federico Ghizzoni (bis 2016) an: In Personalunion ist er zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der deutschen Tochtergesellschaft.

Das sollte nicht als Folklore der HVB-Eigentümerin aus der Lombardei missverstanden werden. Es handelt sich um eine Machtdemonstration und Symbolpolitik der neuen Unicredit-Konzernführung nach innen, die eine Kernbotschaft beinhalten: Mit seiner Präsenz bei der HVB unterstreicht Orcel die Bedeutung des Standorts in Bayern für die Unicredit-Gruppe. Die HVB bleibt auch unter seiner Regie ein wichtiger Pfeiler in der Gesamtstrategie der Bankengruppe.

Im Kern hält er dabei die HVB organisatorisch an der kurzen Leine. Er agiert damit wie der Franzose Jean Pierre Mustier, auf den er im Frühjahr gefolgt ist. Längst sind die Zeiten vorbei, als die Münchner unter der Leitung von Theodor Weimer vor allem während der Regentschaft von Ghizzoni nach außen „unabhängig“ agieren konnten. Die Kräfteverhältnisse haben sich längst verschoben. In seinen jüngsten Personalrochaden bestätigte der neue Unicredit-Chef Weimers Nachfolger Michael Diederich, der die Bank seit Anfang 2018 führt, als Statthalter der deutschen Konzerntochter.

In diesem Korsett wird es für einen HVB-CEO zunehmend schwieriger, am Firmensitz eigene Akzente zu setzen. Als Mitglied des verschlankten Konzern-Managements (Group Executive Committee) ist Diederich zwar in die Entscheidungsprozesse der Mailänder Zentrale eingebunden, in der Hierarchie ist er aber an die Weisungen seines Vorgesetzten gebunden. Das zeigte sich bereits verstärkt in der zweiten Hälfte der Ära Weimer, als die HVB aufgrund des seinerzeitigen Umbau- und Sanierungsprozesses bei Personal- und Filialstreichungen nachlegen musste. Diese Entwicklung ist konsequent, gehört doch die Tochter der Unicredit komplett. Hinzu kommt, dass die Norditaliener die Zugriffsrechte, die ihnen das neue Aufsichtsregime der EZB gewährt, voll ausschöpfen können. Vorbei sind die Zeiten, in denen die deutsche Finanzaufsicht BaFin noch unterbinden konnte, dass sich Unicredit mit HVB-Kapital über Gebühr vollsaugt. Daran zeigt sich, welche Risiken die Bankenunion theoretisch birgt.

Es gibt keine Anzeichen, dass dieser Extremfall unter Orcel eintreten könnte. Nach schwierigen Zeiten ist die Bank überzeugend gesundet. Das zeigten zuletzt die robusten Halbjahreszahlen des Konzerns. Die HVB agiert derweil in einem Umfeld, in dem es immer schwerer fällt, den Margenverfall zu stoppen. Die beschleunigte Digitalisierung setzt die Branche derart unter Druck, dass herkömmliche Geschäftsmodelle auf Dauer nicht mehr tragfähig erscheinen. In diesem Kontext wird Diederich gegensteuern müssen, um für die HVB weiterhin auskömmliche Gewinne zu erwirtschaften. Das könnte auf zusätzliche Einsparungen hinauslaufen. Das aufwendige Filialnetz dürfte weiter ausgedünnt werden.

Im Gegensatz zu vielen gescheiterten Bankenzusammenschlüssen erweist sich die „Hochzeit“ von Unicredit mit der HVB aber als weitgehend stabile Beziehung, die wie in einer Ehe von guten und von schlechten Zeiten geprägt ist. 16 Jahre nach der Trauung – im Eheleben als Saphirhochzeit bezeichnet – kann Italiens Branchenprimus eine positive Bilanz ziehen. Ohne ihr kerngesundes und kapitalstarkes weiß-blaues Geldhaus hätte die nach wie vor unter einem Berg fauler Kredite stöhnende Unicredit ihre Sanierungs- und Restrukturierungsprozesse unter weitaus schwierigeren Bedingungen gestalten müssen. Womöglich hätte es ohne die Schecks von der HVB als Liquiditätszufuhr gar nicht funktioniert.

Seit ihrer Akquisition durch Unicredit schüttete die HVB an den Mutterkonzern insgesamt über 16 Mrd. Euro aus. Das übertrifft mittlerweile die Summe, die Unicredit einst als Kaufpreis berappen musste. Die drittgrößte deutsche Geschäftsbank agiert als verlässliche Stütze des Mutterkonzerns, die nach Milliardenverlusten gezwungen war, sich über Kapitalerhöhungen mit frischen Mitteln vollzupumpen, um das eigene Überleben zu sichern. Für Orcel ist das Geschichte. (Börsen-Zeitung, 16.9.2021)

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