Finanzmarktpolitik

Scholz kommt als Reformer spät

Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat die Finanzmarktpolitik erst entdeckt, als er musste. Nun türmen sich die Gesetzentwürfe.

Scholz kommt als Reformer spät

Seit dem Wirecard-Debakel hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz sein Herz für die Finanzmarktpolitik entdeckt. Der Bilanzskandal droht dem SPD-Kanzlerkandidaten unangenehm auf die Füße zu fallen. Die Opposition baut im Untersuchungsausschuss des Bundestags zunehmend Druck auf. Sehr schnell hat sich Scholz zum großen Reformer in Sachen Finanzmarkt aufgeschwungen: Die Bilanzkontrolle durch Aufsichtsräte, Wirtschaftsprüfer und Kontrollinstitutionen wie die BaFin und Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung soll mit dem „Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität“ (FISG) mehr Biss bekommen. Zusammen mit Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) brachte Scholz schließlich im Dezember 2020 den Entwurf des FISG durchs Kabinett und auf den parlamentarischen Weg. Das war höchste Eisenbahn, wenn das Gesetz rechtzeitig in Kraft treten soll. In einem Wahljahr enden die Sitzungswochen des Bundestags Anfang Juli. Bis dahin muss alles ordentlich beraten und beschlossen sein, um Gesetzeskraft zu erlangen und auch im Wahlkampf als Trumpf zu dienen.

Bis zum Auffliegen des Wirecard-Skandals hatte Scholz bei der Finanzmarktgesetzgebung deutlich weniger Eile an den Tag gelegt. Im ersten Jahr der Legislatur setzte der Minister EU-Recht um: zur Prospektverordnung, zu Verbriefungen und zur Aufsicht über betriebliche Altersvorsorgeeinrichtungen. National wurde die Zinszusatzreserve im Versicherungsaufsichtsrecht nachjustiert. Auch im zweiten Amtsjahr blieb die Liste kurz: Eingeführt wurden nach EU-Vorgabe spezielle Regeln für zentrale Gegenparteien im Sanierungs- und Abwicklungsgesetz und die Änderung der vierten EU-Geldwäscherichtlinie. Ende 2020 wurde die nationale Umsetzung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Eigenmittel und Liquidität aus dem EU-Bankenpaket beschlossen.

Früh in der Legislaturperiode angekündigte Vorhaben gingen nun erst auf den letzten Drücker durch das Kabinett wie im Dezember 2020 das Gesetz zur Einführung elektronischer Wertpapiere. Mit im Geleit waren zwei Vorhaben nach EU-Recht – die Ausgliederung der Aufsicht über Wertpapierfirmen in ein eigenes, neues Gesetz und die Novelle des Pfandbriefgesetzes gemäß den Vorgaben des europäischen Covered Bond. Sie werden ebenso noch vom Bundestag beraten wie die in der schwarz-roten Koalition heftig umstrittene Übertragung der Aufsicht über Honorarberater und freie Finanzanlagevermittler auf die BaFin. Zuständig sind bislang die ortsnahen Gewerbeämter oder Industrie- und Handelskammern. Die Koalition sucht noch nach einer bundeseinheitlichen, aber wenig bürokratischen Lösung.

Damit aber nicht genug. Der Finanzausschuss des Bundestags, der sich am Anfang der Legislaturperiode mangels Gesetzentwürfen zum Zeitvertreib Experten zur sogenannten Selbstbefassung einlud, kann jetzt kaum noch seinen Terminplan bewältigen. Auf der Agenda stehen neben einer ganzen Reihe steuerlicher Regelungen, darunter eine zur Abgeltungssteuer, aus dem Finanzmarktsektor noch das Fondsstandortgesetz, ein Entwurf zur Regelung von Schwarmfinanzierungsdienstleistern, ein Entwurf zur Stärkung des Anlegerschutzes und eine weitere Transparenzinitiative zur Geldwäschebekämpfung. All dies hätte früher kommen können. Mit dem Ende der Legislaturperiode im Kreuz steht die Beratung unter selbst gemachtem Zeitdruck, der keine gute Gesetzgebung verspricht. Wer hudelt, macht Fehler. Das Prinzip Gründlichkeit vor Schnelligkeit hat sich ins missliche Gegenteil verkehrt. Hinzu kommt: Zum Ende einer Legislaturperiode entfernen sich die Koalitionspartner wieder voneinander, um Profil zu gewinnen. Kompromisse werden sehr schwierig.

In einem weiteren von der Regierung angekündigten Punkt ist Scholz noch in der Lieferpflicht: zur nachhaltigen Finanzierung. Schon Anfang 2019 hatte der Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung beschlossen, Deutschland zum führenden Finanzplatz für Sustainable Finance auszubauen. Die Finanzagentur des Bundes hat auf dem Weg dahin bereits mit der grünen Zwillingsanleihe des Bundes einen Markstein gesetzt. Der eigens eingesetzte Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung legte jüngst detaillierte Empfehlungen vor. Nun ist die Bundesregierung mit ihrer Strategie am Zug. Viel davon wird erst eine neue Regierung nach der Bundestagswahl umsetzen können. Wer einen führenden Finanzplatz haben will, muss aber voranschreiten und darf nicht hinterherlaufen.