Messen

Virus des Virtuellen

Die Pandemie scheint etwas eingedämmt zu sein, aber für die globalen Großkongresse der Wirtschaft ist die Messe noch nicht gelesen.

Virus des Virtuellen

Während die Politik messbare Erfolge im Kampf gegen die Pandemie erkennt und sowohl Re­striktionen als auch wirtschaftliche Hilfen deutlich zurückfahren will, erschallt der Hilferuf einer Branche, die durch die Coronakrise ins Mark getroffen wurde: Messen und Kongresse, die sich als Ausstellungsorte für Neuheiten und globale Kontaktbörsen in zahlreichen Industrien als Taktgeber für Ideen und Wachstum verstehen. Seit Beginn der Krise sind weltweit rund 4000 Messen abgesagt worden, davon mehr als 2200 in Europa und über 800 allein in Deutschland, das sich für die Branche damit gleichsam als „Katastrophen-Hotspot“ darstellt. Die Deutsche Messe AG musste für das vergangene Jahr einen Verlust in dreistelliger Millionenhöhe verkraften, kleinere Wettbewerber sind in ihrer Existenz bedroht.

Um den Schaden zu begrenzen, hat die Branche den gleichen Rettungsanker geworfen, der in vielen Unternehmen landauf, landab unverzichtbar war, um den Geschäftsbetrieb irgendwie aufrechtzuerhalten. Auch die Messe als solches wurde in virtueller Form konzipiert, wobei mit Hilfe digitaler Plattformen und der ganzen Bandbreite neuer Kollaborations-Software wie Teams, Zoom, Webex und dergleichen versucht wurde, die Kernbotschaften der jeweiligen Veranstaltungen so gut wie möglich und so vielen wie möglich zu vermitteln. Insbesondere Technikmessen wie die weltgrößte Investitionsgüterschau in Hannover und die Berliner Unterhaltungsmesse IFA sowie auch die – seit dem Untergang der Cebit – wichtigste Technikmesse CES in Las Vegas haben sich dieser Herausforderung gestellt. Dabei ging es nicht nur darum, den aktuellen Geschäftsausfall zu minimieren, sondern auch die Bedeutung dieser Veranstaltungen zu unterstreichen, um eine belastbare Brücke in die Nachkrisenzeit zu schlagen.

Die bisherige Bilanz dieser virtuellen Kongress-Shows ist allerdings ernüchternd, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht – obwohl auch gerade dabei die Dimension gigantisch ist. Der Messeverband Auma beziffert allein in Deutschland den gesamtwirtschaftlichen Schaden durch Komplettausfälle und mangelnde Präsenzveranstaltungen bisher auf stolze 40 Mrd. Euro. Darin spiegelt sich der Zusammenbruch der gesamten Nahrungskette aus Verkehrs-, Hotel- und Gaststättengewerbe, die an die wichtigen Großveranstaltungen gekoppelt ist. Dies dürfte ein nicht unwesentlicher Grund sein, warum die Stadt Barcelona die Entscheidung der GSMA, den World Mobile Congress (MWC) 2021 wieder physisch durchzuziehen, eindeutig unterstützt. Erwartet werden bei der am kommenden Montag startenden Messe dennoch nur ungefähr 50000 Besucher, knapp die Hälfte des gewöhnlichen Andrangs. Auf eine Ergänzung durch virtuelle Elemente können die Betreiber nicht verzichten, da sie sich mit einer ganzen Reihe von Absagen, vor allem durch traditionelle Großaussteller wie Nokia, Ericsson oder Samsung, konfrontiert sehen. Für die GSMA ist es wichtig, diese trotzdem bestmöglich in die Messe einzubinden, zum einen, um die Informationsfülle für die Besucher zu maximieren, zum anderen, um die Aussteller nicht zu verprellen.

Denn es sind vor allem die Technologieriesen oder auch Telekom-Schwergewichte wie Vodafone oder Deutsche Telekom, die die Mittel haben, auch hochkarätige Eigenveranstaltungen zu konzipieren und diese virtuell oder später auch physisch durchzuziehen. Solche Firmenmessen, für die Apple in der Branche seit langem den Standard setzt – der iPhone-Konzern war noch nie auf dem MWC –, sind bereits in den vergangenen Jahren zu einer Gefahr für die etablierten Fachmessen geworden. Die Pandemie hat diesen Trend verstärkt, weil sich die großen Unternehmen entweder durch den Komplettausfall oder Defizite einer virtuellen Messevariante veranlasst sahen, 2020 und auch in diesem Jahr eigene Ersatz-Events aufzusetzen – auch virtuell zunächst. Je nachdem, wie Aufwand und Ertrag dabei am Ende von Unternehmen und „Besuchern“ (Kunden) bewertet werden, besteht aus Sicht der Messen das Risiko, dass einige ihrer wichtigen Großaussteller ihre künftige Teilnahme in Zweifel ziehen oder stark eingrenzen.

Deshalb müssen die Betreiber den Wert des physischen Formats herausstellen. Denn in diesem Format gewinnt eindeutig die globale Fachmesse, auf der sich einmal im Jahr eine gesamte Branche trifft. Der Aufwand für Messebesucher und Kunden, stattdessen eine Vielzahl von Firmen-Events abzuklappern, ist demgegenüber unverhältnismäßig hoch. Gerade die in Pandemie geübte Minimierung von Geschäftsreisen spricht für die traditionellen Messen.