Mindeststeuer

Von wegen Steuer­wett­bewerb­

Die Modernisierung der Regeln für Unternehmenssteuern, die auf der Notwendigkeit räumli­cher Nähe von Unternehmen zu ihren Märkten fußten, ist überfällig.

Von wegen Steuer­wett­bewerb­

Am Freitag und Samstag werden die Finanzminister der G20 in Venedig die Verständigung auf eine Reform des Regelwerks für Unternehmenssteuern verkünden. Alles andere wäre zumindest eine faustdicke Überraschung. Die Reform sieht eine globale Mindestbesteuerung von Unternehmen mit mehr als 750 Mill. Euro Umsatz in Höhe von 15% der Bemessungsbasis vor. Zudem sollen Teile der Einnahmen aus der Besteuerung der Gewinne hochprofitabler Unternehmen mit mehr als 20 Mrd. Euro Umsatz zwischen den Ländern, in denen diese Konzerne sitzen und in denen sie ihre Gewinne erwirtschaften, aufgeteilt werden.

Ist das tatsächlich der große Wurf, von dem Politiker seit Tagen schwärmen? Nein und ja. Nein, wenn der „kolossale Fortschritt“ (Finanzminister Olaf Scholz) so verstanden wird, dass die Reform jegliche Gewinnverlagerungen und Steuerdeals unmöglich macht. Ja, wenn man darauf abstellt, dass es nach langen Verhandlungen gelungen ist, gemeinsam – also durch eine multilaterale Einigung – substanziell im Kampf gegen notorische Steuervermeider voranzukommen. Und dass nun sogar Hoffnung besteht, den Streit über bilaterale Digitalsteuern und darauf reagierende Handelssanktionen zu entspannen.

Man sollte nicht vergessen: Es geht hier nicht um die Regelung irgendeines technischen Sachverhalts, sondern um eine brisante politische Frage, die den Kern des Vertrauens in den Rechtsstaat und die Marktwirtschaft berührt. Schließlich korrumpiert es das Gerechtigkeitsempfinden steuerzahlender Bürger, wenn sie zur Kenntnis nehmen müssen, dass international tätige Konzerne milliardenschwere Gewinne erzielen und faktisch nur Promillesteuern zahlen. Die ständig neuen Berichte über verschachtelte Tochtergesellschaften, dubiose konzerninterne Transfers und ungemein großzügige Vorbescheide der Finanzämter haben das Vertrauen in eine faire Besteuerung von Unternehmen bereits schwer beschädigt.

Nach Luxleaks & Co. stellt sich zudem die Diskussion über Vor- und Nachteile eines internationalen Steuerwettbewerbs in anderem Licht dar. Grundsätzlich gibt es viele gute Argumente dafür, den Standortwettbewerb auch über Steuersätze auszutragen. Doch die viele Jahre in einzelnen EU-Staaten geduldeten Praktiken wie „Double Irish Dutch Sandwich“ haben nichts mit intaktem Steuerwettbewerb zu tun. Auch haben die beihilferechtlichen Fälle von Apple über Starbucks bis hin zum belgischen „Excess profit“-Regime offenbart, dass sich Finanzbehörden nur allzu oft mit den Konzernen, für die sie zuständig sind, verbrüdern – sei es, um ihrer Abwanderung vorzubeugen, oder sei es, weil man ihnen gewähren möchte, wovon Konzerne andernorts profitieren.

Wird eine Mindeststeuer alle diese Probleme beheben? Nein. Aber der Fokus auf den Mindestsatz von 15% wäre ohnehin einäugig. Im Zusammenspiel mit der Neuverteilung des Steuersub­strats zwischen Sitz- und Marktländern sowie mit der in Europa beschlossenen länderbezogenen Veröffentlichungspflicht von Umsätzen und Steuerlast dürften die neuen Regeln indes durchaus dafür sorgen, dass aggressive Steuervermeidung erheblich schwieriger wird. Denn in ihrer Kombination werden die Vorgaben die Finanzbehörden zwingen, ihren Teil des Kuchens einzufordern – und das sogar wegen des Country-by-Coun­try-Reportings unter den Augen des Publikums. Na klar, natürlich geht es um Steuereinnahmen in einer Zeit, in der die Schulden pandemiebedingt in die Höhe geschossen sind. Aber es geht auch darum, dass Firmen, die keine Gewinne zwischen Töchtern verschieben, nicht länger gegenüber multinationalen Konkurrenten, die solche Praktiken nutzen, grob benachteiligt sind.

Wie immer kommt es jetzt auf die Umsetzung an. Das Entgegenkommen gegenüber den Briten, denen Ausnahmen für die Londoner City zugestanden wurden, lässt erahnen, wie kompliziert die Präzisierung der Vorgaben noch werden wird – und wie groß das Risiko der Verwässerung ist. Aus Sicht der EU wird es schon eine Herkulesaufgabe, Iren, Ungarn und Esten, die sich gemeinsam mit Oasen wie Barbados und St. Vincent gegen die Vereinbarung stellen, zu überzeugen – schließlich wird für EU-Verordnungen Einstimmigkeit benötigt.

Doch die Mühe lohnt. Die Modernisierung der bisherigen weltweiten Regeln für Unternehmenssteuern, die auf der Notwendigkeit der räumlichen Nähe von Unternehmen zu ihren Märkten fußten, ist in digitalen Zeiten überfällig. Umso wichtiger ist es, dass die Gruppe der 20 jetzt den nächsten Schritt nach vorn macht.