Notiert inFrankfurt

Wanderpokal trifft Fußball-Business

Der EM-Pokal macht Station in Deutschlands Fußball-Business-Hauptstadt. Von Turnierstimmung ist noch nichts zu spüren. Dabei wäre den Fans ein unbeschwerter Fußballsommer zu wünschen.

Wanderpokal trifft Fußball-Business

Notiert in Frankfurt

Wanderpokal trifft Fußball-Business

Von Lutz Knappmann

Von einem Ansturm zu sprechen, wäre eine milde Übertreibung. Zwei Dutzend Passanten stehen im Frankfurter Hauptbahnhof Schlange, um sich mit dem Pokal der Fußball-Europameisterschaft 2024 fotografieren zu lassen. Mitte Juni beginnt hierzulande Europas wichtigstes Fußballturnier – und die Uefa hat die versilberte Original-Trophäe auf Werbetour durchs Gastgeberland geschickt. Schließlich könnten die Menschen allmählich mal in Meisterschaftsstimmung kommen.

Diese Woche hat der europäische Wanderpokal in der deutschen Fußball-Funktionärshauptstadt Frankfurt, dem Sitz der beiden wichtigsten deutschen Fußballorganisationen, DFB und DFL, Station gemacht. Es erzählt deshalb einiges über das Selbstverständnis der Stadt, dass sie den heißbegehrten Henri-Delaunay-Pokal ausgerechnet in der maximalkommerziellen Einkaufsmall MyZeil und anschließend in der zugigen Bahnhofsvorhalle zur Schau stellen lässt. Während die Trophäe ein paar Tage zuvor noch Stargast auf dem Ehrenhof des Neuen Schlosses in Stuttgart war. So unterschiedlich kann Wertschätzung ausfallen. Nach einem neuen „Sommermärchen“ fühlt sich das alles noch nicht an.

Nun ist es mit dem Begriff „Sommermärchen“ ohnehin so eine Sache: Die schwelgerischen Erinnerungen an den fröhlichen und weltgewandten Weltmeisterschaftssommer 2006 sind seit langem überschattet von den skandalträchtigen Vorgängen, die einst zur Entscheidung für den Austragungsort geführt haben. Vorsicht also, welche Wünsche das große Fußballfest diesmal begleiten.

Dabei wäre es den Menschen in Deutschland und ganz Europa ja tatsächlich zu wünschen, in derart unruhigen Zeiten, geprägt von Kriegen, geopolitischen Spannungen, terroristischen Bedrohungen, wirtschaftlichen Verwerfungen und politischer Polarisierung, wenigstens einen Sommermonat unbeschwerter Fußballfreude erleben zu können. Eskapismus, vollkommen klar. Aber war das nicht schon immer der Zweck großer Sportevents?

Wenn also vom 14. Juni bis zum 14. Juli Zigtausende europäische Fußballfans zwischen den zehn deutschen Austragungsstätten hin und her pendeln, gemeinsam jubeln, fiebern und feiern, erleben sie hautnah, warum ein geeintes Europa noch immer eine ziemlich gute Idee ist. Und welche verbindende Kraft gemeinsame Erlebnisse und Leidenschaften entwickeln können. Wenn es denn gelingt, wieder ein lebensfrohes Turniergefühl zu entfachen – und die kommerziellen Aspekte des Fußball-Business für ein paar Tage auszublenden.

Welche Stadt könnte das besser beurteilen als Frankfurt, das Epizentrum der deutschen Fußballwirtschaft, in dem die Anhänger des Heimatvereins schon den Einzug der Eintracht ins Europa-League-Finale ausgelassener feierten als viele FC-Bayern-Fans die letzte Meisterschaft. Gemessen an der Aufmerksamkeit für den EM-Pokal ist da freilich noch Luft nach oben.

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