LeitartikelMeme-Aktien

Warum das Zocken mit Tupperdosen der Altersvorsorge schadet

Tupperware verkommt zum Meme: Junge Spekulanten zocken die Aktie des kriselnden Plastikdosenkonzerns in absurde Höhen. Eine ganze Anlegergeneration erlebt Aktienhandel als Computerspiel. Mit der Altersvorsorge wird das so nichts.

Warum das Zocken mit Tupperdosen der Altersvorsorge schadet

Tupperware-Aktie

Zocken mit Plastikdosen

Von Lutz Knappmann

Wer Aktienhandel als adrenalinreiches Spiel kennenlernt, wird ihn kaum als langfristige Vorsorgestrategie wertschätzen.

"Speed Stacking“ heißt ein besonders bei jungen Menschen beliebtes Spiel. Ziel beim – etwas roh übersetzt – „Sportstapeln“ ist es, ein Dutzend Plastikbecher in Windeseile zu einer Pyramide aufzutürmen. Der Schnellste gewinnt, es geht um Sekundenbruchteile. Wenn also die Rede davon ist, dass junge Menschen dieser Tage gerne mit der hoffnungslos aus der Zeit gefallenen Tupperware spielen, vulgo: zocken, dann liegt es nahe, den Trend im, nun ja, sportlichen Kontext zu verorten. Mit stapelbaren Plastikgefäßen kennt sich Tupperware schließlich aus.

Weit gefehlt: Es ist die Tupperware-Aktie, die zum Spielball einer digital bestens vernetzten Generation von Anlegern geworden ist. Im April hatte der Kunststoffkastenkonzern durchblicken lassen, dass ihm das Geld ausgeht und seine Existenz infrage steht. Die Folgen für den Aktienkurs waren erwartbar verheerend. Monatelang dümpelte die Aktie mit dem eingängigen Symbol TUP auf Penny-Stock-Niveau – bis der Kurs Ende Juli plötzlich steil nach oben drehte. Binnen weniger Tage schoss die Aktie von 61 Cent auf annähernd 6 Dollar. Nachrichten, die diesen Trend stützen: Fehlanzeige.

Wer Aktienhandel als adrenalinreiches Spiel kennenlernt, wird ihn kaum als langfristige Vorsorgestrategie wertschätzen.

Die Meme-Aktien sind zurück. Tupperware ist das neue Gamestop. Risikofreudige oder einfach nur gierige Trader spekulieren mit TUP auf kurzfristige Gewinne. Eine neue Runde hat begonnen im Machtkampf zwischen vorwiegend institutionellen Shortsellern und über Onlineforen koordinierten Privatanlegern: Zuletzt ist Marktdaten zufolge rund ein Viertel der Tupperware-Aktien leerverkauft worden. Ein signifikanter Teil der Investoren rechnet also mit einem neuerlichen Kurseinbruch. Ein nicht minder signifikanter Teil der Investoren hingegen hat sich offenbar vorgenommen, die Shorties zu widerlegen und ihre riskanten Wetten platzen zu lassen, indem sie den Aktienkurs mit gemeinsamer Kraft nach oben treiben. Short Squeeze nennt sich dieser Mechanismus, der 2021 mit dem spektakulären Hype um die Aktie des kriselnden Videospielehändlers Gamestop erstmals einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde. Und der einzelne Hedgefonds tatsächlich in Existenznot brachte.

Dass die wilde Zockerei das eigentliche Ziel des Börsenhandels konterkariert, Unternehmen eine zuverlässige Finanzierung zu ermöglichen, versteht sich von selbst. Gleiches gilt für die im Grundsatz ja erwünschte, stabilisierende Wirkung von Hedging-Strategien. In der Hoffnung auf kurzfristige Spekulationsgewinne haben hehre Grundsatzfragen für die beteiligten Trader noch nie eine Rolle gespielt. Das Neue daran ist aber, dass die Spekulationsexzesse längst nicht mehr nur in der Nische versierter Profi-Trader stattfinden, sondern mit großzügiger Unterstützung einer breiten Basis junger, häufig wenig erfahrener Kleinanleger.

Der Kontrast zur Realität könnte kaum größer sein: Endlich führt Deutschland eine Debatte darüber, wie Aktien zum selbstverständlichen Bestandteil der Altersvorsorge werden können. Sogar Ideen für eine Aktienrente finden ihren Weg in den politischen Diskurs. Niemand würde schließlich bestreiten, dass das gegenwärtige Rentensystem allein nicht ausreichen wird, um die heranwachsende Generation abzusichern. Jene Generation, die den Aktienhandel gerade allerdings vor allem als großes Computerspiel kennenlernt.

Diese Sorge als griesgrämigen Kulturpessimismus abzutun, greift zu kurz: Dank Onlinebrokern, Trading-Apps und Null-Euro-Orderprovision ist es für Einsteiger so einfach und günstig wie noch nie, mit Wertpapieren zu handeln. Die Gamifizierung des Aktienmarktes schafft für viele junge Kunden überhaupt erst den Reiz, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Und wenn die Trading-App sie schon auf dem Startbildschirm damit begrüßt, dass die Tupperware-Aktie gerade „Trending in Deutschland“ ist: Wer würde da nicht verstehen, wenn sie dem Impuls nachgeben, von der herbeigezockten Rally profitieren zu wollen? Wer Börsenhandel als adrenalinreiches Spiel kennenlernt, dem wird es freilich schwerfallen, ihn auch als langfristige Vorsorgestrategie wertzuschätzen. Eine Aktienkultur, die Vertrauen entwickelt in ihre nachhaltige Rolle für die Alterssicherung, entsteht so nicht.

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