Lieferando-Gründer

Deutschlands Lieferkönig

Lieferando-Mitgründer Jörg Gerbig beherrscht den deutschen Markt für Online-Essensbestellungen. Bei der Muttergesellschaft Just Eat Takeaway.com ist er für das operative Geschäft verantwortlich.

Deutschlands Lieferkönig

Von Helmut Kipp, Frankfurt

Wer in Deutschland Essen bei einem Onlinedienst bestellt, kommt an Lieferando nicht vorbei. Die Tochtergesellschaft der niederländisch-britischen Just Eat Takeaway.com dominiert den hiesigen Markt. Entsprechend üppig fallen inzwischen die operativen Margen aus. Im vergangenen Jahr erreichte der um Sondereinflüsse bereinigte Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen ein Drittel des Umsatzes. In der Segmentberichterstattung von Just Eat Takeaway ist nur der Heimatmarkt Niederlande noch profitabler.

Chief Operating Officer (COO) Jörg Gerbig wird die Entwicklung mit Wohlwollen sehen. Lieferando ist sozusagen sein Baby. Er gründete den Online-Essensanbieter im Jahr 2009 mit Christoph Gerber und Kai Hansen. 2014 schluckte Takeaway das Unternehmen. Es folgte ein ebenso erbittertes wie verlustträchtiges Ringen um Kunden und Marktanteile mit Delivery Hero (Lieferheld, Foodora, Pizza.de). Der Lieferkrieg fand im Dezember 2018 mit dem Erwerb des Deutschlandgeschäfts des in Berlin ansässigen Konkurrenten für damals knapp 1 Mrd. Euro ein Ende. Damit räumte Delivery Hero das Feld und ist seither nicht mehr in Deutschland unterwegs. Bald trat auch die britische Deliveroo, die jetzt kurz vor dem Börsengang in London steht, den Rückzug an.

Allein unterwegs

Seither gilt Lieferando quasi als Monopolist, abgesehen von kleinen Wettbewerbern in einzelnen Städten wie die finnische Wolt. Den Marktanteil gibt Just Eat Takeaway mit knapp 100% an. Wobei das eine Frage der Marktabgrenzung ist. Die meisten Essen werden nach wie vor telefonisch direkt beim Restaurant oder Pizzadienst bestellt, laufen also gar nicht über einen Plattformbetreiber. Die hohen Margen in Deutschland hängen auch damit zusammen, dass Lieferando die kostenträchtigen Kurierfahrten meist den Restaurants überlässt und sich auf die lukrative Vermittlung der Bestellungen be­schränkt. Nur 7% der Orders in Deutschland liefert das Unternehmen selbst aus.

Mit der Lieferando-Akquisition legte Takeaway-Gründer Jitse Groen den Grundstein für den Aufstieg zu einem international führenden Player. Gerbig wechselte zu den Niederländern und stieg zum COO auf. Er war maßgeblich an der Integration der beiden Firmen beteiligt und trieb die Vereinheitlichung des Marktauftritts (ein Unternehmen, eine Marke, eine IT-Plattform) voran. Nach der Akquisition der britischen Just Eat will der Konzern nun auch die amerikanische Grubhub schlucken.

Bei Just Eat Takeaway, deren Geschäftsschwerpunkte in Großbritannien, Kanada, Deutschland und den Niederlanden liegen, ist Gerbig für Marketing, Verkauf, Kundenservice und den Bringdienst Scoober zuständig. Die Verantwortung für das Deutschlandgeschäft hat der 1981 geborene Manager im vergangenen Herbst an die Österreicherin Katharina Hauke übergeben. Nach dem Studium an der privaten European Business School in Oestrich-Winkel startete Gerbig seine Karriere 2005 im Bankgeschäft. Er arbeitete für die UBS Investment Bank als Analyst in London und als Associate Director in New York, bevor er Lieferando auf den Weg brachte.

Klagen über Provisionen

Als COO muss sich Gerbig auch dem Unmut am Geschäftsgebaren des Konzerns stellen. Fahrer fühlen sich überwacht. Sie klagen über Arbeitsbedingungen und Bezahlung, Restaurantbetreiber über Vertragsgestaltung und Provisionen. So wurde das Unternehmen mit der Kritik konfrontiert, digital bezahltes Trinkgeld komme bei Fahrern nicht an, die Ausrüstung sei unzureichend und Betriebsräten werde Mitsprache verwehrt. Für Restaurants sind Lieferdienste in Zeiten des Lockdowns eine der wenigen Möglichkeiten, überhaupt noch Essen zu verkaufen. Doch klagen darbende Gastronomen, dass Provisionen von 13% für Bestellungen und einschließlich Auslieferung von 30% ihnen kaum Luft zum Atmen ließen. Gerbig macht geltend, es sei für die kleinen Betriebe viel teurer, das alles selbst aufzusetzen. Zuletzt machten Nutzer dagegen Stimmung, dass der Essensvermittler in Deutschland Zehntausende eigener Websites betreibt, die dem Internetauftritt der Restaurants ähneln.

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