Vorstandsumbau

Eklat bei Thyssenkrupp

Außergewöhnlich: Durch Nutzung seines Doppelstimmrechts hat Siegfried Russwurm, Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp, die Vorstandsaufstockung gegen den Widerstand der Arbeitnehmerbank durchgeboxt.

Eklat bei Thyssenkrupp

Eklat bei Thyssenkrupp

Von Annette Becker, Düsseldorf

Keine Woche liegt die Bilanzpressekonferenz von Thyssenkrupp zurück und schon musste sich der Aufsichtsrat am Mittwoch erneut zusammensetzen. Diesmal ging es um Vorstandspersonalien, an denen sich ein heftiger Streit mit der Mitbestimmung entzündete. Denn neben der Bestellung eines neuen Finanzvorstands wird auch der Vorstand um zwei Köpfe aufgestockt, Letzteres gegen den Widerstand der Arbeitnehmerseite.

Kampfansage

Am Ende musste Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm von seinem Doppelstimmrecht Gebrauch machen, um Volkmar Dinstuhl und Ilse Henne mit Wirkung zum 1. Januar in das Führungsgremium zu bestellen. Ein Vorgang, der nicht nur selten, sondern gerade im mitbestimmten Thyssenkrupp-Reich außergewöhnlich ist. Normalerweise werden bei strittigen Themen in den Ausschüssen des Kontrollgremiums Kompromisse erarbeitet, die dann gemeinsam getragen werden. Das ist diesmal nicht gelungen, weshalb die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat anschließend von einem „Kulturbruch in der Mitbestimmung“ sprach. Die Kapitalseite im Aufsichtsrat und der seit Juni amtierende Vorstandschef Miguel Lopez hätten ihre Maske fallen lassen. Gebrochen werde mit der bewährten Mitbestimmungspraxis.

Zentralisierung

Zugleich drohen die Arbeitnehmervertreter ganz unverhohlen: „Diese Zäsur wird Spuren hinterlassen und dem bislang ausgewogenen und konstruktiven Dialog im Aufsichtsrat dauerhaft Schaden zufügen.“ Der Alleingang der Kapitalseite sende verheerende Signale an die Belegschaft. Im Kern geht es den Arbeitnehmervertretern darum, dass der Vorstand aufgestockt wird und zugleich konzernweit Spar- und Performanceprogramme laufen. „Der Druck ist maximal gestiegen.“

So weit, so nachvollziehbar, hatte Lopez seit seinem Amtsantritt doch kein Hehl daraus gemacht, dass er das Ruder bei Thyssenkrupp mit dem Performance-Programm Apex endlich herumreißen will. Konkret soll Apex binnen zwei Jahren einen Beitrag zum operativen Ergebnis von 2 Mrd. Euro leisten. Im Zentrum steht dabei weniger die Kostenseite als vielmehr profitables Wachstum. „Die Verbesserung der finanziellen Stärke unserer Geschäfte und die Dividendenfähigkeit des Unternehmens bestimmen maßgeblich unsere Agenda“, sagte Lopez. Ein größerer Arbeitsplatzabbau ist mit dem Performance-Programm nicht verknüpft.

Mit der Vorstandserweiterung auf fünf Köpfe wird auch die von Martina Merz eingeleitete Dezentralisierung zurückgedreht. Künftig trägt jedes Vorstandsmitglied mit Ausnahme des Finanzvorstands Verantwortung für einzelne Segmente. Auf diesem Weg soll das Performance-Programm stringenter durchgesetzt werden.

Von Mainz nach Essen

Während der neue Finanzchef Jens Schulte von außen kommt, rücken mit Dinstuhl und Henne zwei langjährige Manager in den Konzernvorstand auf. Schulte (Jahrgang 1971) fungiert seit 2016 als Finanzvorstand des Mainzer Glasherstellers Schott. Was den Manager zum Wechsel treibt, darüber gibt seine Vita Aufschluss. Denn nach ersten Stationen bei McKinsey und Goldman Sachs übernahm Schulte 2002 seinen ersten „Industriejob“ bei Siemens, eben jenem Unternehmen, bei dem auch BDI-Präsident Russwurm den Großteil seines Berufslebens verbrachte und für das auch Lopez viele Jahre gearbeitet hat.

Der Wechsel Schultes nach Essen soll in der zweiten Hälfte des im Oktober angelaufenen Geschäftsjahres erfolgen. Sein Vorgänger im Amt, Klaus Keysberg, hatte sich im September gegen eine Verlängerung seines im Juli 2024 auslaufenden Vertrags entschieden. Dass Keysberg und Lopez keine „ziemlich besten Freunde“ sind, war in der Bilanzpressekonferenz in der vorigen Woche nicht zu übersehen.

Operative Verantwortung

Während diese Personalie auch auf der Arbeitnehmerseite außer Frage stand, kam man bezüglich der Erweiterung des Führungsgremiums auf keinen gemeinsamen Nenner, obwohl die beiden neuen Vorstände aus den eigene Reihen rekrutiert wurden. Dinstuhl (51) hatte sich als M&A-Chef mit dem Verkauf der Aufzugsparte einen Namen gemacht und bekam bei dem im Mai 2020 ausgerufenen Portfolioumbau die Aufgabe, die in der Sparte Multi Tracks zusammengeführten Geschäfte zu verkaufen oder abzuwickeln.

Seit September dieses Jahres ist jedoch wieder alles anders. Denn Lopez verpasste dem Konzern einen neuen Spartenzuschnitt und verteilte die noch in Multi Tracks verbliebenen Geschäfte kurzerhand auf die neuen Divisionen. Als Konzernvorstand wird Dinstuhl künftig für Automotive Technology zuständig sein.

Henne kommt aus dem Werkstoffhandel (Material Services). Dem dortigen Bereichsvorstand gehört sie seit 2019 als CTO an. Sie bringe ausgewiesene Expertise in den Feldern Prozessdigitalisierung und Cybersecurity mit – Themen, um die sie den Konzernvorstand nun bereichern wird. Zudem zeichnet sie im Vorstand künftig für den Werkstoffhandel verantwortlich. Die Zuständigkeit für die neue Sparte Decarbon Technologies sowie das Stahlgeschäft übernimmt Konzernchef Lopez. Personalvorstand Oliver Burkhard bleibt für Marine Systems verantwortlich.

Wertberichtigt Seite 2