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Evan Spiegel kann sich in der erweiterten Realität jetzt noch mehr austoben

Der Mitgründer der Foto-App Snap hatte im Februar an der Börse mit dem ersten Quartalsgewinn der Firmengeschichte für Aufmerksamkeit gesorgt. Das Unternehmen sah sich noch besser in der Lage, das Geschäft mit der erweiterten Realität voranzutreiben.

Evan Spiegel kann sich in der erweiterten Realität jetzt noch mehr austoben

Von Karolin Rothbart, Frankfurt

Visionär, Revolutionär, Selfmade-Milliardär: Über diese Zuschreibungen für Evan Spiegel, den Chef und Mitgründer der Foto-App Snapchat, sind sich die Medien hier wie dort weitgehend einig − auch darüber, dass er einen gewissen Hang zur Überheblichkeit und Extravaganz hat. Uneinigkeit herrscht indes bei der Frage, ob der 31-Jährige nun eigentlich ein Nerd ist oder nicht. Die einen sagen ja, galt doch der in Kalifornien geborene Spross zweier Staranwälte schon zu Highschool-Zeiten als technologiebegeistertes Außenseiterkind, das sich in der sechsten Klasse einen eigenen Computer baute und von Mitschülern häufig gemobbt wurde. Die anderen sagen nein − denn über fundierte Programmierkenntnisse des heute mit dem australischen Model Miranda Kerr verheirateten Vaters zweier Söhne ist nichts bekannt.

Wer hat’s erfunden?

Das unterscheidet Spiegel von anderen Größen des Technologiesektors wie Mark Zuckerberg oder Larry Page, die Informatik studiert und darauf aufbauend Unternehmen aus der Taufe gehoben haben, die heute das Leben von Milliarden Nutzern bestimmen.

Spiegel selbst hat Produktdesign an der Eliteuniversität Stanford studiert − später aber abgebrochen, nachdem er dort gemeinsam mit seinem Kommilitonen Bobby Murphy im Rahmen eines Kursprojekts eine App mit Namen Picaboo entwickelt hatte, die es Nutzern erlaubte, sich gegenseitig selbstlöschende Fotos und Videos zu schicken. Die Entstehungsgeschichte dieses Vorläufers von Snapchat ist ähnlich verworren wie die von Facebook, denn auch hier kam es 2013 zu einem schmutzigen Rechtsstreit über die Frage, wer überhaupt die ursprüngliche Idee zu der App hatte.

In einer diesbezüglich eingereichten Klageschrift von Reggie Brown, damaliger Englischstudent und Mitglied in derselben Studentenverbindung wie Spiegel und Murphy, hieß es, dass „er allein“ im Jahr 2011 darauf gekommen und mit dem Einfall auf Spiegel zugegangen sei. Daraufhin sei auch Murphy mit ins Boot geholt und eine Dreier-Partnerschaft für die Entwicklung der App geplant worden. „In einem feigen Akt des Verrats wendeten sich die Beschuldigten plötzlich gegen ihren Freund und Bundesbruder und schlossen ihn physisch von dem Projekt aus, um sich seinen Teil des Profits anzueignen“, so der Vorwurf.

Brown, der angeblich auch das berühmte Geister-Logo entworfen hatte, forderte einen Anteil von einem Drittel an dem Unternehmen. Mit Blick auf den Ausgang des früheren Streits zwischen Facebook und den Winklevoss-Brüdern sahen Beobachter damals durchaus Chancen für eine Beteiligung des Geschassten.

Doch dazu sollte es nicht kommen. Erst vier Jahre später, die Firma hatte sich mittlerweile in Snap umbenannt, ging aus den für den Börsengang eingereichten Unterlagen hervor, dass man einer ungenannten Person insgesamt rund 158 Mill. Dollar gezahlt hatte, nachdem diese Snap wegen der unrechtmäßigen Nutzung geistigen Eigentums verklagt hatte. Für die Medien war sofort klar, dass es sich dabei um Brown handeln musste. Für Spiegel und Murphy war zu dem Zeitpunkt andererseits klar, dass ihnen der Gang aufs Parket bald schon ein Dasein als Multimilliardär bescheren würde. 25 Mrd. Dollar waren als Bewertung angepeilt. Nach dem ersten Handelstag brachte Snap 28 Mrd. Dollar auf die Waage. Spiegel und Murphy hielten damals je 20 % an dem Unternehmen.

Erschwerte Daten-Ernte

Mittlerweile haben sich die Anteile der beiden Gründer an dem Unternehmen zwar verringert. Allerdings sind aus den 28 Mrd. Dollar Börsenwert heute fast 60 Mrd. geworden. Noch im Spätsommer des vergangenen Jahres waren es zeitweise sogar mehr als 130 Mrd. Doch kurz darauf schlugen die verschärften Privatsphäre-Einstellung von Apple die Anleger sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter und eben auch Snap reihenweise in die Flucht.

Dadurch, dass App-Anbieter seit dem Inkrafttreten der App Tracking Transparency das Verhalten der Nutzer nicht mehr so einfach nachverfolgen können, ist es für Werbekunden schwieriger geworden, den Erfolg ihrer Anzeigenkampagnen zu messen, wie Snap im Oktober erklärte. Als Beispiel nannte das Unternehmen, dass Entwickler nicht mehr erkennen könnten, ob ein Nutzer die angepriesene App bereits installiert hat oder nicht.

Die Situation hat sich aber inzwischen gebessert, wie es zuletzt hieß. „Unser Vertriebsteam arbeitet hart daran, den Anzeigenkunden dabei zu helfen, sich an das neue Messverfahren anzupassen“, sagte Jeremi Gorman, Chief Business Officer von Snap, bei der Präsentation der Jahreszahlen vor Investoren in der vergangenen Woche. Viele Kunden würden mittlerweile auch die eigens von Snap entwickelten Mess-Tools verwenden. Immerhin: Gut ein Jahrzehnt nach der Gründung konnte das „Kameraunternehmen“, wie es sich heute selbst bezeichnet, im vierten Quartal erstmals unter dem Strich einen Gewinn vorweisen. 22,5 Mill. Dollar waren es, nach 113 Mill. Dollar Verlust ein Jahr zuvor.

Reale Welt ist nicht genug

Anlegern reichte das offenbar, um den Aktienkurs um 60 % nach oben zu treiben. Der freie Barmittelzufluss war im Gesamtjahr ebenfalls zum ersten Mal positiv. „Das ist ein wichtiger Meilenstein“, freute sich Spiegel. „Dadurch sind wir zunehmend in der Lage, unsere Zukunftsinvestitionen selbst zu stemmen und unsere Vision einer Verschmelzung der digitalen mit der realen Welt durch Augmented Reality zu beschleunigen.“

Was das Thema Augmented Reality (AR) angeht, ist der CEO, dessen Vermögen sich laut dem Wirtschaftsmagazin Forbes aktuell auf gut 7 Mrd. Dollar beläuft, auf jeden Fall ein Nerd. Seitdem im Jahr 2015 die ersten sogenannten „Lenses“, also AR-Filter, die zum Beispiel das Gesicht verzerren oder dem Nutzer Hundeohren aufsetzen, bei Snap zur Verfügung standen, richtet Spiegel die App immer konsequenter auf die Technologie aus.

Anfangs nur als Spaß für die Nutzer gedacht, kommen die Lenses heute vielfach auch im E-Commerce-Bereich zum Einsatz, etwa für eine virtuelle Anprobe von Schuhen und Kleidung oder aber auch beim Kauf von Möbeln, die via AR in den physischen Raum projiziert werden. „Unsere Community spielt heute durchschnittlich mehr als sechs Milliarden Mal am Tag mit den Linsen“, sagte Spiegel vergangene Woche. Die Werbekunden würden die AR-Tools auch immer stärker für ihre eigenen Websites und Apps nachfragen.

Im Mai präsentierte Snap zudem die vierte Generation ihrer Computerbrille „Spectacles“, mit der virtuelle Objekte via AR in einen Teil des Blickfelds eingeblendet werden können. Für das breite Publikum ist die Brille mit vier Kameras zwar unverkäuflich. Wie viele andere große Tech-Player glaubt aber auch Spiegel weiter fest an den künftigen Durchbruch solcher smarter Brillen − auch wenn erste Versuche floppten und der Firma teuer zu stehen kamen.

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