Europawahl 2024Kein einheitlicher Gesetzesrahmen

Internationale Wahl nach nationalen Regeln

Auch bei der mittlerweile zehnten direkten Wahl zum Europaparlament fehlt ein einheitlicher Gesetzesrahmen. Jedes Land macht, was es will.

Internationale Wahl nach nationalen Regeln

Internationale Wahl nach nationalen Regeln

Die Hürden für Politiker auf dem Weg ins EU-Parlament sind unterschiedlich hoch

ahe Berlin

Die alle fünf Jahre stattfindenden Wahlen zum EU-Parlament gelten mithin als Hochamt der europäischen Demokratie. Schaut man aber unter die Soutanen und Talare, merkt man schnell, wie unfertig selbst hier die Europäische Union noch ist. Denn für die größte Wahl auf dem Kontinent fehlt noch immer ein einheitlicher Gesetzesrahmen. Die internationale Wahl wird absurderweise nach nationalen Regeln ausgetragen.

Und das bedeutet, dass es unterschiedliche Wahlzeiten gibt mit unterschiedlichem Mindestalter für Wähler und Kandidaten. Die Sperrklauseln sind ebenso verschieden wie der Umgang mit im Ausland lebenden Wählern. Und schließlich sind in den einzelnen Mitgliedstaaten auch unterschiedlich viele Stimmen für ein Mandat nötig. Jedes Land macht, was es will, von Harmonisierung ist ausgerechnet hier keine Rede. Würde man die Wahlgrundsätze des deutschen Grundgesetzes zugrunde legen („allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim“), dürfte die Europawahl auch in diesem Jahr kaum so stattfinden, wie sie stattfindet.

Europawahl: Deutschland ein letztes Mal ohne Sperrklausel

In Deutschland werden im Juni erstmals auch Wähler ab 16 Jahren an die Urne gerufen, genauso wie in Belgien, Österreich und Malta. Griechenland hat sich für 17 Jahre entschieden. In den übrigen 22 Staaten sind es 18 Jahre. Noch unterschiedlicher fällt das Mindestalter der Kandidaten für ein Mandat in Brüssel und Straßburg aus: In 15 Ländern – einschließlich Deutschland – gilt als untere Grenze 18 Jahre, in neun anderen Staaten sind es 21 Jahre. In Rumänien muss man schon 23 Jahre alt sein, um sich fürs EU-Parlament zu bewerben, und in Italien und Griechenland sogar schon 25 Jahre.

In Deutschland gibt es 2024 – voraussichtlich zum letzten Mal bei einer Europawahl – auch keine Sperrklausel, was den Einzug kleinerer Parteien begünstigt. Deshalb sitzen aktuell auch insgesamt neun deutsche Abgeordnete der Piratenpartei, der Tierschutzpartei, der ÖDP, von Volt, der Familien-Partei, von „Die Partei“ sowie der Freien Wähler im EU-Parlament. Sehr zum Ärger dieser Parteien, die bei der letzten Europawahl immerhin 9% der Stimmen auf sich vereinigt haben, hat der deutsche Gesetzgeber aber in einer Wahlrechtsreform 2023 eine Wiedereinführung von Sperrklauseln beschlossen.

Deutschland hat die meisten Sitze

Für den nun anstehenden Urnengang – die zehnte Direktwahl eines Europäischen Parlaments – gilt aber: Zypern zieht eine Sperrklausel von 1,8%, Griechenland von 3%, Italien, Österreich und Schweden von 4%, und neun weitere Mitgliedsländer haben sogar eine 5%-Klausel.

720 neue Europaabgeordnete werden Anfang Juni gewählt. Das sind 31 weniger als noch vor fünf Jahren, als auch Großbritannien noch formal dabei war. Wie gehabt bleibt es für Deutschland bei der höchstmöglichen Zahl von 96 Sitzen – die mit Abstand meisten noch vor Frankreich (81), Italien (76), Spanien (61) und Polen (53). Frankreich, Spanien und die Niederlande erhalten dieses Mal zwei Sitze mehr, neun weitere Länder können sich nach einer Reform über zumindest ein zusätzliches Mandat freuen.

„Degressive Proportionalität“ bevorteilt kleinere Länder bei der EU-Wahl

In der Theorie problematisch, in der Praxis aber verständlich bleibt das Prinzip der „degressiven Proportionalität“, das im EU-Vertrag verankert ist. Dieser Grundsatz besagt, dass die Sitze im Parlament nicht nur nach Bevölkerungszahl auf die Mitgliedstaaten verteilt werden, sondern dass auch eine Art Mindestvertretung berücksichtigt wird. Anders gesagt: Abgeordnete aus größeren Ländern vertreten weitaus mehr Menschen als ihre Kollegen aus den kleineren Staaten, die dadurch aufgewertet werden. Jedes Land erhält mindestens sechs Sitze im EU-Parlament. Die Mindestzahl an Mandaten erhalten konkret Zypern, Malta und Luxemburg. Bei Estland sind es sieben Sitze, auf Slowenien entfallen neun.

Weil bei den Wahlterminen immer auch nationale Traditionen berücksichtigt werden, beginnt der diesjährige Urnengang bereits am Donnerstag, 6. Juni, in den Niederlanden. Es folgen Freitag und Samstag Irland, Tschechien, die Slowakei, Malta und Lettland. Der große Rest wählt am Sonntag – neben Deutschland sind auch die fünf Mitgliedsländer dabei, in denen es eine Wahlpflicht gibt: Belgien, Bulgarien, Zypern, Griechenland und Luxemburg. Die letzten Wahllokale werden am Sonntagabend erst um 23.00 Uhr in Italien geschlossen. Deutsche, die im Ausland leben, können sich auch per Briefwahl beteiligen. Im Ausland lebende Wähler aus Tschechien, Irland, Malta und der Slowakei werden dagegen ausgeschlossen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.