EU-Politik

Unter Freunden: Scholz‘ Antritts­besuch in Brüssel

Nur zwei Tage nach seiner Vereidigung reiste der Bundeskanzler Olaf Scholz zu seinem Antrittsbesuch nach Brüssel. „Ein ganz starkes Signal“ fanden das seine Gesprächspartner in Rat und Kommission.

Unter Freunden: Scholz‘ Antritts­besuch in Brüssel

Von Andreas Heitker, Brüssel

So voll wie am Freitagnachmittag war der Pressesaal der EU-Kommission im Berlaymont in den letzten Monaten selten. Aber Olaf Scholz, der sich zu seinem Antrittsbesuch angekündigt hatte, erregte in Brüssel Interesse. Später folgte noch eine Pressekonferenz im Rat auf der anderen Straßenseite. Hierfür waren bereits am Vortag umfangreiche Zugangsbedingungen veröffentlicht worden. Maximal 50 Journalisten. „First come, first served.“ Eine dritte Pressekonferenz war dann auch noch von der Nato am Abend angesetzt worden, die letzte Station von Scholz an diesem Tag.

Es hat sich in Brüssel halt herumgesprochen, dass in Berlin jetzt eine Koalition mit einem ausgesprochen europafreundlichen Programm im Amt ist. Könnte es tatsächlich sein, dass die Regierung Scholz zum Treiber für eine neue europäische Inte­gration wird? Der Leiter des ARD-Studios Brüssel stellt die entscheidende Frage: Auf Seite 131 des Koalitionsvertrags stünden Sachen wie mögliche Vertragsänderungen, ein Verfassungskonvent und die Weiterentwicklung der EU zu einem föderalen europäischen Bundesstaat, sagt er in der ersten Pressekonferenz. Werde es mindestens eines dieser Elemente in Scholz’ Amtszeit geben? Scholz sagt, er sei froh über diese eindeutige, sehr proeuropäische Positionierung und er glaube auch, damit „die entschiedene Mehrheitsmeinung der Deutschen“ zu treffen.

Der neue Bundeskanzler hat erkennbar gute Laune. In Brüssel erhält er Vorschusslorbeeren für seine Aufgaben in den nächsten Jahren. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, mit der er in Berlin in zwei verschiedenen Kabinetten gesessen hatte, sagt, der frühe Antrittsbesuch in Brüssel sei für alle ermutigend. Die frühere Verteidigungsministerin hofft, dass die Ampel-Koalition insbesondere den Green Deal und das dazugehörige Gesetzespaket „Fit for 55“ unterstützt sowie die neuen Digitalisierungsgesetze, und will mit Scholz auch noch die Herausforderungen durch die Pandemie und die aktuellen außenpolitischen Krisen besprechen. Scholz sagt, es gehe darum, eine starke, souveräne Union zu bauen. Anstatt von einer grüner Transformation der Wirtschaft spricht er lieber von „industrieller Modernisierung“.

Natürlich weiß auch Scholz aus seiner Zeit als Finanzminister nur zu genau, dass er ohne Frankreich dabei nicht vorankommt. Dass er am Freitagvormittag vor seinem Antritt in Brüssel erst noch nach Paris gereist war, war weit mehr als Folklore. Ob beim Umgang mit der Atomenergie, bei der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts oder in der Handelspolitik – die Vorstellungen des europafreundlichen Herrn Scholz und des europafreundlichen Monsieur Emmanuel Macron sind längst nicht immer deckungsgleich. Dass Frankreich im Frühjahr wählt und bereits am 1. Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, macht den Fokus der Ampel auf den westlichen Nachbarn noch bedeutender.

Für ein „ganz starkes Signal“ hält auch EU-Ratspräsident Charles Michel den Besuch des Kanzlers. Auf seiner Gesprächsagenda stand auch das Thema Rechtsstaatlichkeit in der EU, das wohl auch die Ampel in den kommenden Monaten beschäftigen wird. Michel wird Scholz aber schon in den nächsten Tagen erneut begrüßen dürfen: Am Donnerstag steht der reguläre EU-Gipfel auf dem Programm, bereits am Vortag ein Gipfel mit den osteuropäischen Partnerländern der EU. Scholz’ Brüssel-Festspiele haben gerade erst begonnen.

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