Brainlab-Gründer Stefan Vilsmeier

„Vilsmeier wäre in den USA ein echter Held“

Hightech zieht nach München: Dies zeigt die Standortentscheidung beispielsweise von Apple. Aber vor Ort sind in den letzten 20 Jahren schon Hightech-Riesen entstanden. Ein Beispiel: Brainlab.

„Vilsmeier wäre in den USA ein echter Held“

Von Michael Flämig, München

Aus dem Keller des Elternhauses zum Multimultimillionär in 24 Jahren? Von einem Beschäftigten zu weit mehr als 2000 Angestellten? Diese Erfolgsgeschichten gibt es auch in Deutschland. Ein Beispiel: Stefan Vilsmeier, Gründer und Vorstandsvorsitzender von Brainlab, einem Münchner Anbieter von Medizintechnologie. Vier Jahre nach der Gründung und damit 1993 wird eine Wohnung in Poing bei München der erste offizielle Hauptsitz von Brainlab, heute befindet sich der Sitz im ehemaligen Tower des Flughafens München-Riem.

Das Erfolgsrezept? Viele Faktoren mögen eine Rolle spielen. Vilsmeier selbst streicht heraus, er sei un­er­schrocken gewesen. „Diese Un­er­schrockenheit ist das, was heute fehlt“, stellt er auf einer Veranstaltung des Wirtschaftsbeirats der Union am Brainlab-Stammsitz fest. Heute gebe es ganz viele Angebote, um als Unternehmer zu starten. Als er Brainlab gegründet habe, habe er gar nicht gewusst, was Venture Capital sei. Das erste Darlehen habe er von der Kreissparkasse Ebersberg bekommen. Er habe persönlich bürgen müssen, irgendwann mit dem Vielfachen seines Nettojahresgehalts: „Nicht etwas, was man zur Nachahmung empfehlen kann.“

Betriebssystem der Chirurgie

Wer sich in Bayern umhört, vernimmt viel Lob. Wissenschaftsminister Markus Blume, für die Innovationsförderung zuständig, findet, auf dem Firmengelände könne man Transformation mit Händen greifen: „Wie aus einer ehemaligen Brache ein Standort für Hochtechnologie geworden ist, ist tatsächlich bemerkenswert.“ Das Fazit von Blume: „Vilsmeier wäre in den USA ein echter Held.“ In Deutschland dagegen könne er unerkannt durch die Straßen gehen. Denn es rede hierzulande keiner über einen Unternehmenserfolg, sondern über Nebenkriegsschauplätze wie das Sammeln von Daten. Auch Thomas Hofmann, Präsident der Technischen Universität München – an der Vilsmeier nur wenige Tage studiert hat –, bezeichnet den Brainlab-Hauptsitz als Ort, über den man sagen könne, dort sei die Zukunft zu Hause.

Brainlab entwickelt, produziert und vertreibt Hard- und Softwaretechnologie für bildgestützte medizinische Verfahren und deren Digitalisierung. „Die Medizin ist heute noch sehr analog“, lautet die Erkenntnis von Vilsmeier. Dies gelte gerade für die Chirurgie. Die großen Medizintechnikkonzerne wie Siemens Heal­thi­neers, General Electric, Philips oder Johnson & Johnson versuchten, ihre eigentlich nicht mehr unterscheidbaren Produkte mit Software aufzuhübschen. Sie würden so abgeschlossene Silos schaffen: „Das alleine wird nicht reichen, wenn man es nicht von Grund auf aus der Software-Perspektive denkt.“

Dies ist der Ansatz von Brainlab. Wenn man eine Plattform oder ein Betriebssystem habe, das so leistungsfähig und so gut sei, dass andere damit arbeiten müssten, weil sie sich es aus Konkurrenzgründen nicht anders leisten können, dann könne man viel bewegen, ist Vilsmeier überzeugt. Er macht sich stark für ein übergreifendes „Betriebssystem der Chirurgie“ mit offenen Schnittstellen. Dass Brainlab die eigene Technologie nicht proprietär abschottet und medizinische Daten auch für andere Player zugänglich macht, ist eine Lösung, die mittlerweile auch Unternehmen jenseits des Gesundheitssektors wie beispielsweise die Siemens AG wählen.

Brainlab hat sich in die drei Segmente Chirurgie (Produkte für die verschiedenen Phasen eines chirurgischen Eingriffs), Radiochirurgie (Behandlungsplanung und Bestrahlung von Tumoren im Kopf, in der Wirbelsäule und in der Lunge) und die neu entstandene Digital Health (beispielsweise digitale Operationen) gegliedert. Mit Geschäftszahlen hantiert Brainlab zurückhaltend. Mehr als 13300 Systeme seien in 121 Ländern installiert, heißt es auf der Homepage. Es gebe 25 Standorte.

Der Konzernabschluss, der die Zahlen der Brainlab AG und die ihrer Tochterunternehmen beinhaltet und im Bundesanzeiger veröffentlicht wird, beziffert den Umsatz auf 359 Mill. Euro im Geschäftsjahr 2020/21 (30. September). Neuere Angaben gibt es nicht. Die regionale Umsatzverteilung entspreche etwa dem Mix auf dem Weltmarkt für medizinische Geräte, sagt Vilsmeier. Die Ebitda-Marge erreichte im Geschäftsjahr 2020/21 stattliche 21,8%, die Ebit-Marge betrug 10,5%.

Start mit 3D-Software

Derartige Renditeziffern waren nicht vorgezeichnet, als Vilsmeier (Jahrgang 1967) mit 15 Jahren seinen ersten Commodore-64-Computer erhielt, ein Buch über 3D-Software schrieb und sich dieses mehr als 50000 mal verkaufte. Damit habe er 150000 DM verdient, erinnert sich Vilsmeier. Über das Buch seien darüber hinaus die ersten Kontakte mit der Neurochirurgie der Universitätsklinik Wien entstanden, die ihn gefragt habe, ob er ihr behilflich sein könne. Damals seien die sehr hoch auflösenden Bilder der Patienten in einem Lichtkasten in der Ecke des Operationssaals gelandet. Software war aus Sicht von Vilsmeier die Lösung für das Problem des Zugriffs auf die Daten.

Der Gründer packte das Problem an, baute einen Messestand in der Garage der Eltern und präsentierte seine Produkte in den USA. Die ersten Systeme habe er nicht in Deutschland verkauft, sondern in Südafrika, Taiwan oder Nordamerika, sagt Vilsmeier: „Dieser globale Mindset war entscheidend für den weiteren Erfolg.“ Laut Konzernabschluss kommen die durchschnittlich im Geschäftsjahr 2020/21 beschäftigten 1919 Mitarbeiter aus 80 Ländern.

Standortvorteil Bayern

Bayern war dabei ein Standortvorteil, ist Vilsmeier überzeugt, dessen Marketingleute auch vom „Silicon Valley an der Isar“ sprechen. Als Unternehmensgründer habe er alle Formalitäten für eine Ausfuhr erledigt gehabt, aber noch ein Carnet vom Zoll gebraucht, erinnert er sich an die Startphase von Brainlab. Da sei er völlig überfordert gewesen, es habe ihm auch gereicht, so Vilsmeier. Er habe im Bayerischen Wirtschaftsministerium angerufen und den Minister sprechen wollen: „Ich war relativ hartnäckig.“ Als Zwei-Mann-Unternehmen habe er es immerhin bis zum Staatssekretär geschafft, und am übernächsten Tag sei die Zollnummer von der Oberfinanzdirektion Köln in seinem Briefkasten gelegen: „Das hätte ich mir in keinem anderen Bundesland so vorstellen können.“ Später sei er mit 30 bis 40 Mitarbeitern schon zur Teilnahme an Delegationsreisen eingeladen worden.

Wichtiger aber noch aus Sicht von Vilsmeier: „Eine der wesentlichen Faktoren für Innovation ist die Zusammensetzung der Mitarbeiter.“ Alles, was er gelernt habe, habe er von seinen Beschäftigten ge­lernt: „Das sind meine Vorbilder.“ Er selbst sei von Hause aus eigentlich schüchtern und introviert. In der Schule sei er ein durchschnittlicher Schüler gewesen mit einem Notenschnitt von etwa 2 – „nicht supergut und nicht superschlecht“. Aber er sei hartnäckig gewesen und habe seine Ziele konsequent verfolgt.

Und: „Was mich vorangebracht hat, waren meine Mitarbeiter.“ Vilsmeier schwärmt beispielsweise von den Vorstandsassistenten, die eigent­lich zu Brainlab kämen, um etwas zu lernen über das Management eines Unternehmens: „In Wahrheit lerne ich aber von denen.“ Die jetzige Generation seien die Aller­coolsten. Sie gäben sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden. Dies sei herausfordernd, aber auch „echt super“.

München biete die besten Voraussetzungen, um gute Mitarbeiter zu gewinnen, hat Vilsmeier erlebt. Die Jungen seien aber auch am Zweck eines Unternehmens sehr interessiert. Bezüglich dieses „Purpose“ gelte, dass Softwareentwickler von Brainlab nicht ausschließlich programmierten, sondern sagen könnten: Ich heile Krebs. Wichtig seien auch Angebote für die Mitarbeiter wie ein hervorragendes Fitnesszentrum oder ein sehr gutes Firmenrestaurant. Alle Mitarbeiter würden systematisch mit den Kunden zusammengebracht: „Selbst ein Mitarbeiter aus der Buchhaltung muss einmal im Jahr in den Operationssaal.“

Gewinne reinvestiert

Wie geht es weiter mit Brainlab? Es säßen ihm keine Investoren im Nacken, die den letzten Cent Profitabilität ausloten wollten, sagt Vilsmeier. Schließlich gehöre ihm das Unternehmen zu 50% selbst. Vilsmeier hat das Geld immer wieder in sein Unternehmen investiert, statt es in die eigenen Taschen zu stecken. Der Bilanzgewinn der Brainlab AG betrug per Ende September 2021 100 Mill. Euro, es wurden nur 5 Mill. Euro ausgeschüttet.

Man brauche eine gewisse Profitabilität, aber es gebe – wie die Purpose-Diskussion zeigt – auch andere Dinge, die wichtig seien, ist Vilsmeier überzeugt. Zudem gelte: Brainlab habe in den letzten Jahren massiv in Daten-Ökosysteme investiert, und zwar 50 bis 60 Mill. Euro: „Ich habe keine Ahnung, wie man damit nur einen Cent verdienen kann.“ Er wisse nur, dass er in fünf Jahren ohne ein vernünftiges Datensystem kein Geld mehr verdienen könne.

Er habe gedacht, irgendjemand werde aktiv werden, dann aber festgestellt, sagt Vilsmeier: „Eigentlich gibt es da kaum jemanden in Europa, schon gar nicht nach unseren Werten.“ Wenn man am Schluss nicht nur die Daten bei Amazon hochladen wolle, müsse man selbst die Initiative ergreifen. Zumindest müsse er sich dann nicht vorwerfen, er habe es nicht wenigstens versucht. So einen Luxus habe man letztlich, wenn man nicht auf die letzte Nachkommastelle im Ergebnis schauen müsse. Er spreche auch für seine Mitarbeiter, wenn er – bezogen auf die Entwicklung der Daten-Ökosysteme – sage: „Wir haben damit einen Höllenspaß.“

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