„Es gehört schon einiges dazu, das Finanzsystem zu destabilisieren“

Herr Dr. Sauer, in den USA liefern sich vernetzte Kleinanleger und Hedgefonds Gefechte. Ist so ein Fall wie Gamestop auch in Europa und Deutschland möglich?

„Es gehört schon einiges dazu, das Finanzsystem zu destabilisieren“

Herr Dr. Sauer, in den USA liefern sich vernetzte Kleinanleger und Hedgefonds Gefechte. Ist so ein Fall wie Gamestop auch in Europa und Deutschland möglich?

Das ist durchaus möglich. Es war in den vergangenen Tagen zu beobachten, dass in den einschlägigen Internetforen entsprechendes Vorgehen auch in Bezug auf deutsche Unternehmen erwogen wird, bei denen Hedgefonds hohe Leerverkaufspositionen aufgebaut haben.

Wie sind die Strategien von Hedgefonds mit Leerverkäufen rechtlich einzuordnen?

Dass Hedgefonds für Unternehmen, an deren Geschäftsmodell sie nicht glauben, Leerverkaufspositionen auf­bauen und damit auf einen sinkenden Aktienkurs setzen, ist grundsätzlich rechtlich zulässig und kann auch ökonomisch sinnvoll sein. Solche Handelsstrategien können für „Markthygiene“ sorgen, indem sie überbewertete oder auch unlautere Geschäftsmodelle aufdecken: Beispiel Wirecard. Die Gewinne aus solchen Leerverkäufen werden in fair bewertete, aussichtsreichere Unternehmen investiert. Allerdings müssen die Fonds nach den geltenden Regeln spielen. Nach der EU-Leerverkaufsverordnung müssen Leerverkäufer ihre Positionen offenlegen. Zudem gilt nach der Verordnung ein Verbot ungedeckter Leerverkäufe, das vereinfacht gesagt dafür sorgt, dass nicht mehr Aktien verkauft werden können, als im Markt verfügbar sind. Zudem verbieten die EU-Marktmissbrauchsverordnung und das deutsche Wertpapierhandelsgesetz jegliche Form der Marktpreismanipulation. Wenn Fonds etwa vorsätzlich falsche Informationen verbreiten, um Kurse in die gewünschte Richtung zu lenken, ist das strafbar.

Innerhalb welcher rechtlichen Leitplanken bewegen sich solche Aktionen von Kleinanlegern?

Es steht jedem Privatanleger frei, gegen die Anlagestrategie von Hedgefonds zu handeln. Wenn Privatanleger der Meinung sind, eine bestimmte Aktie besser bewerten zu können, ist das völlig legitim. Problematisch wird es allerdings bei einem abgestimmten Verhalten, das ausschließlich darauf abzielt, eine kritische Masse von Anlegern zusammenzubekommen, um den Kurs in die Höhe zu treiben und dadurch einen Short Squeeze zu erzeugen. Dieser führt dazu, dass Leerverkäufer, die auf fallende Kurse gesetzt haben, dazu gezwungen sind, die Aktien zu künstlich überhöhten Kursen zu kaufen, um ihren Lieferverpflichtungen nachkommen zu können. Ein solches Verhalten ist nicht nur ökonomisch schädlich, sondern kann auch illegale Marktpreismanipulation darstellen. Auch hier gelten die Normen der europäischen Marktmissbrauchsverordnung, übrigens auch in Bezug auf ausländische Aktien, wenn sie über europäische Börsen gehandelt werden. Das dürfte vielen Privatanlegern nicht bewusst sein.

Welche Rolle kommt den Marktplatzbetreibern zu?

Marktplatzbetreiber sind Infrastrukturanbieter. Sie haben die Aufgabe, für einen reibungslosen und ordnungsgemäßen Handel zu sorgen und sich insofern neutral zu verhalten. Wenn aber der ordnungsgemäße Handel gefährdet ist oder der Verdacht auf Marktmanipulation besteht, kann ein Wertpapier nach den Vorschriften des Börsen- und Wertpapierhandelsgesetzes vom Handel ausgesetzt werden. In den jüngsten Fällen beruhten die Handelsaussetzungen aber offenbar auf Abwicklungsproblemen aufgrund des sprunghaft gestiegenen Handelsvolumens.

Können Kleinanleger wirklich das Finanzsystem gefährden?

Es gehört schon einiges dazu, das Finanzsystem zu destabilisieren. Fest steht, dass ein Short Squeeze Liquiditätsengpässe bei den betroffenen Fonds auslöst, was zu Notverkäufen aussichtsreicher Titel und damit zu einer Fehlallokation von Kapital führen kann. Wenn viele große Fonds gleichzeitig und massiv betroffen wären, könnte dies zwar eine Abwärtsspirale auslösen, die dann nicht nur die Hedgefonds, sondern letztlich auch und vor allem Kleinanleger träfe. Aus derzeitiger Sicht erscheint mir dies jedoch ein übertrieben düsteres Szenario zu sein. Einstellige Milliardenverluste einzelner Fonds, wie jüngst zu beobachten, sind dafür nicht ausreichend.

Dr. Knut Sauer ist Partner von Allen & Overy in Frankfurt.

Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.