Im Interview: Eric Wagner und Marc Ruttloff, Gleiss Lutz

Mehr Umweltklagen gegen Projekte zu erwarten

Bislang ziehen Umweltschützer vor allem gegen Konzerne und Staaten vor Gericht, es zeichnet sich jedoch ab, dass rechtliche Schritte vermehrt gegen konkrete Projekte angestrengt werden, um etwa Genehmigungen zu stoppen.

Mehr Umweltklagen gegen Projekte zu erwarten

Herr Prof. Wagner, Herr Dr. Ruttloff, die Deutsche Umwelthilfe ist mit einer gegen das Bergamt Stralsund gerichteten Klage gegen die Genehmigung der Ostseepipeline Nord Stream 2 gescheitert. Das Oberverwaltungsgericht urteilte, der DUH fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Wie ist die Entscheidung zu verstehen?

Ruttloff: Laut DUH hätten bei der Genehmigung der Pipeline weitere Maßnahmen zur Überwachung von durch Lecks austretendem Methangas angeordnet werden müssen. Ferner seien die klimaschädlichen Auswirkungen der über die Gesamtbetriebszeit durch die Pipeline voraussichtlich verursachten Methanemissionen nicht hinreichend berücksichtigt worden. Zu Punkt eins stellte das OVG fest, die Erfüllung der technischen Sicherheitsvorschriften über die Gasdichtigkeit sei hinreichend überprüft worden. Zu Punkt zwei führt es aus, der Planfeststellungsbeschluss beziehe sich auf die Zulassung der Pipeline und deren Umweltauswirkungen insgesamt. Erwägungen wie die (Neu-)Bewertung einer Gesamtklimarelevanz sind in der übergeordneten Klimaschutzgesetzgebung zu regeln, die Gegenstand des vielbeachteten „Klimabeschlusses“ des Bundesverfassungsgerichts war.

Bislang hat man eher von Klagen der Umweltschützer gegen Staaten und Konzerne gehört. Sind die gegen Projekte geführten Prozesse ein neuer Trend?

Wagner: Zukünftig sind vermehrt Klagen gegen konkrete Projekte zu erwarten. Dies wurde bei Fachtagungen von Vertretern verschiedener Umweltverbände bereits offen als nächster „konsequenter Schritt“ angekündigt. Das Verfahren gegen Nord Stream 2 war nur ein Anfang.

Welche Szenarien sind denkbar?

Ruttloff: Es könnte gerügt werden, Aspekte des Umwelt- und Klimaschutzes seien in den behördlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren nicht hinreichend berücksichtigt worden. Zudem könnte die Aufnahme bestimmter Maßnahmen in Genehmigungsbescheide gefordert werden, wie Auflagen, regelmäßig Klimaauswirkungen zu untersuchen und neu zu bewerten, oder umweltrelevante Auswirkungen eines Projekts zu reduzieren. Gegen fast jedes Vorhaben lassen sich so entsprechende Einwände formulieren. Potenziell kann dieser Ansatz als Pauschalangriff gegen jedes beliebige Vorhaben und Projekt genutzt werden, was in der Praxis schon oft geschieht. Daneben sind auf Unterlassung zielende zivilrechtliche Klagen gegen Unternehmen denkbar, die zu erheblichen zeitlichen Verzögerungen im Projekt führen können.

Was können Investoren, Projektträger und Unternehmen präventiv tun?

Wagner: Unternehmen sollten versuchen, Ansatzpunkte für Klagen zu vermeiden, durch Risikoanalyse und Hinzuziehung qualifizierten Rechtsrats. In Genehmigungs- und Planungsverfahren sollten zum Beispiel sämtliche rechtlichen und fach­wissenschaftlichen Facetten des Umwelt- und Klimaschutzes angemessen berücksichtigt werden und Unternehmen rechtssicher dokumentieren, wie diese Punkte in Entscheidungsprozesse eingeflossen sind. Aspekte des Umwelt- und Klimaschutzes werden unterschiedlich bewertet. Wir empfehlen, verschiedene Ansätze zu diskutieren und dies zu dokumentieren. Mögliche Einwendungen sollten ernst genommen werden und in plausibler und fundiert dokumentierter Weise Berücksichtigung finden. Dies reduziert Prozessrisiken und trägt zur Nachhaltigkeit einer Investition bei.

Was kann in der Planung von Projekten berücksichtigt werden?

Ruttloff: Folgende Aspekte sollten geprüft werden, gegebenenfalls schon in der Planungsphase: Bieten umweltbezogene Themen Angriffsfläche für Klagen? Welche konkreten Angriffspunkte gibt es unter Klima- und Umweltschutzgesichtspunkten? Ob und wie können diese Punkte durch proaktive Gestaltung reduziert werden? Besteht die Gefahr einstweiliger Verfügungsverfahren, die zu Verzögerungen von Projekten und kostenintensiven Vergleichen führen können? Zudem sollte die Möglichkeit eingeplant werden, umwelt- und klimaschutztechnisch nachzusteuern, auch vor dem Hintergrund für Investoren wichtiger ESG-Aspekte, die den langfristigen Werterhalt eines Projekts gewährleisten.

Prof. Dr. Eric Wagner ist Partner im Bereich Dispute Resolution, Dr. Marc Ruttloff Partner im öffentlichen Recht, beide im Stuttgarter Büro von Gleiss Lutz.

Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.

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