Recht und Kapitalmarkt

Bilanzrechtsmodernisierung bietet Potenzial für Kläger

Der unabhängige Finanzexperte im Aufsichtsrat birgt Zündstoff für Anfechtungen - Gesetzgeber muss Unklarheiten beseitigen

Bilanzrechtsmodernisierung bietet Potenzial für Kläger

Von Stefan Diemer *) Gesellschaften, deren Aktien im Regulären Markt notiert sind, müssen einen unabhängigen Finanzexperten im Aufsichtsrat haben. Das sieht der am 8. November 2007 vorgelegte Referentenentwurf für das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) vor. Ein Mitglied des Aufsichtsrats muss künftig unabhängig sein und über Sachverstand auf den Gebieten der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen. Diese anstehende Gesetzesänderung soll voraussichtlich Mitte dieses Jahres in Kraft treten. Problematisch ist, dass der Gesetzesentwurf für den künftigen unabhängigen Finanzexperten an wesentlichen Stellen Unklarheiten beinhaltet, die zu Anfechtungsrisiken führen. Auch wenn die Hoffnung besteht, dass einige dieser Anfechtungsrisiken im weiteren Gesetzgebungsverfahren beseitigt werden, sollten sich börsennotierte Aktiengesellschaften rechtzeitig mit diesem Thema auseinandersetzen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Hauptversammlungen und Aufsichtsratswahlen in der zweiten Hälfte 2008 geplant sind. Wahlbeschlüsse anfechtbar Probleme mit dieser Neuregelung werden insbesondere kleinere im Regulierten Markt notierte Aktiengesellschaften bekommen, die die Empfehlung des Corporate Governance Kodex bisher nicht umgesetzt haben. Danach soll der Aufsichtsrat einen Prüfungsausschuss einrichten, und der Vorsitzende des Prüfungsausschusses soll über besondere Kenntnisse und Erfahrungen in der Anwendung von Rechnungslegungsgrundsätzen und internen Kontrollverfahren verfügen. Gegenwärtig muss davon ausgegangen werden, dass Wahlen zum Aufsichtsrat anfechtbar sein werden, wenn keiner der gewählten Kandidaten die Anforderungen an einen unabhängigen Finanzexperten erfüllt. Bei einer Listenwahl, d. h. Wahl aller Aufsichtsräte durch einen Beschluss, wäre die gesamte Wahl anfechtbar. Bei einer Einzelwahl, also der gesonderten Abstimmung über jeden einzelnen Kandidaten, wäre jeder einzelne Wahlbeschluss für sich genommen gesetzeskonform, da die Anforderungen an einen unabhängigen Finanzexperten nicht bei jedem Aufsichtsrat, sondern nur bei einem Mitglied des Gremiums vorliegen müssen. Gleichwohl wird man davon ausgehen müssen, dass die einzelnen Wahlbeschlüsse insgesamt anfechtbar sein werden, wenn keiner der gewählten Kandidaten die Voraussetzung für einen unabhängigen Finanzexperten erfüllt. Kläger können künftig versuchen, Aufsichtsratswahlen auch mit der Behauptung anzufechten, dass keiner der Gewählten die Voraussetzungen für einen unabhängigen Finanzexperten erfüllt. Ein solcher Versuch wird durch den Gesetzesentwurf erleichtert. Er enthält keine Vorgaben, unter welchen Voraussetzungen ein Mitglied des Aufsichtsrates unabhängig ist und wann es über den erforderlichen Sachverstand auf den Gebieten der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügt. AusschlusskriterienIn der Gesetzesbegründung gibt es nur einen Katalog beispielhafter Fälle, in denen die erforderliche Unabhängigkeit nicht gegeben sein soll. Hiernach soll es dann an der Unabhängigkeit fehlen, wenn der Finanzexperte – seit mehr als drei Amtsperioden dem Aufsichtsrat angehört oder – geschäftliche, familiäre oder sonstige Beziehungen zu der Gesellschaft, deren Mehrheitsaktionär oder zu Mitgliedern deren Vorstands unterhält, die einen Interessenkonflikt begründen, der das Urteilsvermögen des Finanzexperten beeinträchtigen könnte oder – in den vergangenen fünf Jahren der Geschäftsführung eines mit der Aktiengesellschaft verbundenen Unternehmens oder dem Vorstand der Aktiengesellschaft angehört hat. Dieser Katalog ist nicht abschließend, so dass Anfechtungskläger aus den unterschiedlichsten Gründen versuchen können, die Unabhängigkeit des Finanzexperten in Zweifel zu ziehen. Vor allem bei geschäftlichen oder sonstigen Beziehungen des Finanzexperten zur Gesellschaft, dem Mehrheitsaktionär oder dem Vorstand bestehen erhebliche Unsicherheiten. InteressenkonfliktDiese können Anfechtungskläger verstärken, indem sie in der Hauptversammlung gezielt Fragen zu solchen geschäftlichen Beziehungen stellen. Die Entscheidung eines Gerichts im Rahmen einer Anfechtungsklage, wann ein Interessenkonflikt vorliegt, der das Urteilsvermögen beeinträchtigen könnte, lässt sich in vielen Fällen nur schwer prognostizieren.Der erforderliche Sachverstand des Finanzexperten kann ebenfalls Gegenstand des Angriffs von Anfechtungsklägern werden. Wenn es sich nicht um einen aktiv tätigen Wirtschaftsprüfer handelt, kann im Extremfall ein gerichtlich bestellter Sachverständiger beauftragt werden, festzustellen, ob der Finanzexperte über das erforderliche Sachwissen verfügt. In der Gesetzesbegründung wird zwar ausgeführt, dass es ausreichend sei, dass der Finanzexperte beruflich mit Rechnungslegung oder Abschlussprüfung befasst ist oder war. Dies könne für Finanzvorstände, vereidigte Buchprüfer, leitende Angestellte aus den Bereichen Rechnungswesen und Controlling, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater angenommen werden. Darüber hinaus wird es darauf ankommen, dass über allgemeine derartige Sachkenntnisse hinaus auch Erfahrung über das Rechnungswesen börsennotierter Gesellschaften vorhanden ist, die für die Tätigkeiten der Gesellschaft von Belang ist. Von dem Finanzexperten wird verlangt werden, dass er auf Augenhöhe mit dem Abschlussprüfer diskutieren kann. Die erforderliche Sachkenntnis wird sich – aktiv tätige Wirtschaftsprüfer ausgenommen – nicht in allen Fällen unter Verweis auf eine Tätigkeit als Steuerberater oder sonstige in der Gesetzesbegründung genannte Tätigkeit begründen lassen. Bis zur näheren Klärung der konkreten Anforderungen an die Sachkunde des Finanzexperten sollten Aktiengesellschaften ihrer Hauptversammlung Personen als unabhängige Finanzexperten zur Wahl vorschlagen, die aktiv tätige Wirtschaftsprüfer sind. Es darf sich jedoch nicht um den Abschlussprüfer oder Mitarbeiter der mit der Abschlussprüfung beauftragten Gesellschaft handeln. Die Gesellschaft sollte sich außerdem vergewissern, dass sie die Unabhängigkeit des gewählten Finanzexperten nachweisen kann. Eine Erklärung des Kandidaten, dass bei ihm keine in der Gesetzesbegründung genannten und keine weiteren Umstände vorliegen, die seine Unabhängigkeit gefährden, hilft, um einen Kandidaten auch glaubhaft in der Hauptversammlung vorstellen zu können. Angaben im Lagebericht Soweit bei Inkrafttreten des Gesetzes in einem Aufsichtsrat kein unabhängiger Finanzexperte vorhanden ist, bleibt die Neuregelung zunächst ohne Auswirkung auf die Besetzung des Aufsichtsrates. Die amtierenden Aufsichtsräte können ihre Ämter weiter ausüben.Das Fehlen eines unabhängigen Finanzexperten wird künftig in der neu geschaffenen Erklärung zur Unternehmensführung, die Teil des Lageberichts sein wird, aufzunehmen sein. Allerdings müssen börsennotierte Aktiengesellschaften, die über keinen unabhängigen Finanzexperten im Aufsichtsrat verfügen, künftig einen Prüfungsausschuss einrichten. Dies betrifft vor allem Gesellschaften, die derzeit keinen solchen Finanzexperten im Aufsichtsrat haben. Empfindliche SanktionBei diesem Prüfungsausschuss handelt es sich nicht um einen Ausschuss des Aufsichtsrats. Es ist ein eigenständiger Prüfungsausschuss, der von der Hauptversammlung zu wählen ist. Dies stellt eine empfindliche und für die Unternehmensführung einer Aktiengesellschaft wenig förderliche Sanktion dar. Bis zu einer hoffentlich erfolgenden Klarstellung im weiteren Gesetzgebungsverfahren, dass ein solcher Prüfungsausschuss nicht einzurichten ist, müssen börsennotierte Aktiengesellschaften Vorkehrungen treffen. Erwogen werden sollte, in der ersten nach Inkrafttreten des Gesetzes stattfindenden Hauptversammlung zunächst die Neuwahl eines Mitglieds des Aufsichtsrats zu ermöglichen, um auf diesem Wege einen unabhängigen Finanzexperten in den Aufsichtsrat zu bekommen. Wenn für diese Hauptversammlung keine turnusmäßigen Aufsichtsratswahlen anstehen, ist eine Neuwahl nur möglich, wenn zuvor mindestens ein Mitglied des Aufsichtsrats auf freiwilliger Basis aus dem Aufsichtsrat ausscheidet. *) Dr. Stefan Diemer ist Partner der Kanzlei Heisse Kursawe Eversheds in München.