Energiekrise

Unmut über Habecks AKW-Vorschlag

Aus der Opposition, aber auch von der FDP und aus Wissenschaftskreisen kommt Kritik, dass zwei Atomkraftwerke im Winter nur als Reserve vorgehalten werden sollen aber keinen Strom weiter produzieren dürfen. Es droht neuer Krach in der Koalition.

Unmut über Habecks AKW-Vorschlag

In der Ampel-Koalition zeichnet sich nach den Vorschlägen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für eine befristete AKW-Reserve neuer Ärger ab. Die FDP reagierte mit heftiger Kritik. Fraktionschef Christian Dürr sagte, die Vorschläge reichten nicht, um die Strompreise zu mindern. „Wir müssen die Laufzeiten verlängern, sonst drohen absurde Kosten für die Verbraucher.“ Der energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Michael Kruse, erklärte: „Die Ergebnisse des Stresstests sind wenig wert, denn die Annahmen sind zu optimistisch. Sie sind politisch bestimmt und nicht aus der Realität abgeleitet.“

Auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz kritisierte, dass trotz drohenden Energiemangels zwei der drei noch laufenden Atomkraftwerke nicht zwingend weiter Strom produzieren, sondern nur in Reserve gehalten werden sollen. „Deutschland steuert auf eine massive Energieversorgungskrise zu, ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine, verschärft durch völlig absurde Entscheidungen dieser Bundesregierung“, sagte er am Dienstag im Deutschlandfunk. Die Koalition habe bis heute nicht begriffen, was sich zurzeit im Land, in den privaten Haushalten und in den Unternehmen abspiele.

Sorge wegen Grünen-Basis

Habeck will, dass wegen der von Russland und dem Krieg in der Ukraine ausgelösten Energiekrise in Europa zwei der drei verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland bis Mitte April als Notreserve dienen sollen. Dabei geht es um Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim in Baden-Württemberg. Eigentlich war vorgesehen, dass alle deutschen Atomkraftwerke zum Jahresende endgültig vom Netz gehen.

Vertreter seiner eigenen Partei stärkten Habeck den Rücken. Die beiden Fraktionschefinnen Britta Haßelmann und Katharina Dröge unterstützten die Pläne, auch wenn diese noch in der Partei diskutiert werden sollen. Grünen-Co-Chef Omid Nouripour kündigte an, bei der Basis für das Vorhaben zu werben. „Wir werden deshalb auf dem Parteitag nicht nur die Waffenlieferungen an die Ukraine zur Abstimmung stellen, sondern auch die befristete AKW-Reserve“, sagte Nouripour. Eine Abkehr vom Atomausstieg schloss Grünen-Chefin Ricarda Lang aus.

Habeck erteilte zugleich Forderungen nach einem längeren Weiterbetrieb der AKW eine Absage. Bereits im nächsten Jahr würden deutlich mehr Gaskapazitäten jenseits von Russland zur Verfügung stehen. „Das scheint ja nicht so klar zu sein, weil immer der Winter 22/23 und der Winter 23/24 in eins gesetzt wird.“ Das sei aber falsch. Das seien völlig unterschiedliche Szenarien. „Wir werden eine andere energiepolitische Situation haben im nächsten Jahr.“

Zuspruch bekam Habeck vom Koalitionspartner SPD. Fraktionsvize Matthias Miersch begrüßte das Stresstest-Ergebnis und Habecks Empfehlung als „gute Grundlage für faktenbasierte und sorgfältige Beratungen“. „Die wünsche ich mir auch von denjenigen, die schon vor Bekanntgabe der Ergebnisse nach einer Laufzeitverlängerung schreien“, sagte Miersch. „Der Stresstest zeigt: Atom ist nicht die von vielen gewünschte Generallösung.“

Wirtschaftsweise für Weiterbetrieb

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm argumentierte indes ähnlich wie die FDP und zeigte sich unzufrieden damit, dass zwei Atomkraftwerke nur als Notreserve vorgehalten werden sollen. „Anlässlich der Preisentwicklung am Strommarkt muss alles daran gesetzt werden, Erzeugungskapazitäten zu mobilisieren, die kurzfristig verfügbar gemacht werden können“, sagte Grimm den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag). Die Kraftwerke sollten laufen und nicht nur in Bereitschaft sein, nur dann gebe es einen senkenden Effekt auf den Strompreis. „Bei den drei noch laufenden AKWs sollte man über eine Laufzeitverlängerung von fünf Jahren nachdenken.“ Auch sollte geprüft werden, ob die erst kürzlich stillgelegten Kernkraftwerke reaktivierbar seien.

Auch Sonja Peterson, Umweltökonomin am IfW Kiel, konstatiert, dass ein Weiterbetrieb noch laufender Atomkraftwerke für Deutschland zumindest politischen Spielraum schafft – und das auch auf europäischer Ebene. Der Beitrag für die deutsche Energiesicherheit sei hingegen begrenzt, dämpft sie die Erwartungen. Grob überschlagen könne der jetzige Atomstrom nur etwa 5% der Gasnachfrage in Deutschland ersetzen. De facto seien es noch weniger, weil Atomkraft nur die Grundlast, nicht aber wie Gaskraft die Spitzenlast abdecken könne. Dennoch, so die Umweltökonomin, seien in der aktuell extrem unsicheren Lage prinzipiell alle Möglichkeiten, Gas zu sparen, nützlich, würden sie doch die politischen Handlungsmöglichkeiten erweitern und den Strompreisanstieg dämpfen. Zudem, so argumentiert sie, sei die hohe Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas durch politische Entscheidungen selbst verursacht, weshalb europäische Partner eine verlängerte Laufzeit der deutschen AKWs als Voraussetzung sehen würden, um Deutschland in der Gasversorgung zu unterstützen. Gegenüber den bereits als Versorgungsreserve reaktivierten Kohlekraftwerken spare der mögliche Weiterbetrieb der AKWs ferner CO2-Emissionen und sei auch wirtschaftlich. An der mittel- bis langfristigen Sinnhaftigkeit der Atomkraft habe die jetzige Krise nichts geändert. Peterson: „Die Atomkraft bleibt eine teure, risikobehaftete und konfliktträchtige Technologie, die nicht zu einem auf erneuerbare Energien basierenden Stromsystem passt.“