Chemie pocht auf Steuerförderung

Branchenverband warnt: Wettbewerbsvorsprung des Forschungsstandorts Deutschland schmilzt

Chemie pocht auf Steuerförderung

Die deutsche Chemieindustrie fordert eine weitergehende Forschungsförderung als bisher geplant. Der Wettbewerbsvorsprung des Forschungsstandorts Deutschland schmelze, warnt der Branchenverband VCI. Konkurrenten aus Ländern wie den USA und China profitierten von günstigeren Rahmenbedingungen.hek Frankfurt – Die deutsche Chemieindustrie wertet die geplante steuerliche Forschungsförderung mit Schwerpunkt auf kleine und mittlere Unternehmen als ersten Schritt. “Der Koalitionsvertrag enthält durchaus richtige Ansätze für einen Modernisierungskurs”, sagte Thomas Wessel, Vorsitzender des Ausschusses Forschung, Wissenschaft und Bildung im Verband der Chemischen Industrie (VCI), am Montag. “Aber das reicht nicht.” Der Verband macht sich dafür stark, alle forschenden Unternehmen in Deutschland unabhängig von der Größe in gleichem Maße zu fördern, und bekräftigt damit frühere Forderungen (vgl. BZ vom 24.8.2017).Der Referentenentwurf des Bundesfinanzministeriums zur steuerlichen Forschungsförderung wird für diesen Herbst erwartet. Steueranreize für Forschung und Entwicklung (F & E) seien in fast allen Industriestaaten verbreitet, sagte Wessel, im Hauptberuf Personalvorstand von Evonik. Er hält die steuerliche Forschungsförderung für das wichtigste Instrument, um das Ziel zu erreichen, bis 2025 in Deutschland 3,5 % des Volkseinkommens in F & E zu investieren. Die Chemiebranche trage das Ziel mit, obwohl dies ein Kraftakt werde, weil die Wirtschaft zwei Drittel der zusätzlichen Forschungsmittel aufbringen müsse. Allein die Chemie müsse ihre F &E-Ausgaben bis 2025 um mehr als 4 % pro Jahr ausweiten – ein Plus von mehr als 50 % gegenüber 2015. Darüber hinaus plädiert der VCI für eine bessere Unterstützung privater Wagniskapitalgeber für Start-ups. Steuerliche Verlustvorträge sollten zeitlich und in der Höhe unbeschränkt erhalten bleiben. “Der Wettbewerbsvorsprung des Chemie-Forschungsstandorts Deutschland schmilzt”, warnte Wessel. Staaten wie die USA, China und andere asiatische Länder investierten viel Geld in Forschung, gestalteten die Bedingungen für Innovationen günstig und verschafften sich so Wettbewerbsvorteile. Von der großen Koalition fordert Wessel einen “beherzten Modernisierungskurs”. 11 Mrd. Euro für F & EDie Forschungsbudgets der Chemie- und Pharmafirmen werden in Deutschland im laufenden Jahr laut VCI-Schätzung die Marke von 11 Mrd. Euro erreichen. 2017 investierte die Branche 10,8 Mrd. Euro in F & E, 3 % mehr als im Vorjahr. Knapp ein Zehntel der Chemiebeschäftigten arbeitet in den Forschungslaboren an neuen Produkten. Deutschlands Anteil an den internationalen Patentanmeldungen im Chemie- und Pharmasektor liegt bei 9 %. “In keinem anderen Industriezweig ist die Innovationsorientierung so hoch wie in der Chemie”, sagte Wessel. Denn 63 % aller Branchenfirmen forschen gegenüber 28 % im Durchschnitt der deutschen Gesamtindustrie. Gemessen am Umsatz fließen 5,7 % in F & E. Das ist mehr als im Industrieschnitt (3,8 %), aber weniger als im Fahrzeugbau (7,6 %) und im Elektrosektor (6,7 %).Seit Jahren steigen laut VCI die Forschungsausgaben deutscher Chemie- und Pharmafirmen im Ausland stärker als im Inland. Neben günstigeren Rahmenbedingungen spiele dabei das Bestreben eine Rolle, ausländische Märkte zu erschließen. Der Verband schätzt die F & E-Investitionen der Branche im Ausland auf etwa 6 Mrd. Euro im Jahr.Eine schnellere und effizientere Forschung verspricht sich der VCI von der Digitalisierung. Das systematische Erheben großer Datenmengen ebne neue Wege, die Innovationsfähigkeit zu stärken. “Die exponentiell gestiegene Rechnerleistung beschleunigt die Forschung zu neuen Chemikalien enorm”, sagte Wessel. Die aktuelle Hardware könne eine erheblich größere Variantenvielfalt für chemische Reaktionen und Produktformulierungen berechnen als vor fünf Jahren. Und durch künstliche Intelligenz könnten Fundstellen bei Literatur- und Patentrecherchen schneller entdeckt werden. Die Datenschutz-Grundverordnung der EU sei ein “Bürokratiemonster sondergleichen”, sie stellt laut Wessel derzeit aber kein Hemmnis für Big-Data-Analysen dar.