GASTBEITRAG

Chinesische Klinik - Keimzelle für Zukunftsvisionen?

Börsen-Zeitung, 26.1.2018 Ende 2017 sorgte die Insolvenz des großen privaten Klinikträgers Paracelsus für Überraschung. Ist das Geschäftsmodell privater Kliniken in Deutschland doch nicht so erfolgreich wie häufig proklamiert? Gibt es eine...

Chinesische Klinik - Keimzelle für Zukunftsvisionen?

Ende 2017 sorgte die Insolvenz des großen privaten Klinikträgers Paracelsus für Überraschung. Ist das Geschäftsmodell privater Kliniken in Deutschland doch nicht so erfolgreich wie häufig proklamiert? Gibt es eine Alternative? Die Antwort lautet: Ja! Allerdings sind strukturelle Veränderungen notwendig. In welche Richtung es gehen kann, zeigt der Blick nach Osten: Im aktuell schnell wachsenden Gesundheitssystem Chinas finden sich zahlreiche Ansätze, die sich auch auf hiesige Geschäftsmodelle übertragen lassen.Derzeitig werden in China mehr als die Hälfte aller Kliniken privat geführt. Bis 2020 soll laut China Investment Corporation die Zahl der chinesischen Kliniken jährlich um 19 % wachsen und dabei der Anteil privater Kliniken auf 60 % ansteigen. Deutschland, im Vergleich, bietet mit derzeitig 33 % noch Ausbaupotenzial.Der Wachstumstrend privater Kliniken in China spiegelt sich auch in den Erwartungen des Kapitalmarkts wider: So sind EV/Ebitda-Multiples von über 25 für börsennotierte Klinikbetreiber in China nicht unüblich. Ein Wert, der die durchaus erfolgreiche Fresenius mit einem Multiple von etwa 11 eher bescheiden aussehen lässt.Diese Bewertung ist nicht nur durch den Wachstumstrend getrieben, sondern auch durch diverse Geschäftsansätze in China. Drei für Deutschland besonders interessante Ansätze sind: übergreifende Datenplattformen, smarte Versicherungsleistungen sowie integrierte Unternehmensstrukturen entlang der Wertschöpfungskette.Was in Deutschland nur langsam Fortschritt macht, gehört in China schon fast zum Standard: Bereits 2005 hat China die Electronic Health Records (EHR), also elektronische Patientenakten, eingeführt und bis heute für mehr als die Hälfte der Kliniken mit über 500 Betten etabliert. Die Chinese Academy of Engineering erwartet, dass China 2020 über den weltweit größten Pool an Gesundheitsdaten verfügen wird, der über 1,4 Milliarden Menschen abdeckt. Eine Dimension, mit der man Big Data einmal richtig betreiben kann. Dieser Pool bildet die Grundlage für eine effiziente, datenbasierte Medizin, vergleichbar mit den irischen Electronic Health Records (EHR) von Epilepsiepatienten, welche mit dem Ziel auf neue Erkenntnisse systematisch analysiert werden.Aber nicht nur öffentliche Träger in China fördern die digitale Entwicklung. Hersteller von Medizingeräten wie Neusoft verstehen sich inzwischen auch als Anbieter von Cloud-Lösungen für Kliniken und öffentliche Verwaltungen. So ermöglichen sie ein integriertes System zwischen Maschinen und Daten.Ein weiterer Geschäftsansatz liegt im Erstattungsmodell für medizinische Leistungen. Grundsätzlich werden Behandlungen in China nicht voll erstattet. Auch 2020 müssen nach Aussagen der Regierung 20 % der anfallenden Kosten von den Patienten selbst getragen werden. Der Grundgedanke hierbei ist es, medizinische Ressourcen effektiv einzusetzen und zugleich die Gesundheitsversorgung zu sichern. In Großbritannien findet sich dieser Ansatz zum Beispiel beim Umfang der Vorsorgeleistung wieder. So wird Frauen ab 50 Jahren aufgrund des allgemein fallenden Risikos seltener eine Gebärmutterhalskrebsvorsorge erstattet bis zur Einstellung mit 64. In besonderen Fällen ist das System jedoch flexibel und erstattet Kontrollen außerhalb dieser Leitlinien. Integrierte UnternehmenDoch in China gibt es nicht nur Geschäftsansätze im direkten Klinikumfeld – es geht sogar darüber hinaus. Um die Ineffizienzen der Schnittstellen zu beseitigen, bilden die Chinesen Konglomerate aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitswesens. So hat die chinesische Industrie- und Investmentgesellschaft Fosun neben dem Betrieb von Kliniken auch noch eine Sparte für Krankenversicherungen und eine Pharma-Abteilung im Portfolio. Auch andere Unternehmen wie die Phoenix Healthcare Group oder die Aier Eye Hospital Group planen, ihr jetziges Portfolio durch eine Versicherungssparte zu ergänzen oder haben dies bereits getan. Dieser Ansatz findet ebenfalls Anklang in den USA, wie die geplante Übernahme des Versicherungsriesen Aetna durch die Pharmazie- und Drogeriehandelskette CVS Health zeigt. In China bewegen sich zudem viele Unternehmen auf Herstellerseite durch neue integrierte Angebote direkt hin zur Schnittstelle Patient. So betreibt zum Beispiel Shanghai United Imaging, ein Hersteller von Röntgenapparaten, eigene Radiologiepraxen. Dies ermöglicht eine optimale Nutzung des Leistungsspektrums der medizinischen Geräte.All diese chinesischen Unternehmen begreifen die Klinik als Mittelpunkt eines Ökosystems, in dem die Aktivitäten aller beteiligten Akteure zusammengeführt und transparent gemacht werden. So entsteht ein System mit effektiven Schnittstellen als Basis für langfristigen Erfolg. Wie können deutsche Unternehmen diesen Ansatz nun für sich nutzen?Eine schrittweise Datenkonsolidierung von großen privaten Klinikbetreibern erlaubt eine Übersetzung des Cloud-Ansatzes. Klinikbetreiber sollten im ersten Schritt eine homogene und vollständige Datenstruktur zwischen ihren Einzelhäusern aufbauen, um diese im zweiten Schritt zwischen den Betreibern zu verknüpfen. Dass solch ein Vorgehen in Deutschland möglich ist, zeigt das Modell des deutschen Sparkassen- und Giroverbands: Alle der über 400 Institute sind über eine gemeinsame und einheitliche Datenplattform verknüpft.Auch der zweite Geschäftsansatz der smarten Versicherungsleistungen ist bekannt aus anderen Branchen. Beispielsweise kauft man bei Fluggesellschaften lediglich den Sitzplatz, weitere Leistungen wie Gepäck können dazugebucht werden. Ein erster Anknüpfungspunkt zur schrittweisen Tarifierung von Zusatzleistungen sollte nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip erfolgen. So würde beispielsweise eine Reduzierung der täglichen Laboruntersuchungen bei stationären Patienten zu signifikanten Kosteneinsparungen führen bei gleichbleibendem Behandlungserfolg. Die aktuelle Debatte um die Bürgerversicherung bietet eine gute Gelegenheit, eine schlanke Gesundheitsversorgung mit Zusatzleistungen zu entwickeln. KulturunterschiedeDurch den dritten Geschäftsansatz der vertikalen Integration können private Versicherer zusätzliche Klinik- und Facharztleistungen aus eigener Hand anbieten. Dieses Modell ist analog zu Automobilkonzernen, die auch Kfz-Versicherungen offerieren und Vertragswerkstätten besitzen. Diese Herangehensweise erlaubt Versicherern eine deutlich bessere Risikoabschätzung und Rückstellungsplanung sowie eine optimierte Prämienstruktur.Alle drei Geschäftsansätze im Ökosystem Klinik sind als Keimzelle für Weiterentwicklungen zu sehen, da aufgrund der Unterschiede in Kultur, Politik und Datenschutzrichtlinien eine direkte Übertragung nur bedingt möglich ist. Deshalb sollten deutsche Unternehmen den Blick nach China und die Auseinandersetzung mit seinen Ansätzen nicht scheuen. Denn eines sollte man nicht vergessen: Der chinesische Erfolg liegt neben der Integration von westlichen Methoden in die traditionelle Medizin vor allem in der Fähigkeit, diese weiterzuentwickeln.—-Günther Schermer, Partner des Beratungsunternehmens Goetzpartners —-Ulrich Kinzel, Managing Director von Goetzpartners