CFO-InterviewMobile World Congress

Das Geschäft von Nokia "war nie so stark von der Makroökonomie abhängig"

Die Kunden von Nokia ändern neuerdings unterjährig ihre Investitonspläne in neue Netztechnik, "was sie normalerweise nicht tun", so Nokia-CFO Marco Wirén im Interview mit der Börsen-Zeitung auf dem Mobile World Congress.

Das Geschäft von Nokia "war nie so stark von der Makroökonomie abhängig"

Herr Wirén, Nokia hat für das laufende Jahr einen zurückhaltenden Ausblick gegeben. Wird der Mobile World Congress die Lage verbessern, sind Ihre Kunden investitionsbereit?

Im Interview: Marco Wirén

„Das Geschäft war nie so stark von der Makroökonomie abhängig“

Der Nokia-CFO über hohe Zinsen, überschüssiges Kapital und die sinkende Abhängigkeit von Telekomnetzbetreibern

Die Kunden von Nokia ändern neuerdings unterjährig ihre Investitionspläne in neue Netztechnik, "was sie normalerweise nicht tun", so Nokia-CFO Marco Wirén im Interview der Börsen-Zeitung auf dem Mobile World Congress. Nokia arbeitet daher daran, die Abhängigkeit von den Telekomnetzbetreibern zu verringern und die Erlöse zu verstetigen.

Der MWC ist für uns hauptsächlich die Gelegenheit, sehr viele Kunden an einem Ort zu treffen und damit einen Eindruck zu bekommen, wie sie ins neue Jahr gestartet sind und was die Industrie als Ganzes beschäftigt. Wir bekommen hier also vor allem das große Bild und gehen typischerweise danach in intensive geschäftliche Gespräche.

Bei Ihrer Prognose fällt auf, dass Sie sowohl für das operative Ergebnis als auch für die Cash Conversion Rate eine breite Spanne angeben haben, also ein Ergebnis zwischen 2,3 und 2,9 Mrd. Euro und eine Cash Conversion von 30% bis 60%. Können Sie das jetzt mehr präzisieren?

Das hängt sehr vom Marktumfeld ab. In unserer Industrie entwickelt sich das Geschäft normalerweise stark technologiegetrieben, das heißt die Kunden investieren in den technologischen Fortschritt. Daneben gibt es einige andere Faktoren, die normalerweise keine zentrale Rolle spielen. Im vergangenen Jahr haben wir jedoch eine dramatische Zinswende erlebt. Nach einer langen Phase mit sehr niedrigen Zinsen haben die Zentralbanken diese sehr rasch und sehr deutlich angehoben.

Wie hat sich das konkret ausgewirkt?

Unsere Kunden haben unterjährig begonnen, ihre Investitionspläne in Netztechnik anzupassen, etwas was sie normalerweise nicht tun. Das ist das Neue an der gegenwärtigen Situation. Unser Geschäft war nie so stark von der Makroökonomie abhängig. Zuvor war es immer stärker von der Technologie beeinflusst, jetzt hat sich die Lage umgekehrt.

Wann rechnen Sie mit einer Änderung der Lage?

Derzeit herrscht noch immer sehr viel Unsicherheit im Markt. Die Unternehmen warten ab. Beobachter rechnen mit sinkenden Zinsen in diesem Jahr, allerdings noch nicht allzu bald, nicht mehr in diesem Quartal. Diese anfänglichen Hoffnungen haben sich zerschlagen, nun dürfte es erste Schritte in der zweiten Jahreshälfte geben. Dann rechnen wir auch mit einer geschäftlichen Belebung.

Was die Aktionärsvergütung betrifft, haben Sie zuletzt die Bedeutung von Aktienrückkäufen hervorgehoben. Bedeutet dass, das Sie dieses Instrument künftig stärker einsetzen wollen und weniger auf Dividenden setzen?

Bei der Kapitalallokation steht für uns Forschung und Entwicklung an erster Stelle. Wir glauben, wir müssen technologisch führend sein, um Marktanteile zu gewinnen und am Ende auch bessere Preise und höhere Margen zu erzielen. Deswegen steht M&A an zweiter Stelle, denn es mag sein, dass wir uns durch Zukäufe besser aufstellen können. Die Ausschüttung an die Aktionäre kommt danach, auf zwei Wegen: durch die reguläre Dividende und durch Aktienrückkäufe, wenn wir überschüssiges Kapital an die Investoren geben.

Wie definieren Sie überschüssiges Kapital?

Wir haben in diesem Zusammenhang unsere Politik geändert und sind von einer Bruttocash- zu einer Nettocashbetrachtung übergegangen. Unsere Maßgabe ist, dass wir Nettocashreserven in Höhe von 10% bis 15% vom Umsatz vorhalten. Wann immer wir diesen Bereich überschreiten und mehr Barmittel angehäuft haben, überlegen wir uns, wie wir das wieder zurückführen. Ende letztes Jahr hatten wir eine Liquidität in Höhe von 19% vom Umsatz. Dividenden sind aus unserer Sicht wiederkehrende und steigende Vergütungen der Aktionäre, während es sich bei dieser überschüssigen Liquidität eher um einen Einmaleffekt und jedenfalls nicht um einen planbaren wiederkehrenden Effekt handelte. Deshalb wählen wir hier den Aktienrückkauf.

Sie haben M&A erwähnt. Haben Sie derzeit einen Zukauf im Blick?

In unserer Industrie entwickelt sich die Technologie mitunter sehr schnell. Wir schauen kontinuierlich, ob wir etwas benötigen, um unser Portfolio zu ergänzen. Außerdem schauen wir, ob uns ein Zukauf nützen könnte, um das Angebot an unsere Kunden zu verbessern. Und als Drittes geht es darum zu prüfen, ob uns eine Akquisition helfen kann, schneller am Markt zu sein.

Um welche Größenordnung geht es bei einer Akquisition?

Also, wir planen keine große Akquisition, es geht um kleinere Unternehmen, nicht notwendigerweise Start-ups, mit denen wir eine Lücke füllen können.

Bei Nokia Technologies haben Sie zuletzt eine Reihe von Patentverträgen verlängert, so dass damit verlässliche Einnahmen kommen. Über welchen Zeitraum erstrecken sich die Verträge?

Das ist im Einzelfall unterschiedlich. Aber wir haben eine große Zahl recht langfristiger Verträge und hier zeigt sich die Stärke unseres Patentportfolios. Wir haben über 6.000 essenzielle Patente für 5G und rund 20.000 Patentfamilien.

Bei den Patenterlösen handelt es sich ja um ein sehr hochmargiges Geschäft. Was bedeuten die jüngsten Verträge für den Cashflow in diesem Jahr?

Wir kriegen zunächst in diesem Jahr gut 400 Mill. Euro an Nachzahlungen, für die Zeit des Ausfalls, in der wir keinen Vertrag hatten. Allerdings haben wir Vorauszahlungen von rund 700 Mill. Euro erhalten, die wiederum gegengerechnet werden müssen.

Ist im Rahmen strategischer Überprüfung eigentlich daran gedacht, die Technologies-Sparte für Investoren zu öffnen?

Nein. Wir haben vier Geschäftsfelder, Nokia Technologies ist eins davon. Wir haben keine Pläne, es abzuspalten oder für Investoren zu öffnen.

Das Kerngeschäft ist sehr zyklisch. Wie sieht es aus mit Initiativen, das Geschäft zu verstetigen und mehr wiederkehrende Erlöse zu erzielen?

Derzeit machen Telekomnetzbetreiber noch 80% unserer Kundenbasis aus. Wir haben aber begonnen, den Anteil von Unternehmenskunden zu erhöhen, also das Geschäft unserer Entreprise-Sparte, die Netzwerklösungen direkt für Unternehmen und Webscaler baut, auszubauen. Die Division stand Ende letzten Jahres für 10% vom Umsatz. Darüber hinaus haben wir auch angefangen, das 5G-Kernnetz as-a-Service anzubieten, so dass die Kunden fortlaufend für das Netz zahlen, anstelle eines einmaligen Kaufpreises. Dabei sind wir unter den Ausrüstern der Pionier.

Haben Sie ein mittelfristiges Ziel für den Umsatzanteil, den die Entreprise-Sparte erreichen soll?

Das Geschäft ist im vergangenen Jahr 16% gewachsen, deutlich schneller als das Kerngeschäft, und Marktforscher gehen davon aus, dass es auch weiterhin stärkend expandieren wird. 

Geraten Sie dabei nicht in Konflikt mit Ihren traditionellen Kunden, die selbst Unternehmensnetze bzw. Campusnetze verkaufen wollen?

Wir sehen da eigentlich keinen Konflikt. In den Fällen, wo Mobilfunkspektrum benötigt wird, bauen wir die Netze sozusagen Hand in Hand mit den Telekomfirmen. Und falls es um andere Netzlösungen geht, ist das Wettbewerbsspektrum ohnehin viel breiter. Die Unternehmen kontaktieren ihren IT-Dienstleister oder uns direkt oder einen Vertriebspartner.

Ist das Geschäft auch ertragreicher als das klassische Geschäft?

Wir sind sehr zufrieden mit den Margen, die wir in diesem Geschäft erzielen, ich kann das aber nicht näher eingrenzen.

In jüngster Zeit hat es wieder vermehrt Anläufe gegeben, sogenannte Open-RAN-Technik zu installieren, die für die Telekomunternehmen den Vorteil haben soll, dass sie das Equipment verschiedener Vendoren zusammen nutzen können. Ist das eigentlich eine Bedrohung für Nokia?

Bei Open RAN werden einige Schnittstellen des Antennennetzes geöffnet, um dort Fremdtechnik mit einzubauen. Allerdings stehen die Netzbetreiber dann vor der Herausforderung, die Technik von zwei unterschiedlichen Lieferanten zu integrieren. Das heißt, sie benötigen einen Systemintegrator. Und das erhöht die Komplexität und kostet Geld. Die derzeit abgeschlossenen Open-RAN-Verträge basieren deshalb häufig nur auf der Technologie eines Lieferanten, deren Schnittstellen geöffnet wurden, ohne jemand anderen anzuschließen. Marktforscher rechnen bis 2027 mit einem Anteil von 24% bei Open-RAN-Netzen, aber nur 8% dürften tatsächlich von mehreren Lieferanten bestückt sein.

Ist das dann überhaupt eine sinnvolle Geschäftsidee?

Wir glauben, dass wir mit unserer Technologie in jedem Fall profitieren, wenn der Anteil von Open RAN in den Netzen zunimmt. Anders gesagt, wir sehen genauso viele Chancen wie Risiken für unseren Marktanteil. Das Wachstum ist da aber geringer, als erwartet worden war.

Warum profitiert Nokia nicht stärker von der Blockade von Huawei in vielen westlichen Märkten?

Wir haben unseren Marktanteil bei 5G seit Anfang 2022 bis heute von 23% auf 29% gesteigert. In den Fällen, in denen eine Telekomgesellschaft sich entschieden hat, ihre Vendorenbasis zu verändern, haben wir tatsächlich in der Hälfte aller Ausschreibungen den Deal gewonnen. Also, wir gewinnen Marktanteile. Und wir gehen davon aus, dass wir bei kritischen Netzwerkelementen erste Wahl sind.

Was war der Grund, warum Nokia den 14-Mrd.-Dollar-Auftrag von AT&T verloren hat?

AT&T ist noch immer ein wichtiger Kunde von uns, hat sich aber aus Kostengründen für einen Konkurrenten entschieden. Wir hatten 35% Anteil am AT&T-Antennennetz, der andere 65%. Es war für AT&T aus Kostengründen daher rational, den Auftrag an den Konkurrenten zu vergeben. Es hatte keine technologischen Gründe.

Sie haben im Oktober eine große Restrukturierungsrunde angekündigt. Wird das in jedem Fall jetzt ausreichen?

Das ist etwas, was wir nicht gern getan haben, wozu wir uns angesichts der Marktsituation aber gezwungen sahen. Wir haben zunächst kurzfristige Sparmaßnahmen eingeleitet, in der Hoffnung, dass sich die Nachfrage erholt. Das ist dann aber nicht eingetreten. Deshalb mussten wir handeln. Abhängig von der Marktentwicklung werden wir 7.200 bis 7.700 Stellen abbauen. Die Kostenersparnis beläuft sich dann auf 800 Mill. Euro oder am oberen Ende auf 1,2 Mrd. Euro.

Das Interview führte Heidi Rohde.