Jörg Kasten, Boyden

„Das war noch echtes Abenteuer“

Die Gründer mussten noch gegen den Ruch des „halbseidenen Gewerbes“ ankämpfen, über die Jahrzehnte hat sich das Headhunting jedoch etabliert und ist aus der Geschäftswelt nicht mehr wegzudenken.

„Das war noch echtes Abenteuer“

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Der global aktive Personalberater und Headhunter Boyden hat im vergangenen Jahr sein 75. Jubiläum gefeiert. Der Gründer Sidney Boyden gilt als Pionier in der direkten Ansprache von Führungskräften, um ihnen einen neuen Job schmackhaft zu machen. Er hat die Personalberatung 1946 in New York aus der Taufe gehoben mit dem Ziel, Führungskräfte durch gezieltes Abwerben für Unternehmen zu gewinnen. Heute ist Boyden Global Executive Search mit 300 Partnern in mehr als 70 Büros in über 45 Ländern eine der führenden und gleichzeitig ältesten Personalberatungen der Welt.

Jörg Kasten, Managing Partner im Frankfurter Büro von Boyden, konnte sich jüngst einen Eindruck über die Anfänge verschaffen, als auf einem Partnertreffen ein alter Schwarz-Weiß-Film gezeigt worden sei. Dort habe man eine Szene sehen können, wie Sidney Boyden qualmend im Büro eines Firmenbesitzers vorschlägt, einen neuen Werksleiter doch einfach bei der Konkurrenz abzuwerben. „Das war in dieser Zeit wirklich etwas Neues“, sagt Kasten.

Mit der Dame vom Amt

Damals sei es noch üblich gewesen, sich im eigenen Unternehmen umzusehen oder Stellenanzeigen zu schalten, wenn Positionen neu besetzt werden sollten. „Wenn sich keiner beworben hat, blieb die Stelle erstmal frei.“ Dass man sich aktiv im Markt umschaute, um einen passenden Kandidaten für eine bestimmte Aufgabe zu finden, sei vollkommen neu gewesen. Und es war damals technisch kein leichtes Unterfangen: „Es gab keine Mobiltelefone, sondern noch die gute alte Wählscheibe, kein Internet und keine sozialen Netzwerke“, sagt Kasten. „Die Dame vom Amt musste die Stecker einstöpseln, um eine vorher angemeldete Telefonverbindung herzustellen. Das war noch echtes Abenteuer.“

In Deutschland hat sich diese Praxis der Ansprache von Führungskräften erst viel später verbreitet, die Anfänge liegen hier 40 bis 50 Jahre zurück, schätzt Kasten. Boyden war einer der Ersten hierzulande, gegründet in den achtziger Jahren. Der Wettbewerber Spencer Stuart ist in den USA über ein Spin-off durch einen ehemaligen Mitarbeiter von Sidney Boyden entstanden. Andere Konkurrenten sind deutlich später an den Start gegangen. Korn Ferry wurde 1969 in Los Angeles gegründet, Russel Reynolds im selben Jahr in New York.

Handgemalte Organigramme

Kasten selbst ist seit 1991 im Headhunting aktiv. Auch zu der Zeit habe diese Praxis der Personalansprache noch einen „halbseidenen Ruf“ gehabt. „Ich habe zahlreichen Kunden noch erklären müssen, was wir tun und dass es nichts Verwerfliches ist“, erinnert sich Kasten. Es sei vielen Personalverantwortlichen damals nicht geheuer gewesen, ob man Mitarbeiter in Konkurrenzunternehmen überhaupt ansprechen dürfe. Es seien Diskussionen geführt worden, ob nicht dem Arbeitsamt die Monopolstellung in der Arbeitsvermittlung zu überlassen sei und ob Headhunting überhaupt legal ist. Die Vorsicht könnte auch damit zusammengehangen haben, dass die erforderlichen Daten damals nicht frei zugänglich waren. „Heute ist es Commodity, heute lassen sich Top-Positionen ohne Headhunter gar nicht mehr besetzen“, resümiert Kasten. Auch die Kandidaten stünden heute offener zum Headhunting als in früheren Zeiten. Für entscheidend hält Kasten die erste Kontaktaufnahme über eine persönliche Ansprache. Viele Top-Manager erhielten wöchentlich An­rufe von Personalberatern, oft werde aber versucht, den Erstkontakt über Callcenter herzustellen.

Die Dienstleistung des Headhunters habe sich im Verlauf der Zeit extrem gewandelt, umschreibt der Berater die Entwicklung seiner Branche. In seinen ersten Jahren habe der Service vor allem die Recherche umfasst, wer in Unternehmen in welcher Führungsposition tätig ist. „Das konnte man nicht im Internet recherchieren, damals gab es die Firmendatenbank Hoppenstedt noch als Buch.“ Bei Boyden hätten damals 60 Leute in der Researchabteilung den ganzen Tag lang telefoniert, um für den Kunden handgemalte Organigramme der größten Wettbewerber zusammenzustellen. „Das war Detektivarbeit.“

In Zeiten von Linkedin und Xing seien diese Recherchen nun keine „Raketenwissenschaft“ mehr, „eine Longlist mit 50 Kandidaten ist schnell erstellt“. Viele Unternehmen setzten inzwischen firmeneigene Recruitingabteilungen ein, um den Markt zu durchleuchten. Heutzutage bestehe die Dienstleistung des Headhunters darin, aus den 50 Kandidaten drei bis vier herauszufiltern, die für die Position in Frage kommen und die diese auch wollen. Zentrale Aufgabe des Headhunters sei es dann auch, die ausgewählten Kandidaten anzusprechen und den Kontakt zum möglichen neuen Arbeitgeber herzustellen. „Was früher Detektivarbeit war, ist heute eher Heiratsvermittlung“, schmunzelt Kasten.

Als entscheidend für eine erfolgreiche Besetzung hält Kasten, einen persönlichen Draht zu dem Kandidaten und aufzubauen und ihn durch den Prozess zu coachen. Wenn in der Besetzung einer Top-Position die ersten zwei, drei Interviews erfolgreich gelaufen seien, müsse der Kandidat eng bis zum Vertragsabschluss begleitet werden, damit er am Ende nicht doch noch abspringt. Oft gebe es ja konkurrierende Angebote oder intensive Bemühungen des bisherigen Arbeitgebers, um den Manager im Unternehmen zu halten. „Da ist der Personalberater derjenige, der den gesamten Prozess steuert, als Coach fungiert und Händchen hält.“

In dieser Fokussierung ist ihm für die Zukunft seiner Zunft nicht bang, diese Expertise sei nicht durch eine digitale Technologie oder einen Roboter zu ersetzen. Wer mit Algorithmen Kandidaten suche, bekomme stets Leute aus dem gleichen Umfeld angeboten.

Als Aufgabe eines guten Headhunters betrachtet es Kasten aber auch, „richtig gute Kandidaten zu finden, die Unternehmen nicht auf dem Zettel haben, weil sie zum Beispiel aus einer anderen Branche kommen“. Genauso brauche es einen Profi, um auszuloten, ob ein als passend befundener Kandidat wirklich in die Kultur des Unternehmens passt. „Das kann kein Algorithmus leisten.“

„Im Markt ist die Hölle los“

In der Pandemiezeit habe sich das Geschäft verändert. „Seit Anfang 2021 ist im Markt die Hölle los“, sagt Boyden. Im ersten Coronajahr hätten viele die Füße stillgehalten und abgewartet, wie sich die Lage entwickelt. „Dann wurde der Schalte umgelegt, und alle Unternehmen waren bemüht, nachzuholen, was ein Jahr lang liegen geblieben ist.“ Auf der Mandatsseite sei viel los, die Kandidatensuche sei indes nicht einfacher geworden. „Dass persönliche Kontakte und Reisen eingeschränkt sind, erschwert unseren Job ungemein.“ „Konspirative Treffen“ am Flughafen oder andernorts seien nicht mehr so leicht anzubahnen. „Es fällt schwerer, einen engen Kontakt zu dem Kandidaten aufzubauen.“

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