IM BLICKFELD

Der mühsame Weg zur neuen Umsatzbilanzierung

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt Börsen-Zeitung, 17.11.2017 Die Uhr tickt. Vom 1. Januar 2018 an müssen Unternehmen ihren Umsatz nach dem neuen internationalen Standard IFRS 15 erfassen. Diese Regeln wurden gemeinsam mit den USA aus der Taufe...

Der mühsame Weg zur neuen Umsatzbilanzierung

Von Sabine Wadewitz, FrankfurtDie Uhr tickt. Vom 1. Januar 2018 an müssen Unternehmen ihren Umsatz nach dem neuen internationalen Standard IFRS 15 erfassen. Diese Regeln wurden gemeinsam mit den USA aus der Taufe gehoben, so dass auch jenseits des Atlantiks die Umstellungsarbeiten laufen. Für viele Konzerne ist die Anpassung ein Kraftakt, sind doch alle umsatzrelevanten Verträge zu durchforsten. Denn künftig müssen einzelne Leistungen, die dem Kunden in einem Paket angeboten werden, gesondert erfasst werden. Damit ist jedem Baustein ein separater Kaufpreis anzuheften.Besonders betroffen sind Anbieter von sogenannten Mehrkomponentengeschäften. Klassisches Beispiel ist die Kombination von Mobilfunkvertrag und Mobiltelefon. Ein Telekommunikationskonzern muss im Fall des subventionierten Handy-Vertrags künftig Umsatzerlöse schon mit Auslieferung des Mobiltelefons erfassen, auch wenn der Kunde das Gerät erst über die Vertragslaufzeit über seine monatliche Telefonrechnung bezahlt. Auch Touristikkonzerne bieten oft gebündelte Einzelleistungen an – von Flug und Hotel bis zur Reiseversicherung. Softwarekonzerne, die ihren Kunden Lizenzen und Implementierung im Paket offerieren, gehören auch zu dem Kreis.Der neue Bilanzstandard ist alles andere als freudig begrüßt worden. Entsprechend zögerlich läuft die Umsetzung an. Viele Unternehmen haben es unterschätzt, dass sie der neue Standard doch mehr betrifft, als sie es zunächst vermutet haben, meint Jörg Bösser, Partner von EY und Leiter des IFRS Solutions Center der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Denn es gebe auch außerhalb der Telekombranche zahlreiche Mehrkomponentenverträge, wenn etwa ein Konsumprodukt verkauft wird und dabei eine verlängerte Garantie angeboten wird. Deutlich mehr InformationenMit IFRS 15 sind alle Konzerne gezwungen, ihre Umsatzerlöse aufzugliedern. Wer bisher nicht nach Produktkategorien aufgeschlüsselt, sondern nur eine Segmentberichterstattung geboten hat, müsse nun deutlich mehr Informationen liefern, erklärt Bösser. Dem Bilanzleser soll schließlich dargestellt werden, wie sich die einzelnen Erlöskategorien zusammensetzen. Das stelle viele Firmen vor große Herausforderungen.Nach einer Studie des CFA Institute gibt es sehr wenige frühzeitige Anwender unter den weltweit 300 größten Konzernen. In Deutschland gehört Siemens dazu, allerdings hat der Münchner Konzern mit Blick auf die Erstanwendung von IFRS 15 zum 1. Oktober 2017 bereits früh im Jahr angekündigt, dass “keine wesentlichen Auswirkungen auf den Konzernabschluss” erwartet werden. Nur wenige Unternehmen beziffern bislang die erwarteten Umstellungseffekte, sie geben oft nur qualitative Informationen.Die Deutsche Telekom hat den neuen Standard schon seit 2010 begleitet und auf höchster Ebene den Dialog mit dem internationalen Standardsetzer IASB gesucht. Die Vorbereitungen haben den Konzern bis heute einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag gekostet. Im Durchschnitt seien im Konzern mehr als 50 Mitarbeiter in Vollzeit mit dem Projekt befasst, mitgewirkt hätten mehr als hundert, heißt es in Bonn.Die Telekom hat gemeinsam mit anderen Unternehmen der Branche im Konsultationsprozess einen Portfolioansatz erkämpft, denn sonst hätte man 30 Millionen Privatkundenverträge allein in Deutschland einzeln auswerten müssen. Nun stecken diese in wenigen homogenen Portfolien, so dass auf dieser Basis die Umsätze erfasst werden können.Im Halbjahresbericht 2017 der Telekom wurde es konkret und mitgeteilt, dass die Gewinnrücklagen mit der Umstellung im Konzernabschluss zum 1.1.2018 um 3 bis 4 Mrd. Euro zunehmen werden – was vorweggenommenen Umsatz darstellt. In der laufenden Bilanzierung wird IFRS 15 dazu führen, dass Umsatzerlöse aus den mit dem Telefon verknüpften Mobilfunkverträgen früher erfasst und Aufwandsposten über einen längeren Zeitraum verteilt werden, erläutert Guillaume Maisondieu, Leiter Group Accounting.Bei der Telekom wird sich durch IFRS 15 der Gesamtumsatz so gut wie nicht verändern, jedoch wird die Umstellung zu einer Verschiebung der Umsatzanteile führen, die der Konzern aus den eigenen Dienstleistungen und aus dem Verkauf von Mobiltelefonen erzielt. Bislang entfallen über 80 % der gesamten Mobilfunkumsätze in Deutschland auf Serviceumsätze, also Umsätze mit Telefonie, Messaging (SMS) und Daten. Die übrigen Umsätze werden mit Mobilfunkendgeräten generiert. Mit IFRS 15 wird künftig mehr Umsatz auf die Hardware verteilt, so dass dieser zulasten des Mobilfunk-Serviceumsatzes steigt, erklärt Michael Brücks, Leiter Principles, Policies & Research der Telekom. Die Telekom erwarte eine Verschiebung von 1 bis 3 Prozentpunkten gemessen an den Gesamtumsätzen. Mit Verschiebung der Umsatzrubriken ändern sich zentrale Messgrößen. So ist die Entwicklung des Mobilfunk-Serviceumsatzes eine wichtige Kennzahl für Analysten. “Daran wird der Marktanteil gemessen”, erklärt Maisondieu. Allerdings sollten alle Wettbewerber von der neuen Bilanzierung in gleicher Weise betroffen sein.Bei aller Mühe erwartet Maisondieu, dass der neue Standard einige Verwirrung beim externen Bilanzleser auslösen kann. Denn abhängig vom Geschäftsmodell sind die Auswirkungen des neuen Standards unterschiedlich hoch. In Deutschland ist es üblich, dass Mobiltelefone im Rahmen eines Vertrags subventioniert sind. Hier sind die Auswirkungen im Vergleich zu den übrigen Konzerngesellschaften stärker. Gewinn- und-Verlust-Rechnung und Cash-flow-Statement werden entkoppelt, wenn künftig mehr Umsatz gebucht wird, der noch nicht in der Kasse ist. “Die Komplexität nimmt deutlich zu”, unterstreicht der Bilanzierungsexperte. Zur Komplexität trägt auch bei, dass die Ermessensspielräume durch die Bestimmung von Zeitwerten (Fair Values) für die Einzelveräußerungspreise größer werden, ergänzt Brücks. Denn für manche Umsatzkomponenten gebe es keinen im Markt beobachtbaren Preis.