Markus Fischer

„Die Börse gehört zu unserem Optionsraum“

Der CFO von Cargobeamer, Markus Fischer, spricht über Sattelauflieger auf der Schiene und die Finanzierung milliardenschwerer Investitionsvorhaben.

„Die Börse gehört zu unserem Optionsraum“

Stefan Paravicini.

Herr Fischer, vorneweg eine Frage stellvertretend für alle, die sich noch an Cargolifter erinnern können: Wie oft werden Sie als Finanzvorstand von Cargobeamer gefragt, ob Sie etwas mit Luftschiffen zu tun haben?

Nicht selten, aber immer weniger oft. Als ich 2016 bei Cargobeamer begonnen habe, wurde die Frage noch häufig gestellt. Ich kann aber versichern, dass die beiden Unternehmen nichts miteinander zu tun haben – weder inhaltlich noch was die Aussicht auf den Erfolg des jeweiligen Geschäftsmodells angeht.

Cargobeamer will die Fracht nicht in die Luft, sondern auf die Schiene bringen. Was macht das Angebot aus?

Ganz einfach: Cargobeamer ermöglicht jedem Sattelauflieger einfach und effizient das Fahren mit der Bahn. Damit verschaffen wir nahezu allen Sattelaufliegern schnell und unkompliziert den Zugang zu einer digitalisierten, autonomen Elektromobilität. Mit bestehenden Technologien können wir bereits heute eine fast vollständig dekarbonisierte Gütertransportkette schaffen.

Güterverkehr auf der Schiene ist keine neue Idee. Was macht Cargobeamer besonders?

Wenn ich Sie fragen würde, ob Sie einen Sattelauflieger lieber mit einem Kran auf einen Waggon heben oder diesen horizontal auf den Waggon verschieben würden, ob Sie die Auflieger lieber einen nach dem anderen oder alle gleichzeitig auf den Zug verladen würden und ob Sie das lieber mit einem kleinen Teil der Sattelauflieger oder mit allen können wollen, wie lautete Ihre Antwort?

Alle gleichzeitig auf den Waggon aufschieben und möglichst an­wendbar auf alle Sattelauflieger, richtig?

Ja, das entspricht auch unserer Überzeugung. Heute ist die Situation jedoch die, dass nur ein kleiner Teil aller Sattelauflieger, die die Straßen verstopfen, kranbar ist. Sie verfügen über Krankanten, die den Auflieger teurer und schwerer machen. Das ist auch der Grund dafür, warum nur etwa 5% aller Sattelauflieger auf europäischen Straßen kranbar sind. Diese Auflieger werden heute relativ kompliziert mit Containerkränen oder sogenannten Reach Stackern angehoben und einzeln auf einen Zug gehoben, weshalb die Be- und Entladung eines Zuges in der Regel drei bis vier Stunden dauert.

Die Infrastruktur ist an Containerfracht ausgerichtet?

Ja, und diese Container werden heute sehr effizient in Kranterminals umgeschlagen. Die Transportleistung in Europa hat sich jedoch in den vergangenen 30 bis 40 Jahren zugunsten der Straße und des Sattelaufliegers verschoben, weil er extrem flexibel ist. Die Schienenindustrie hat darauf nicht ausreichend reagiert, sondern erwartet noch häufig von Frachtkunden, dass sie teure, kranbare Trailer anschaffen, die dann in Krantermi­nals zeitaufwendig verladen werden.

Und die Antwort von Cargobeamer lautet wie?

Cargobeamer hat das komplett neu durchdacht. Unser Gründer hat sich angeschaut, was den Personenfernverkehr so erfolgreich macht. Da funktioniert es so, dass ein ICE im Bahnhof ankommt, alle Türen gleichzeitig aufgehen, alle Fahrgäste ungeachtet ihrer Größe mehr oder weniger gleichzeitig einsteigen und der Zug nach kurzem Aufenthalt weiterfährt. In unseren Terminals können wir einen kompletten Güterzug in weniger als 20 Minuten be- und entladen. Der Vorgang ist komplett automatisiert und parallelisiert – unsere Transportleistung vollständig digitalisiert. Hinzu kommt, dass Cargobeamer keine Insellösung ist. Unsere Waggons sind voll kompatibel zu anderen kombinierten Güterzügen und können auch in konventionellen Kranterminals verladen werden.

Wie lange arbeitet Cargobeamer bereits an dieser Idee?

Die Idee ist 2003 als Skizze gestartet. 2008 ist eine Gruppe von Aktionären dazugestoßen, die die notwendigen Mittel für Projektierung und Genehmigungsverfahren zur Verfügung gestellt hat, um die Technologie auf Herz und Nieren zu prüfen. Wir haben seit 2008 eine im Grunde unveränderte Aktionärsbasis, die uns nach jedem erreichten Meilenstein neues Geld gegeben hat, um den nächsten Schritt gehen zu können. Wenn man sich den Weg von Innovationen auf der Schiene anschaut, ist Cargobeamer sehr schnell unterwegs. Nachdem klar war, dass die Technologie einwandfrei funktioniert, und wir auf unserer ersten kommerziell betriebenen Strecke beweisen konnten, dass wir eine sehr gute Auslastung und hohe Kundenzufriedenheit erreichen, fiel die Entscheidung, mit der Skalierung zu beginnen.

Warum ist jetzt die Zeit für diese Technologie gekommen?

Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Zum einen haben wir das nötige Vertrauen des Marktes und der Gesellschafter in die Technologie geschaffen. Zum anderen gibt es ein ganz neues Verständnis für die Notwendigkeit, auch im Güterverkehr klimaneutral unterwegs zu sein. Dafür gibt es nicht nur den politischen Willen, das wird in erster Linie von den Kunden und vom Markt getrieben. Große Verlader aus dem E-Commerce- und Großhandel oder die Automobilhersteller, die in der Logistik den Ton angeben, wollen ihre Logistikkette dekarbonisieren, weil sie richtigerweise davon ausgehen, dass CO2-belasteter Güterverkehr in Zukunft deutlich teurer wird. Auch die Kunden dieser Firmen erwarten mehr Nachhaltigkeit. Aber am Ende des Tages geht es in der Logistik immer darum, kostenoptimal zu produzieren. Wir ermöglichen die Dekarbonisierung der Logistikkette ohne zusätzliche Investitionen der Kunden. Der Spediteur muss dazu nur seine Dispositionsprozesse umstellen und kann damit schon heute 10 bis 15% der Kosten sparen.

Wie sieht denn der Investitionsbedarf für Waggons und Verladeterminals von Cargobeamer aus?

Es gibt für uns zwei Wachstumstreiber. Der Haupttreiber ist die Verfügbarkeit von Cargobeamer-Waggons, die die Sattelauflieger aufnehmen. In den nächsten zehn Jahren werden wir deutlich mehr als 2 Mrd. Euro in diese Waggons investieren. Die Produktionskapazitäten stehen global zur Verfügung. Hier ist das Wachstum im Grunde nur begrenzt von der Verfügbarkeit von Finanzierungsmitteln.

Und die Terminals?

Der zweite Wachstumstreiber sind unsere Terminals. Dafür haben wir einen klaren Plan: Wir möchten bis 2032 mehr als 30 Cargobeamer-Terminals entlang der wichtigsten Transportrouten in Europa bauen. Dafür werden wir deutlich mehr als 1 Mrd. Euro investieren, hier stehen anders als bei den Waggons aber erhebliche Fördermittel zur Verfügung. Auch die Politik hat erkannt, dass es nicht reicht, viel Geld in die Schiene zu investieren, sondern auch die nötige Infrastruktur benötigt wird, um den Verkehr auf die Schiene zu bringen. Ein Cargobeamer-Terminal ist im Vergleich günstiger als ein Containerkranterminal und verbraucht weniger Fläche, hat aber die vier- bis fünffache Kapazität von 250000 bis 300000 Sattelaufliegern pro Jahr. Daher sind wir sehr zuversichtlich, dass wir die Förderquoten ausschöpfen können, die in Europa heute zwischen 25 bis 80% liegen.

Wie steht es um die Finanzierung dieser Investitionsvorhaben?

Unsere Aktionärsbasis besteht bisher aus Family Offices, aus vermögenden Privatinvestoren und einer kleinen Gruppe von Gründeraktionären. Dieser Aktionärskreis hat 2019 und 2020 noch einmal 50 Mill. Euro Eigenkapital zur Verfügung gestellt, mit denen wir ein Investitionsvolumen von etwa 120 Mill. Euro stemmen. Damit haben wir 216 Cargobeamer-Waggons für neue Züge bestellt und die Finanzierung für unsere ersten drei Terminals in Calais, Domodossola und Kaldenkirchen sichergestellt. Für die Waggons konnten wir mit einer Asset-Backed-Struktur eine erste Fremdkapitalfinanzierung mit zwei deutschen Finanzinstituten umsetzen. Zur Finanzierung der drei Terminals haben wir in Ergänzung zu den Fördermitteln eine Kreditlinie mit der Europäischen Investitionsbank abgeschlossen. Daneben haben wir einen Betriebsmittelkredit von unserer Hausbank aufgenommen.

Werden Sie für die geplanten Investitionen auch die Investorenansprache erweitern?

Wir machen gerade eine neue Kapitalerhöhung, die sich zum ersten Mal an Investoren außerhalb des be­stehenden Gesellschafterkreises ge­richtet hat. Aufgrund des regen Interesses werden wir mehr als die ursprünglich geplanten 25 Mill. Euro einwerben. Der Investorentypus ist dabei unverändert in erster Linie Family Offices und vermögende Privatinvestoren – aber auch Bestandsinvestoren haben mitgezeichnet. Die erste Runde bei institutionellen Investoren, mit der wir einen deutlich höheren Betrag einsammeln wollen, werden wir voraussichtlich in den nächsten 18 Monaten drehen.

Welche institutionellen Investoren haben Sie im Blick?

Hier gibt es sicher ein breites Feld an Investoren, für die Cargobeamer ein sehr interessantes Investitionsziel sein kann. Dazu gehören ESG-Investoren, die neben nachhaltig hohem Wachstum einen Beitrag zur Klimaverbesserung suchen, aber auch klassische Infrastrukturinvestoren. Für unsere Finanzierungsstrategie haben auch die Fremdkapitalmärkte große Bedeutung: Neben der traditionellen Rolling-Stock-Finanzierung mit Banken und Leasinggesellschaften kommen auch Verbriefungsprogramme in Frage, ich komme ja selbst aus der Verbriefungsbranche. Wir schauen uns aber auch ganz innovative neue Finanzierungsinstrumente an, die wir in Zukunft nutzen können, um unser rollendes Material finanzieren zu können.

Welche Rolle spielt eigentlich der Duisburger Hafenbetreiber im Aktionärskreis?

Wir haben im Rahmen der jüngsten Finanzierungsrunde die Duisport AG als ersten strategischen Investor mit an Bord geholt. Die kennen sich im Bereich Logistik und Transportbehälter besonders gut aus und haben Cargobeamer als das System identifiziert, bei dem sie sich beteiligen wollen. Wir haben beide die gleiche Zukunftsvision: Gemeinsam arbeiten wir auf einen digital automatisierten Umschlag für Sattelauflieger von der Straße auf die Schiene hin. Zudem ist die Duisport AG auch der Hub für Güterverkehre zwischen China und Europa, und unsere Technologie lässt sich natürlich auch im Schienenverkehr entlang der neuen Seidenstraße ausspielen. Stichwort Spurwechsel sowie ein für den Asienverkehr optimierter Hochvolumen-Bahncontainer. Das sind die zwei wesentlichen Gründe, warum die Duisport AG sich bei uns beteiligt hat, und davon versprechen wir uns beide viele Vorteile.

Ist Cargobeamer vor dem Hintergrund des großen Investitionsbedarfs auch ein Kandidat für einen Börsengang?

Ich glaube schon, dass Cargobeamer mit seinem langfristig hohen Wachstumspotenzial ein sehr interessantes Unternehmen für die Börse sein kann. Die Innenfinanzierungskraft wird relativ stark sein, das Geschäft liefert stabile Cash-flows. Gleichzeitig ist es aber unser Anspruch, schnell und stark zu wachsen. Das heißt, dass wir vor allem in den ersten Jahren sehr viel Kapital benötigen. Es ist darüber keine Entscheidung getroffen, aber die Kapitalbeschaffung über die Börse gehört auch mit zu unserem Optionsraum.

Wer sind die wichtigsten Wettbewerber?

Unser Hauptwettbewerber ist der Verkehrsträger Straße. Wir können verlässlicher und günstiger als die Straße sein und so den Kuchen für die Schiene insgesamt größer machen. Wir wollen der Straße Verkehre wegnehmen, davon haben alle etwas – auch die Straßenbenutzer, die dann weniger im Stau stehen. Das ist ja so toll an der Idee hinter Cargobeamer, es gibt eigentlich nur Gewinner. Unser Wettbewerb ist die Straße.

Und die kann der Schiene auch mit autonomen Trucks und grünem Wasserstoff in der Brennstoffzelle nicht mehr gefährlich werden?

Natürlich gibt es auch auf der Straße Technologien, mit denen umweltfreundlichere Transporte organisiert werden können, die vielleicht auch autonom und deshalb kostengünstiger sein werden. Aber wir bieten das bereits heute an, und alles ist schon da: Wir haben Kunden, wir sind in Europa voll lizenziert und sind günstiger als die Straße. Wir müssen jetzt nur möglichst schnell viele Waggons auf die Schiene bringen und möglichst viele Umschlagskapazitäten schaffen, um unseren Kunden die kompletten Vorteile von Cargobeamer bieten zu können. Deshalb wollen wir möglichst schnell unser Kernnetz aufbauen. Wenn wir erst einmal über 20 oder 30 Terminals in Europa verfügen, kommt der Netzwerk-Effekt voll zum Tragen und unsere Vorteile werden noch überzeugender.

Wann wird denn das erste Cargobeamer-Terminal fertig sein?

Das Terminal in Calais konnte bereits nach zehn Monaten Bauzeit fertiggestellt werden und wird in diesen Tagen offiziell in Betrieb genommen. In Kaldenkirchen arbeiten wir seit geraumer Zeit am Erhalt des Baurechts und hoffen auf baldige Bewilligung durch die deutschen Behörden. In Domodossola haben wir vor kurzem die Flächen erworben. Wir erwarten dort in den nächsten Monaten ebenfalls Baurecht.

In welcher Größenordnung bewegt sich das Geschäft von Cargobeamer aktuell, und wann soll das Unternehmen profitabel sein?

Auf unserer ersten Stammstrecke zwischen Kaldenkirchen und Domodossola fahren wir heute elf Rundläufe pro Woche mit einer Kapazitätsauslastung von mehr als 90%. In diesen Monaten gehen die ersten neuen Züge in Betrieb, die wir auf den neuen Strecken zwischen Calais und Perpignan und ab Oktober zwischen Calais und Domodossola einsetzen. In 2020 haben wir einen Umsatz von 12 Mill. Euro erzielt, in diesem Jahr erwarten wir eine Verdoppelung und im nächsten Jahr eine Verdreifachung. Die Frage nach der Profitabilität ist auch eine Frage danach, wie aggressiv wir wachsen wollen. Unsere Kunden verlangen nach mehr Transportkapazität und neuen Strecken. Aber jede neue Strecke benötigt eine gewisse Zeit, um das Auslastungsziel und damit Rentabilität zu erreichen. Zu Beginn muss man in der Regel erst einmal Geld mitbringen.

Das Interview führte

BZ+
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