Pharmaindustrie

Ein Milliarden-Deal mit Hintergedanken

Novartis verkauft ihre vor 20 Jahren aufgebaute Roche-Beteiligung für fast 20 Mrd. sfr und weckt Fantasie für neue Expansionsschritte.

Ein Milliarden-Deal mit Hintergedanken

Von Daniel Zulauf, Zürich

Keine Woche nach der Ankündigung eines möglichen Verkaufs der Sandoz-Division überraschte der Pharmamulti Novartis seine Aktionäre am Donnerstag mit der Bekanntmachung über den Verkauf der großen Roche-Beteiligung. Der Wert der Transaktion beträgt nahezu 20 Mrd. sfr. Er hat sich über die ganze Haltedauer von 20 Jahren hinweg vervierfacht. Novartis hat von Roche Dividendenzahlungen von insgesamt mehr als 6 Mrd. Dollar einkassiert. Die Gesamtrendite der Beteiligung beträgt nach Angaben von Novartis 10,2% pro Jahr. Das alles zeigt: Der Deal ist von größter Bedeutung für die Aktionäre beider Firmen. Den Novartis-Aktionären winkt zwar ein Riesengewinn, aber ihre Aktien sind im Lauf der vergangenen 20 Jahre nur um 25% gestiegen. Mit der Roche-Beteiligung geben sie also eine Perle aus den Händen.

Dies wirft Fragen über das Motiv des Verkaufes auf. Novartis sagt auf Anfrage, die Beteiligung habe nie zum Kerngeschäft gehört und mit dem historischen Höchststand der Roche-Titel sei eine attraktive Gelegenheit für den Ausstieg. Diese Argumente hätte Novartis freilich schon im Sommer 2019 vorbringen können. Damals hatten die Roche-Titel gerade ihren historischen Höchststand aus dem Jahr 2014 überschritten und von der Pandemie war noch gar nichts zu sehen.

Was sich für Novartis seither geändert hat, bleibt unklar. Sicher ist nur, dass der Konzern den bereits 2015 mit dem Teilverkauf des Geschäfts mit rezeptfreien Medikamenten (Merfen, Vita-Merfen, Voltaren etc.) an die britische GlaxoSmithKline (GSK) eingeleiteten Umbau seit 2018 stark beschleunigt hat.

Stimmkraft steigt

Im Fall von Roche drängt sich ein Motiv immerhin auf. Roche will die 53,3 Millionen zurückgekauften Inhaberaktien per Beschluss einer auf den 26. November angesetzten Generalversammlung vernichten. Es handelt sich um rund ein Drittel aller ausstehenden Stimmrechtsaktien. Folglich steigt die Stimmkraft pro verbleibende Aktie – namentlich auch für die Erbenfamilien – um ein Drittel von leicht über 50% auf 67,5%. Damit erhalten die Mitglieder des natürlicherweise von Generation zu Generation größer werdenden Familienstammes mehr Flexibilität, Aktien zu verkaufen, ohne die Stimmenmehrheit des Pools zu gefährden. Hinzu kommt, dass die Gesamtmenge aller ausstehenden Titel (einschließlich der stimmrechtslosen Genussscheine) um mehr als 6% kleiner wird, was allen Anteilseignern einen entsprechend höheren Anteil an der jährlichen Dividende bringt.

Aber was bringt der Deal den Novartis-Aktionären? Die Firma sagt auf Anfrage, sie werde den Milliardenerlös im Rahmen der „Prioritäten bei der Kapitalallokation“ verwenden, um Mehrwert für die Aktionäre zu schaffen. Gemeint sind damit erstens die üblichen Investitionen, zweitens die Steigerung der Dividenden und drittens Akquisitionen.

Auch das ist nichts Neues und kaum ein Argument, das den Investoren als Begründung für den Verkauf der lukrativen Roche-Beteiligung genügen dürfte. Kein Wunder kursieren an der Börse bereits Spekulationen über eine nächste Großakquisition. Tatsächlich erscheint es plausibel, dass Novartis die Transaktion schon mit dem Hintergedanken eines nächsten großen Deals vornimmt. Der Konzern ist auf der Liste der führenden Pharmafirmen auf den neunten Platz abgerutscht.

Davon kann Novartis-Dealpartner GSK gerade ein Lied singen. Dessen Chefin Emma Walmsley wird seit den Sommermonaten hart vom New Yorker Hedgefonds Elliott bedrängt. Sie sei die falsche Person, um GSK voranzubringen, kritisieren die Finanzinvestoren. Walmsley will das von Novartis zugekaufte Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten im kommenden Jahr separat an die Börse bringen. Elliott findet, sie sollte es einem Investor verkaufen. GSK hat im Kreis der globalen Top-Unternehmen im Pharmageschäft in den vergangenen Jahren deutlich mehr Boden verloren als Novartis. Aber auch die Baseler haben sich nach der wegweisenden Fusion von Ciba-Geigy und Sandoz vor 25 Jahren einen eklatanten Rückstand auf die Spitze eingehandelt.

Vor diesem Hintergrund erscheint der Gedanke naheliegend, dass man sich in der Novartis-Führung mit den Möglichkeiten einer neuen Fusion auseinandersetzt, zumal es dafür auch industrielle Argumente gibt. Inwieweit GSK in diesen mutmaßlichen Planspielen tatsächlich eine Rolle spielt, weiß natürlich nur das oberste Novartis-Management. Im­merhin ist GSK in den vergangenen Jahren ein vertrauter Dealpartner von Novartis geworden, und wie es scheint, könnten die Briten etwas Verstärkung derzeit gut gebrauchen.

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