GASTBEITRAG

Komplexe Verwaltungsverfahren lähmen Rekrutierung ausländischer Fachkräfte

Börsen-Zeitung, 10.10.2018 Deutschland diskutiert über eine geregelte Zuwanderung. Die deutsche Wirtschaft sorgt sich aber weniger um Obergrenzen und Migrationsstatistiken. Den Unternehmen bereitet vielmehr Kopfzerbrechen, wie und wo sie die nötigen...

Komplexe Verwaltungsverfahren lähmen Rekrutierung ausländischer Fachkräfte

Deutschland diskutiert über eine geregelte Zuwanderung. Die deutsche Wirtschaft sorgt sich aber weniger um Obergrenzen und Migrationsstatistiken. Den Unternehmen bereitet vielmehr Kopfzerbrechen, wie und wo sie die nötigen Fachkräfte anwerben können. Der deutsche Arbeitsmarkt ist in vielen Branchen und Sektoren weitgehend leer – zusätzliche Experten können oftmals nur aus dem Ausland kommen.Jeder Unternehmer, der qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland anwirbt oder beschäftigt, kennt die Probleme, die dabei entstehen. Im Mittelpunkt stehen dabei neben gesetzlichen Hürden oft auch Verwaltungsverfahren, die nicht schnell oder übersichtlich genug gestaltet sind. Deshalb muss ein überarbeiteter gesetzlicher Rahmen auch zur Automatisierung und Verschlankung der Verfahren führen. Legal Tech und Prozessmanagement bieten viele Möglichkeiten, die noch nicht ausgeschöpft werden. Den Eckpunkten des Kompromisses der Regierungsparteien vom 1.10.2018 ist dazu wenig zu entnehmen. Erst der Referentenentwurf des Fachkräfte-Zuwanderungsgesetzes wird genaue Anhaltspunkte dazu liefern können. Differenzierter RahmenWas nicht fehlt, ist ein ausreichend differenzierter Regelungsrahmen. Für den ausländerrechtlichen Rahmen exklusive der Besonderheiten vor allem des europäischen Freizügigkeitsregimes ist dies § 4 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG). Ein Ausländer benötigt für Einreise, Aufenthalt und Arbeitsaufnahme eine Erlaubnis in Form eines Aufenthaltstitels. Um dem gesetzlichen Rahmen eine gewisse Systematik zu geben, werden unterschiedliche Zwecke definiert und innerhalb der Zweckgruppen die spezifischen Voraussetzungen. An Tatbeständen und Rechtsfolgen mangelt es freilich nicht.Beispielsweise können für die Beschäftigung einer ausländischen IT-Fachkraft gut ein halbes Dutzend verschiedener Rechtsgrundlagen in Abhängigkeit von Qualifikation, Gehalt, Berufserfahrung und Staatsangehörigkeit anwendbar sein.Was nicht geändert werden sollte, ist die Nachfrageorientierung bei Erwerbsmigration. Nachfrageorientierte Erwerbsmigration bedeutet schlicht, dass zur Erlangung eines Aufenthaltstitels der Migrant grundsätzlich ein Arbeitsplatzangebot im Inland nachweisen muss (§ 18 Abs. 5 AufenthG). Gewisse Ausnahmen davon bestehen in Fällen von unternehmensinternen Entsendungen oder Direktentsendungen zu Kunden, was aber keine Fälle der dauerhaften Erwerbsmigration sind. Der Gesetzgeber hat im Jahr 2012 mit der Regelung des § 18c AufenthG eine Ausnahme davon und ein angebotsorientiertes Element geschaffen. Ausländer, die über einen inländischen oder ausländischen und zumindest vergleichbaren Abschluss verfügen, können danach einen Aufenthaltstitel mit Gültigkeit von bis zu sechs Monaten für die Arbeitsplatzsuche in Deutschland erhalten, sich potenziellen Arbeitgebern anbieten und aufgrund des Arbeitsvertrages im Inland einen längerfristigen Aufenthaltstitel beantragen. Einfache Prozesse fehlenDieses Element ist alles andere als eine Erfolgsgeschichte: Im Jahre 2017 wurden 206 Aufenthaltstitel nach § 18c AufenthG erteilt, die Zahl der nachfrageorientierten Aufenthaltstitel liegt bis um das 500-fache darüber (Quelle: BAMF, Wanderungsmonitoring 2017). Deshalb ist die zeitlich befristete Erweiterung dieser Regelung auf Fachkräfte mit qualifizierter Berufsausbildung unterhalb von Hochschulabschlüssen durchaus kritischer zu sehen als in der politischen Diskussion.Was bereits bei der Zuwanderung von Fachkräften mit Hochschulabschluss nicht funktioniert, erscheint nur schwer nachvollziehbar als Lösung des Fachkräftemangels in Ausbildungsberufen wie etwa Pflegeberufen.Was wirklich fehlt, sind einfache, eindeutige und schnelle Prozesse. Über die aktuellen Probleme von Fachkräftezuwanderung lässt sich guten Gewissens nur mit Kenntnissen aus der Praxis sprechen – dazu folgendes Beispiel, das typische Problemkreise konsolidiert zusammenfasst: Ein indischer IT-Spezialist hat in seinem Heimatland ein Bachelorstudium im Bereich Softwareentwicklung erworben. Nach fünfjähriger Berufserfahrung in einem Softwareunternehmen in Chennai einschließlich begrenzter Auslandsentsendungen bewirbt er sich auf eine mit 80 000 Euro dotierte Stelle als leitender Softwareentwickler in einem mittelständischen deutschen Unternehmen.Nach erster Onlinerecherche ist für ihn klar, dass er sich für eine Blaue Karte EU (einem speziellen Aufenthaltstitel für Fachkräfte mit Hochschulabschluss) qualifiziert. Das Visumverfahren, welches er vorab durchlaufen muss, wird in puncto Verfahrensdauer mit wenigen Wochen beschrieben. Nach erster Begeisterung stellt sich jedoch heraus, dass sein Abschluss in einer Datenbank zur Klassifikation ausländischer Abschlüsse (“ANABIN”) nicht aufgeführt ist. Option bleibt die Durchführung einer individuellen Zeugnisbewertung bei der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB). Nachdem er festgestellt hat, dass der Dokumentationsumfang dafür bis zum Schlusszeugnis mit Hochschulreife zurückreicht, dass er Dokumentenkopien mit amtlicher Beglaubigung nach Deutschland senden muss und dass das Verfahren mehrere Wochen dauert, ist das geplante Eintrittsdatum in akuter Gefahr.Aufgrund der Expertise des zukünftigen Mitarbeiters sucht der Arbeitgeber selbst nach Möglichkeiten, das Verfahren zu beschleunigen, und wird insoweit fündig, als es offenbar mehrere Aufenthaltstitel für die Beschäftigung ausländischer Mitarbeiter gibt, die weder eine Klassifikation auf ANABIN noch ein individuelles Zeugnisbewertungsverfahren erfordern. Namentlich würde dies für Unternehmensspezialisten mit einem (nicht zwingend vergleichbaren) Hochschulabschluss und einschlägiger Berufserfahrung gelten. Dafür könne sogar eine verfahrensbeschleunigende Vorabzustimmung der Bundesagentur für Arbeit (BA) beantragt werden. Zu diesem durchaus positiven Ergebnis gelangt er jedoch erst nach mehreren Wochen, unzähligen Telefonaten mit Behörden und eigenen Recherchen. Das Visum könnte im Idealfall binnen zwei Wochen nach dem Visumstermin des Mitarbeiters vorliegen. Insgesamt hat sich die Vorlaufzeit für den Eintritt des Mitarbeiters schon auf zwei bis drei Monate erhöht.Finaler Schritt vor Einreise soll nun der Weg des indischen IT-Spezialisten zum deutschen Generalkonsulat in Chennai sein, wofür noch ein Termin zu vereinbaren ist. Aktuell würde dies zu dem frustrierenden Ergebnis führen, dass binnen der nächsten zwei bis drei Monate keinerlei Termine mehr als verfügbar angezeigt sind. Keine EinzelfälleFälle wie dieser sind keine Einzelfälle und zeigen sehr anschaulich, dass die Probleme nicht nur in den gesetzlichen Rahmenbedingungen liegen, sondern auch in der Komplexität und Struktur von Verwaltungsverfahren sowie in allenthalben knappen Ressourcen. Darauf versperren ideologische und programmatische Diskussionsansätze die Sicht.Wäre es nicht möglich gewesen, bereits zusammen mit den grundlegenden Informationen auf der Webseite der Auslandsvertretungen ein Tool zu implementieren, welches bei mehreren Optionen die verschiedenen rechtlichen Anforderungen und konkrete Verfahrensschritte abbildet? Müssen Informationen nicht so konkret wie möglich sein, um einerseits die Erwartungshaltungen aller Beteiligten zu moderieren und anderseits Planbarkeit zu geben? Sollten Entscheidungen zwar erst nach Prüfung aller dafür erforderlichen Nachweise getroffen, die Nachweise dafür so eindeutig und verbindlich wie möglich vorab benannt werden? Sollten Fachkräfte nicht binnen weniger Wochen nach einem Arbeitsplatzangebot die Stelle auch antreten können? Und vor allem: Würden Sie als Arbeitgeber nicht den einfacheren Weg gehen, auf den idealen Kandidaten verzichten und statt seiner eine Notlösung einstellen? Technische LösungenWas nur helfen kann: Automatisierung, Digitalisierung und Privilegierung. Mittel der Wahl könnten und müssten sein: Legal Tech für ein Tool zur eindeutigen und schnellen Bestimmungen von Migrationsoptionen und -herausforderungen, Verknüpfungen von Datenbanken wie ANABIN mit jenen Tools und die Schaffung von Expressverwaltungsverfahren für den Bereich der Fachkräftemigration (bei entsprechend höheren Verwaltungsgebühren). Den organisatorischen Rahmen dafür zu schaffen muss Aufgabe eines Gesetzes zur Erleichterung der Gewinnung von Fachkräften sein. Auch wenn es begrifflich weniger en vogue ist, hat es inhaltlich weitaus größere Tiefe.—-Sebastian Klaus, Senior Manager, KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft