RECHT UND KAPITALMARKT

Unsicherheit in der Ad-hoc-Publizität

Emittenten stellen Marktmissbrauchsverordnung schlechtes Zeugnis aus - "Weniger Rechtssicherheit und erheblicher Aufwand"

Unsicherheit in der Ad-hoc-Publizität

Von Lucina Berger und Wolfgang Groß *)Die Marktmissbrauchsverordnung (MMVO) hat auch zwei Jahre nach Geltungsbeginn nicht zu mehr, sondern in einzelnen Bereichen wie etwa der Ad-hoc-Publizität zu weniger Rechtssicherheit geführt. Gleichzeitig hat sich der bürokratische Aufwand der Emittenten erhöht und der Schutz der Investoren nicht verbessert. Das sind zusammengefasst die wesentlichen Ergebnisse einer Umfrage von Hengeler Mueller und des Deutschen Aktieninstituts bei Emittenten, deren Wertpapiere an einer deutschen Börse gehandelt werden.Die Ergebnisse der Umfrage stellen der Marktmissbrauchsverordnung in vielen ihrer Regelungsbereiche eine schlechte Note aus und dürften die allgemeine Stimmung im Markt gut wiedergeben. Schließlich lagen die Rücklaufquoten bei Dax-Unternehmen bei 60 %, bei TecDax- und MDax-Gesellschaften immerhin bei 33 bzw. 30 %. Gerade die hohe Rücklaufquote von 18 der 30 Dax-Unternehmen zeigt, wie sehr diese Unternehmen die MMVO beschäftigt und wie sehr sie, gerade bei der Ad-hoc-Publizität, diesen Gesellschaften Rätsel aufgibt. Wenig Licht, viel SchattenZwar zeigen die Ergebnisse der Umfrage bei einigen von der MMVO geregelten Bereichen durchaus nicht nur negative Erfahrungen mit der MMVO. So geben bis zu 30 % der Unternehmen an, in den Bereichen Rückkauf eigener Aktien, Marktsondierung, Insiderlisten und Managers` Transactions sei die Rechtssicherheit durch die MMVO gestiegen. Immerhin 26 % der Unternehmen konstatieren zudem, dass sich der Investorenschutz bei Managers` Transactions durch die MMVO leicht verbessert habe.Dem gegenüber steht jedoch ein erheblicher Aufwand für die Unternehmen. Mehr als 90 % der Befragten haben etwa eine Zunahme der bürokratischen Anforderungen in Zusammenhang mit Insiderlisten beobachtet. Ähnlich hoch liegt das Niveau bei Ad-hoc-Publizität (88 %) und Managers` Transactions für 87 %. Gerade bei der Ad-hoc-Publizität macht sich dieser Aufwand jedoch offenbar alles andere als bezahlt. 54 % der Marktteilnehmer geben an, dass die Rechtssicherheit mit Einführung der MMVO zurückgegangen ist, 18 % beobachten sogar eine starke Abnahme. In der Konsequenz wird gerade dort deutlich häufiger (27 %) bzw. häufiger (35 %) externer Rechtsrat gesucht. Präzisierung gewünschtInsofern wundert es nicht, dass sich eine überwältigende Mehrheit der Unternehmen (90 %) eine Präzisierung bei den Tatbestandsvoraussetzungen der Ad-hoc-Publizität wünscht. Im Fokus stehen dabei für Unternehmen etwa Aspekte wie der Zeitpunkt des Entstehens von Insiderinformationen, vor allem in gestreckten Sachverhalten (81 %), die Eignung eines Sachverhalts zur erheblichen Kursbeeinflussung (73 %) oder der Begriff der “präzisen Information” (48 %).Diese Zahlen, zusammen mit dem Urteil, die Rechtssicherheit sei hier zurückgegangen, belegen, dass es in der Praxis sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich ist, sicher zu beurteilen, wann eine Ad-hoc-Publizitätspflicht beginnt. Die Ad-hoc-Publizitätspflicht setzt eine den Emittenten unmittelbar betreffende Insiderinformation voraus. Eine Insiderinformation ist – verkürzt – eine nicht öffentlich bekannte, präzise Information, die, wenn sie bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs der Finanzinstrumente der Emittenten erheblich zu beeinflussen. Hier sind seit 1994, als erstmals die Ad-hoc-Publizitätspflicht in Deutschland eingeführt wurde, viele Fragen geklärt worden und teilweise auch in den Text des einschlägigen Artikels 17 MMVO eingeflossen. Viele, ganz entscheidende Fragen sind dagegen noch offen.So ist zwar klar, dass bei einem sogenannten gestreckten Sachverhalt jeder Zwischenschritt und nicht nur das mögliche Endergebnis auf seine Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung geprüft werden muss. Konkret muss im Fall des Rücktritts eines Vorstandsvorsitzenden jeder einzelne Schritt bis hin zum endgültigen Rücktritt auf die Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung geprüft werden. Das gilt von den ersten persönlichen Überlegungen, den Gesprächen mit dem Ehepartner, den Gesprächen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden, den Gesprächen mit weiteren Aufsichtsratsmitgliedern, der Behandlung der Amtsniederlegung im Personalausschuss des Aufsichtsrates bis hin zur Zustimmung des allein zuständigen und damit allein zur Zustimmung zur Amtsniederlegung berechtigten Gesamtaufsichtsrats. Doch welcher dieser zahlreichen Schritte ist geeignet, den Kurs erheblich zu beeinflussen? Welchen Schritt würde ein verständiger Anleger wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung nutzen, so lautet nämlich die Definition der Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung.Gleiches gilt bei Zusammenschlussplänen: Jeder Schritt ist zu prüfen: die ersten Gespräche auf CEO-Ebene, weitere Detailgespräche, die Zusammenstellung des Projektteams, die Vergabe eines Projektnamens, weitere Konkretisierungen des Vorhabens bis hin zur Entscheidung des Vorstandes und Zustimmung des Aufsichtsrats. Würde der verständige Anleger wahrscheinlich bereits die ersten Gespräche auf CEO-Ebene als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung nutzen?Die Antwort auf diese Fragen wird sicherlich nicht dadurch erleichtert, dass auch ein “verständiger Anleger” kurzfristige Kursschwankungen und spekulative Gesichtspunkte bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigt.Die Entscheidung, was genau, also welchen der vorgenannten Schritte der so umschriebene Anleger bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde, ist höchst unsicher. Beim ebenfalls ab dem Moment des Vorliegens einer Insiderinformation eingreifenden Insiderhandelsverbot kann man noch vorsichtig vorgehen und allen potenziellen Insidern sicherheitshalber jeden Handel in den betroffenen Wertpapieren untersagen: Hier muss nicht wirklich entschieden werden, ob bereits eine Insiderinformation vorliegt. Dagegen liegt eine solche “höchst vorsorgliche” Lösung hinsichtlich der Ad-hoc-Publizitätspflicht nicht etwa in einer ebenfalls höchst vorsorglichen Aufschiebeentscheidung, d.h. in dem Beschluss des Emittenten, die – möglicherweise bestehende – Ad-hoc-Veröffentlichung aufzuschieben.Diese Lösung ist schon allein deshalb schwierig, weil rund 70 % der Unternehmen in der Umfrage von Hengeler Mueller und dem Deutschen Aktieninstitut angaben, dass sie die Regeln zur Selbstbefreiung als nicht eindeutig ansehen. Noch entscheidender ist aber ein anderer Aspekt: Gestreckte Sachverhalte, zum Beispiel Zusammenschlussvorhaben, können sich unter Umständen über Monate hinziehen. Monate, in denen der Emittent wegen einer dann aufgeschobenen Ad-hoc-Veröffentlichung den Kapitalmarkt nicht nutzen kann. Er kann jedenfalls keine neuen Aktien platzieren – das wäre bei vorliegender Insiderinformation ein Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot – und gegebenenfalls auch keine Anleihen begeben oder Ziehungen aus Schuldverschreibungsprogrammen vornehmen. Hoffen auf die BaFinLicht im Dunkeln verspricht die anstehende Überarbeitung des Emittentenleitfadens der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Bereich Insiderrecht und Ad-hoc-Publizität. Die Konsultationen dazu sollen, wie man hört, Anfang nächsten Jahres beginnen. Emittenten und alle Kapitalmarktakteure sind aufgefordert, im Rahmen des Konsultationsprozesses konstruktiv darauf hinzuwirken, offene Fragen anzusprechen, und zu versuchen, eine Lösung zu erarbeiten.Man muss sich allerdings davor hüten, hier wirklich die große Lösung zu erwarten. Die BaFin kann nicht den Gesetzestext der MMVO und ausführender Rechtsakte ändern, sondern nur interpretatorisch, also klärend tätig werden.Dennoch bleibt zu hoffen, dass sie sich dabei den, wie man aus anderen Mitgliedstaaten der EU vernehmen kann, deutlich zurückhaltenderen Interpretationen der Regelungen durch die dortigen Aufsichtsbehörden anschließt.—-*) Dr. Lucina Berger und Dr. Wolfgang Groß sind Partner der Kanzlei Hengeler Mueller.