ANSICHTSSACHE

Was vom Homeoffice-Trend nach der Krise bleibt

Börsen-Zeitung, 17.4.2020 Durch die Corona-Pandemie hat sich unsere Arbeitswelt tiefgreifend verändert. Aber wie viel Veränderung bleibt nach der Krise? Das Virus hat Unternehmen weltweit gezwungen, sich mit der Arbeit aus dem Homeoffice zu...

Was vom Homeoffice-Trend nach der Krise bleibt

Durch die Corona-Pandemie hat sich unsere Arbeitswelt tiefgreifend verändert. Aber wie viel Veränderung bleibt nach der Krise? Das Virus hat Unternehmen weltweit gezwungen, sich mit der Arbeit aus dem Homeoffice zu beschäftigen. Bisher eher ein Nischen- oder gar ein Reizthema, funktioniert die Umstellung auf Remote Work weitestgehend reibungslos. Nun ist die Frage, was wir aus diesem Ausnahmezustand mitnehmen. Denn die erlernte Fähigkeit zum Homeoffice stärkt nicht nur die gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit, sie ist auch der Schlüssel für eine Arbeitswelt der Zukunft, die Wohlstand sichert und zugleich unsere Umwelt bewahrt. Dafür werden wir viele Aspekte unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung neu definieren müssen. Die Herausforderung: Die Arbeit der Zukunft wird vernetzter und automatisierter sein – und darf dabei nicht weniger persönlich werden.Die Digitalisierung hat unser privates und berufliches Leben grundlegend verändert. Doch erst wenn wir auch unsere Arbeitswelt im räumlich und zeitlich ungebundenen Arbeiten neu denken, wird es uns gelingen, Wohlstand und Lebensqualität langfristig zu sichern. Laut einer Veröffentlichung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung boten 2019 gut 26 % aller Betriebe ihren Beschäftigten die Möglichkeit, teilweise mobil zu arbeiten. Doch nur 12 % der Beschäftigten nutzten dieses Angebot. Die Zahl ist nicht hoch, bedenkt man, dass mobiles Arbeiten in unserer globalisierten Welt die eigentlich so dringend nötige Flexibilität für grenzübergreifende Projekte bietet. Trotz der weltweiten Vernetzung und der zunehmenden Bedeutung von aufstrebenden Schwellenländern fokussieren wir uns auf einige wenige wirtschaftliche Zentren und eine Anwesenheitskultur, die nicht mehr zu unserer grenzüberschreitenden Arbeitswelt passt. Diese Denkweise hat lange funktioniert, kommt nun aber an ihre Grenzen. Wenn Firmen global agieren, ist es schon rational-ökonomisch keine Lösung, dass Mitarbeiter regelmäßig zu Meetings verreisen. Wir haben die weltweite Arbeitsteilung als einen Schritt erkannt, den globalen Wohlstand zu mehren – in der Konsequenz muss sich nun auch unsere Arbeitswelt weiterentwickeln.Um diese Weiterentwicklung zu ermöglichen, braucht es einen Schulterschluss von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften. Von staatlicher Seite sollten regulatorische Rahmenbedingungen und steuerliche Anreize geschaffen werden, die den Trend zum Homeoffice unterstützen. Auch die Tarifpartner sind gefordert, gemeinschaftlich der Realität von Remote Work mit modernen Vereinbarungen gerecht zu werden. Den Unternehmen obliegt es zudem, ihre Mitarbeiter durch betriebliche Weiterbildungen, flexible Strukturen und Prozesse sowie eine angemessene technische Ausstattung für die neue Arbeitswelt zu rüsten.Das ist eine große Aufgabe. Aber weitermachen wie bisher können wir nicht, das führt uns auch der Klimawandel vor Augen. Wenn 20 % der Erwerbstätigen in Deutschland wöchentlich einen Tag von zuhause arbeiten würden, könnten wir 1,7 Mrd. Kilogramm CO2 pro Jahr einsparen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft. Ein kostenneutraler Schritt, der effektiver und einfacher umzusetzen wäre als viele andere Klimaschutzmaßnahmen. Auch für das in vielen Metropolen vor dem Kollaps stehende Verkehrsnetz bietet Remote-Arbeiten eine Entlastung. Nach einer Auswertung des Bundes pendeln in Deutschland aktuell 19 Millionen Menschen täglich zu ihrer Arbeitsstelle und legen dabei durchschnittlich 17 Kilometer zurück. Das ist ineffizient und in vielen Fällen unnötig. Wenn Arbeitnehmer nicht mehr darauf angewiesen sind, in der Nähe ihrer Arbeitsstelle zu wohnen, kann das mobile Arbeiten auch explodierenden Mieten und Wohnraumknappheit in den Metropolregionen entgegenwirken. Das Spektrum der Mieten in Deutschland liegt nach einem Datensatz von Empirica Regio zwischen 4 und 17 Euro je Quadratmeter. Entfällt die Pendeldistanz zur Arbeitsstelle als essenzielles Kriterium der Wohnungssuche, wird sich diese Differenz angleichen und das Landglück eine Renaissance erleben.Aber: So viele Vorteile sich durch räumlich und zeitlich ungebundenes Arbeiten ergeben, entstehen auch neue Fragen. IT-Geräte und -Anwendungen produzieren weltweit bereits 800 Mill. Tonnen CO2 pro Jahr. Ein Effekt, der durch eine verstärkt digitale Arbeitskultur weiter steigen wird und dem es zu begegnen gilt. Zusätzlich bedarf die Transformation unserer Arbeitswelt des Willens zum nachhaltigen Wandel in der gesamten Gesellschaft. Das Experiment der flächendeckenden Homeoffices kam durch Corona abrupt. Die in vielen Unternehmen mit heißer Nadel gestrickten Behelfslösungen müssen nun bei Datenschutz und -sicherheit auf solide Füße gestellt werden. Auch die öffentliche Infrastruktur, insbesondere in Form einer ausreichenden Internetbandbreite, ist gerade in Deutschland noch nicht überall gewährleistet.Neben diesen technischen Voraussetzungen müssen wir auch als Gesellschaft zukünftig viele Aspekte neu denken. Der Arbeitsschutz ist ein hohes und hart erkämpftes Gut. Wenn wir Arbeit und Freizeit in Zukunft räumlich und zeitlich noch mehr verflechten, ist es wichtig, auch das Bedürfnis nach ungestörten Ruhephasen mitzudenken. Das Büro ist zudem für viele Menschen soziale Anlaufstelle und Rückzugsort. Nicht jeder verfügt im Privatleben über ein stabiles soziales Umfeld, und gerade in den Ballungszentren leben viele Menschen zu beengt, um Wohn- und Arbeitsbereich zu separieren.Die aktuelle Situation gibt uns im Arbeitsleben Einblicke in die mögliche Normalität von morgen. Die Einstellung zu Remote Work hat sich in vielen Unternehmen und bei vielen Unternehmern in kürzester Zeit gewandelt. Das ist vielversprechend. Doch eines dürfen wir nicht vergessen: Nichts ersetzt persönliche Beziehungen und reale Kontakte. Arbeit ist nicht nur das Ableisten der vereinbarten Stunden, sondern auch der Austausch mit den Kollegen und das Gemeinschaftsgefühl im persönlichen Kontakt. Um auch das in einer anderen Arbeitswelt zu erhalten, bin ich zuversichtlich, dass wir einen neuen Weg der Mitte finden. Oliver Steil ist Vorstandsvorsitzender von Teamviewer.——-Von Oliver SteilDie Arbeit der Zukunft wird vernetzter und automatisierter sein – und darf dabei nicht weniger persönlich werden.