Intervie
Im Interview: Andreas Fabritius und Mesut Korkmaz
Neue Klage gegen Shell sorgt für Aufruhr
Experten von Freshfields zum Vorstoß von Client Earth
Warum wird die Klage weltweit so intensiv beachtet?
Fabritius: Die Klage ist in dieser Form wirklich ein Novum. Denn sie wendet sich nicht gegen das Unternehmen, sondern gegen die Mitglieder des Boards of Directors, also gegen die Verwaltungsratsmitglieder von Shell, und will diese persönlich zu Gunsten des Unternehmens in Haftung nehmen. ClientEarth ist sicherlich zunächst eine NGO, will aber diese Klage als Aktionär verfolgen – mit den Rechten, die einem Aktionär zustehen. Und hat bereits weitere Unterstützer im Investorenkreis gefunden. Die Konstellation ist vollkommen neu und wäre vor einigen Jahren undenkbar gewesen.
Wie lautet denn der konkrete Vorwurf?
Korkmaz: ClientEarth nimmt zum Anlass, dass Shell das Pariser Klimaschutzabkommen unterstützt und bis 2050 emissionsfrei werden will. Die Managementstrategie passe aber nicht zu diesem Ziel. Argumentiert wird stark aus Investorensicht: Indem Shell weiterhin auf fossile Energien setze anstatt vermehrt auf erneuerbare Energien, gefährde das Management die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Das Unternehmen binde sich etwa an Investitionen, die wahrscheinlich zunehmend unrentabel und letztlich belasten würden, also an sogenannte ‚Stranded Assets‘. Im Ergebnis habe man versäumt, das Unternehmen angemessen auf die Dekarbonisierung vorzubereiten sowie die Anfälligkeit des Unternehmens für Klimarisiken zu reduzieren und damit die Organpflichten verletzt.
Fabritius: So bereitete die NGO den Boden für eine derivative Haftungsklage, die es als sogenannte Aktionärsklage auch im deutschen Recht schon länger gibt. Damit können Aktionäre im Namen des Unternehmens Schadenersatzansprüche gegen Organmitglieder, also in Deutschland gegen Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats, geltend machen, wenn sie pflichtwidrig handeln und damit dem Unternehmen Schaden zugefügt haben.
Wird die Klage aus Ihrer Sicht Aussicht auf Erfolg haben?
Fabritius: Die Erfahrung mit derivativen Haftungsklagen ist, dass die rechtlichen Hürden für einen Erfolg sehr hoch sind, auch wegen der bestehenden Zulassungsverfahren – sowohl in Großbritannien und umso mehr hier in Deutschland. Aber man wird die Klage von ClientEarth im Auge behalten müssen, und auch in Deutschland haben die Gerichte beim Thema Klimaschutz zuletzt durchaus für Überraschungen gesorgt.
Also doch alles nur heiße Luft?
Korkmaz: Auf keinen Fall. Und auch eine Klageabweisung kann ähnlich lang wie ein Urteil begründet werden und dementsprechend richtungsweisend sein. Unsere Erfahrung mit derivativen Haftungsklagen ist, dass sie zwar wenig Aussicht auf Erfolg haben, aber einen großen Effekt auf alle Betroffenen haben können: Die Vorstände sind abgelenkt, die öffentliche Meinung beeinflusst und mit der Zeit kann auch in der Rechtsprechung eine Veränderung einsetzen.
Was empfehlen Sie Ihren Mandanten?
Korkmaz: Zunächst muss verstanden werden, dass die zunehmend verrechtlichen ESG-Themen sowie Klimabelange nicht statisch sind. Der Vorstand muss daher über die rechtlichen und regulatorischen Änderungen sowie den wissenschaftlichen Stand informiert sein. Diese Kenntnisse sind in die Unternehmensentscheidungen miteinzubeziehen. Zudem ist die Formulierung von Strategiezielen sowie eine Kommunikationsstrategie über die Zielerreichung erforderlich, um zumindest einen Teil der Investoren für den Klimaschutzplan auf seine Seite zu ziehen. Dazu muss man sich allerdings mit den Aktionären zum Thema ESG austauschen. Aus Sicht der NGOs hemmt zum Beispiel die virtuelle Hauptversammlung den Diskurs und nimmt ihnen die Bühne, die sie diese nun woanders suchen.