Markus Pflitsch

60 Mill. Dollar für Quanten-Computing aus der Cloud

Quantencomputer sollen datenintensive Optimierungsprobleme in Bruchteilen einer Sekunde lösen. Die Softwarefirma Terra Quantum entwickelt Quantenalgorithmen für Industriekunden und hat jetzt eine der größten Finanzierungsrunden im Deep-Tech-Sektor abgeschlossen.

60 Mill. Dollar für Quanten-Computing aus der Cloud

Von Stefan Paravicini, Berlin

Das Potenzial von Quantencomputern treibt neben großen Technologiekonzernen wie IBM oder Google auch immer mehr Start-ups und ihre Risikokapitalgeber um. Der Branchendienst Quantum Computing Report listet mehr als 230 private Unternehmen und Start-ups in dem Segment auf. Im vergangenen Jahr sind in sogenannte Quantum-Tech-Firmen nach Einschätzung des Informationsdienstes Pitchbook mehr als 1 Mrd. Dollar Venture Capital geflossen. Nachwuchsunternehmen wie die US-Firmen Rigetti Computing, IonQ oder Psiquantum saugen sich mit Kapital voll und liefern sich ein Rennen in der Erforschung und Entwicklung von Quantenrechnern, die für die Lösung von gewaltigen Optimierungsproblemen künftig nur noch einen Wimpernschlag benötigen werden.

Gründer halten die Mehrheit

„Es geht um zwei Prinzipien der Quantenphysik, die wir seit hundert Jahren kennen: Superposition und Verschränkung – was Einstein auch als spukhafte Fernwirkung bezeichnet hat“, erklärt der Quantenphysiker Markus Pflitsch, der mit der von ihm gegründeten Terra Quantum gerade eine Finanzierungsrunde unter Beteiligung des Bestandsinvestors Lakestar mit einem Volumen von 60 Mill. Dollar abgeschlossen hat, die Erkenntnisse hinter der Begeisterung rund um Quantencomputer. „Die Kombination und Ausnutzung der beiden Prinzipien führt zu einer exponentiellen Rechenleistungszunahme eines Quantencomputers – und die Exponentialfunktion schlägt am Ende alles“, sagt der Firmengründer, der es wissen muss: Pflitsch hat Theoretische Physik und Mathematik an der RWTH Aachen studiert und später am Europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf geforscht. Quantenphysik mit Fokus auf Quantenfeldtheorien waren dort sein Spezialgebiet. An Terra Quantum halten die Gründer auch nach der jüngsten Finanzierungsrunde die Mehrheit.

Das Start-up konzentriert sich auf die Entwicklung von Algorithmen, die auf die Fähigkeiten von Quantenrechnern zugeschnitten sind. In diese Kategorie gehören auch die US-Firmen Zapata Computing und Cambridge Quantum sowie Quantum Machines aus Israel, die in ihrer jüngsten Finanzierungsrunde Anfang September 50 Mill. Dollar eingesammelt hat. Die Bewertung von Terra Quantum in der jetzt abgeschlossenen Series A soll oberhalb von 500 Mill. Dollar liegen, heißt es aus Finanzkreisen. Es ist eine der bislang größten Finanzierungen für ein Deep-Tech-Unternehmen aus Europa überhaupt.

In der ersten Finanzierungsrunde im Frühjahr 2020, als Investoren unter der Führung von Lakestar 10 Mill. Euro investierten, wurde eine Bewertung von 50 Mill. Euro angesetzt. Damals zog unter anderen auch Anders Indset mit, der Autor von „The Quantum Economy“, der im Advisory Board von Terra Quantum sitzt. An der jüngsten Runde haben sich laut Mitteilung auch zwei deutsche Family Offices und ein namhafter Investor aus der Welt der Kryptowährungen beteiligt. Athos, das Family Office der Familie Strüngmann, dürfte eine der gesuchten Adressen sein. Wolfgang Essler, der die Direktbeteiligungen von Athos verwaltet, ist laut Schweizer Handelsregister gerade in den Verwaltungsrat von Terra Quantum eingezogen. „Das Thema Blockchain ist für mich ein Megathema“, sagt Pflitsch zu dem Investor aus dem Kryptoumfeld. „Dieser Spieler hat sich Terra Quantum ausgesucht, um mit uns die bestehenden Blockchainprotokolle quantensicher zu machen.“

Anwendungen für Industrie

Die Anwendungsmöglichkeiten der Software von Terra Quantum sind vielfältig: Simulationen, Optimierungsaufgaben und Machine-Learning-Anwendungen, die besonders daten- und rechenleistungsintensiv sind, würden über kurz oder lang alle mit Quantenalgorithmen statt mit klassischen Algorithmen gelöst, ist Pflitsch überzeugt. „Wir machen das schon heute“, betont der CEO. Denn seit der Gründung 2018 hat das Unternehmen mit Sitz nahe Zürich unter anderem an Quantenalgorithmen für Optimierungsprobleme in der Finanzindustrie, in der Chemie und in der Retailbranche gearbeitet und daraus kommerzialisierbare Produkte entwickelt. Zwar verfügt auch Terra Quantum noch nicht über einen Quantenrechner, mit Hochleistungsrechnern seiner Hardware-Partner kann das Start-up aber einen hybriden Quantenrechner simulieren, der mit den eigenen Algorithmen überzeugende Ergebnisse erzielt.

„Eine Investmentbank kommt zu uns mit einem sehr datenintensiven Optimierungsalgorithmus, den sie nur zwei Mal in der Woche über Nacht laufen lassen kann, am liebsten aber stetig aktualisieren würde“, beschreibt Pflitsch ein erfolgreiches Proof-of-Concept-Projekt. „Dann schauen wir uns diesen Algorithmus an, entwickeln einen Quantenalgorithmus, lassen ihn auf unseren Maschinen laufen und erzielen damit optimierte Ergebnisse.“ Im Fall der Portfolio-Optimierung für eine Investmentbank bedeute das Kosteneinsparungen, weil die Bilanz effizienter genutzt werden könne. „Das ist Hardcore-Quantenphysik, dafür muss man unter anderem die Schrödinger-Gleichung heranziehen“, ergänzt Pflitsch für alle, die es zu Hause selbst probieren wollen.

Neben Kunden aus der Finanzindustrie nutzen auch Unternehmen aus der Automobilbranche, aus der Chemie sowie aus dem Retail- und Logistiksektor die Software von Terra Quantum. Mit den frischen Mitteln soll das Angebot jetzt skaliert werden. Dazu will Pflitsch sein Team aus hochkarätigen Quantenphysikern mit einer schlagkräftigen Verkaufsmannschaft ergänzen. Dass beides wichtig ist, weiß er aus eigener Erfahrung, denn an die Wissenschaftskarriere schloss Pflitsch eine Karriere in der Privatwirtschaft an, die bei Boston Consulting Group startete und über Führungspositionen unter anderem bei Deutscher Bank und LBBW bis zum Kommunikationstechnikkonzern Kathrein SE führte, dessen Restrukturierung er als CFO begleitete.

Neben dem Aufbau von Vertrieb und Marketing sollen mit der jüngsten Finanzierung auch Kapitalinvestitionen gestemmt werden. Ein erstes Rechenzentrum hat das Unternehmen mit der Tochtergesellschaft QMware und dem Joint-Venture-Parnter Novarion gerade in Wien eröffnet. Ein weiteres soll demnächst im süddeutschen Raum folgen. Novarion, die auch Forschungseinrichtungen, Börsen und Finanzdienstleister beliefert, agiert dabei als Spezialist für klassische High-Performance-Computer.

Das Geschäftsmodell von Terra Quantum funktioniert im Kern ähnlich wie ein Software-as-a-Service-Angebot, wobei neben den wiederkehrenden Erlösen für Rechenleistung in der hybriden Quanten-Cloud – Quantum-as-a-Service – mit der Lizenzierung von Quantenalgorithmen noch ein zweiter Umsatzstrom sprudelt. „Der Quantenalgorithmus ist unser Intellectual Property, darauf besitzen wir das Patent“, betont Pflitsch. In Einzelfällen arbeite das Unternehmen auch mit Partnern aus der Industrie zusammen und vermarkte die Quantenalgorithmen gemeinsam, um eine größere Vertriebsstärke zu entwickeln.

Besser als Google

Die Stärke von Terra Quantum liegt in einem Team von Wissenschaftlern, das nach Einschätzung von Pflitsch zu den besten der Branche zählt. „Ein Terra-Quantum-Kopf ist genau so gut wie ein Google-Kopf. In vielen Fällen sind wir besser und haben Bahnbrechendes geleistet. Inhaltlich können wir also absolut mithalten“, sagt Pflitsch selbstbewusst. Erst im Herbst holte er mit Florian Neukart den Chef der Quantencomputer-Abteilung von Volkswagen zu dem Start-up. Neukart sitzt für Terra Quantum als Chief Product Manager im neu eröffneten Büro im Silicon Valley.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.