Kapitaleinsatz

66,6 Mrd. Euro in Aktienrückkäufe gepumpt

Europas Konzerne stecken viel Geld in Aktienrückkäufe: Die Firmen im Euro Stoxx 600 haben 2021 laut Privatbank Quintet 66,6 Mrd. Euro dafür ausgegeben. Neben den Anlegern nützt das den Managern: Verringert sich die Anzahl der Aktien, so verbessern sich automatisch die Bewertungskennziffern.

66,6 Mrd. Euro in Aktienrückkäufe gepumpt

cru Frankfurt

Zu Beginn der Pandemie sind Aktienrückkäufe vorübergehend aus der Mode gekommen, weil die Unternehmen ihr Geld zusammenhalten mussten. Das ändert sich jetzt: Nach Recherchen der Privatbank Quintet, der Muttergesellschaft von Merck Finck, haben die Unternehmen des Euro Stoxx 600 im Jahr 2021 Aktienrückkäufe in Höhe von circa 66,6 Mrd. Euro getätigt oder angekündigt. Zu den größten Aktienrückkäufern gehörten laut stellvertretendem Quintet-Aktienchef Marc Decker der niederländische Chipmaschinenbauer ASML, der Schweizer Lebensmittelriese Nestlé und der Pharmakonzern Novartis. Auch der Stahl-Weltmarktführer ArcelorMittal, Linde, ABB, UBS, Prosus, Novo Nordisk, Adidas und BASF gaben hohe Summen dafür aus.

Global ist die Aktivität bei Aktienrückkäufen laut Privatbank Quintet im Jahr 2021 – vor allem im Gegensatz zum Jahr 2020 – angesprungen und hat fast wieder die Höchststände aus dem Jahr 2018 erreicht. „Für 2022 ist mit einer Fortsetzung dieses Trends zu rechnen, auch wenn sich die Refinanzierungsvoraussetzungen der Unternehmen – vor allem in den USA – aufgrund des ansteigenden Zinsniveaus etwas eintrüben“, erwartet Decker. Aktienrückkäufe lassen sich seiner Ansicht nach am besten unter dem Aspekt der Kapitalallokation betrachten. „Unternehmen schaffen Wert für ihre Aktionäre, indem sie das Kapital für die besten Renditechancen einsetzen.“ Aktienrückkäufe seien effektiv eine Kapitalzuweisung für das bestehende Geschäft.

Von sich selbst überzeugt

Mit anderen Worten: „Anstatt Kapital für neue Möglichkeiten bereitzustellen, sagen Unternehmen, die ihre eigenen Aktien zurückkaufen, dass ihr bestehendes Geschäft höhere Renditen abwirft als die verfügbaren neuen Möglichkeiten.“ Ein gutes Beispiel aus jüngster Zeit sei die Holdinggesellschaft Berkshire Hathaway, die im Jahr 2020 zum ersten Mal in der Geschichte des Konglomerats in größerem Umfang eigene Aktien zurückgekauft hat.  Berkshires CEO, Warren Buffett, war der Ansicht, dass der Rückkauf eigener Aktien aufgrund der seiner Meinung nach hohen Bewertungen höhere Renditen bietet als der Kauf anderer Unternehmen.

Nach Beobachtung von Stuart Dunbar, Partner beim schottischen Investmentriesen Baillie Gifford, haben Aktienrückkaufprogramme in den vergangenen Jahren auf vielen Märkten zugenommen, auch in Europa. „In einigen Fällen, wenn ein Unternehmen reif ist und schwächere Reinvestitionsmöglichkeiten hat, kann die Verwendung überschüssiger Barmittel für Aktienrückkäufe eine sinnvolle Verwendung von Kapital und im Interesse der Aktionäre sein“, räumt Dunbar ein. „Es ist jedoch falsch, daraus zu schließen, dass ein Aktienrückkauf zwangsläufig langfristig positiv ist. Wenn ein Rückkauf durchgeführt wird, um kurzfristige Anlegerwünsche zu erfüllen, kann dies durchaus auf Kosten attraktiver Reinvestitionsmöglichkeiten gehen und die langfristigen Wachstumsaussichten eines Unternehmens untergraben.“

Neben den Anlegern profitieren oft auch die Manager des Unternehmens durch Rückkäufe. „Verringert sich infolge der Aktienrückkäufe die Anzahl der ausstehenden Aktien, so verbessern sich automatisch alle Bewertungskennzahlen, die auf die Anzahl der Aktien umgelegt werden (zum Beispiel der Gewinn je Aktie), ohne dass der eigentliche Gesamtgewinn des Unternehmens gestiegen ist“, sagt Christian Kahler, Chefanlagestratege der DZ Bank. „Dementsprechend sollten Managementvergütungsprogramme, die am Erfolg ‚je Aktie‘ gemessen werden, immer sehr kritisch vom Anleger hinterfragt werden.“ Es gebe Unternehmen, bei denen die Durchführung von Aktienrückkäufen fest in der Unternehmenskultur verankert ist. Dazu gehören Blue Chips wie IBM, die in den vergangenen 25 Jahren knapp 60% ihrer Aktien zurückgekauft haben, Coca-Cola (27%) und American Express (25%).

Apple kann es sich leisten

In einigen seltenen Fällen sind laut Quintet-Aktienmanager Decker Un­ternehmen so stark und erwirtschaften so viel überschüssige Liquidität, dass sie sowohl Kapital für die renditestärksten neuen Möglichkeiten bereitstellen als auch ihre eigenen Aktien zurückkaufen: „Gute Beispiele aus jüngster Zeit sind Apple und Alphabet, die weiterhin in spannende neue Projekte investieren und gleichzeitig große Mengen ihrer Aktien zurückkaufen.“

Nach Einschätzung von Baillie Gifford werden die Renditen am Aktienmarkt und in den Portfolios von einer relativ kleinen Zahl großer Gewinner bestimmt, die das Potenzial haben, ganze Branchen umzukrempeln und die Gesellschaft und die Art und Weise, wie unsere Wirtschaft funktioniert, in den kommenden Jahren zu verändern.

„Diese Unternehmen investieren in der Regel stark in künftiges Wachstum und nutzen den Cash-flow zur Finanzierung von Innovationen, Forschung und Entwicklung, Fertigungs- und Produktionskapazitäten oder zur Erschließung neuer Märkte“, stellt Baillie-Gifford-Partner Dunbar fest. „Anleger, die ihr Geld in wachstumsstarke Unternehmen mit hohen Investitionsausgaben stecken, müssen geduldig sein.“ Insbesondere sollten sie keine Ausschüttungen erwarten oder einfordern, wenn dieses Kapital besser zur Sicherung des künftigen Wachstums eingesetzt werden könnte.

So wie es nach Einschätzung der Privatbank Quintet viele Beispiele für eine schlechte Kapitalallokation für neue Projekte gibt, so gibt es auch viele Beispiele für eine schlechte Kapitalallokation für Aktienrückkäufe. „Im Laufe der Jahre haben viele Unternehmen ihre Aktien zurückgekauft, als die Gewinne und Cash-flows hoch waren, um sich dann zu wünschen, sie hätten es nicht getan, als die Wirtschaft oder der Markt sich abschwächten und sie sich mit geschwächten Bilanzen wiederfanden“, mahnt Aktienstratege Decker.

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