Aktionäre nehmen Rocket in die Mangel

SdK fordert Rücktritt des Aufsichtsrats - Hauptversammlung beschließt Delisting-Rückerwerbsangebot - Ungleichbehandlung moniert

Aktionäre nehmen Rocket in die Mangel

Nach sechs Jahren ist Schluss: Rocket Internet zieht sich von der Börse zurück. Am Donnerstag stimmten die Aktionäre auf einer außerordentlichen Hauptversammlung mit einer Mehrheit von rund 81 % dem dafür notwendigen Rückerwerbsangebot zu. Zuvor hatte Rocket eine Flut von Fragen zu beantworten.hek Frankfurt – Die außenstehenden Aktionäre von Rocket Internet haben auf der außerordentlichen Hauptversammlung am Donnerstag den geplanten Börsenrückzug mit einer Flut von Fragen in Zweifel gezogen. Live-Wortbeiträge waren auf dem Aktionärstreffen, das infolge der Corona-Pandemie virtuell stattfand, nicht möglich. Die Fragen kreisten um Höhe und Struktur des Rückerwerbsangebots, die Begründung für das Delisting, den Ablauf der Entscheidungsfindung, die Rolle des Aufsichtsrats, die künftige Strategie sowie Investments und Bilanzpositionen. 21 Anteilseigner und Aktionärsvertreter hatten vorab 180 Fragen eingereicht, deren Beantwortung mehrere Stunden in Anspruch nahm. Zum Vergleich: Auf der regulären Hauptversammlung im Mai wurden 48 Fragen gestellt. Vertreten waren 74,4 % des Grundkapitals.Das Aktienrückkaufsangebot an die außenstehenden Aktionäre und die Kapitalherabsetzung durch Einziehung der erworbenen Wertpapiere ebnen den Weg für das Delisting. Die Zustimmung der Aktionäre galt als Formalie, da eine einfache Mehrheit genügt. Die Abstimmung ergab eine Zustimmungsquote von 81,1 % bei 18,9 % Nein-Stimmen. CEO und Gründer Oliver Samwer betonte in seiner Rede, dass das Delisting die strategische und unternehmerische Flexibilität der Gesellschaft erhöhe, räumte aber auf Nachfrage auch ein, dass in der Vergangenheit kein Schaden durch die geringere Flexibilität als börsennotierte Gesellschaft entstanden sei. Zur Finanzierung brauche Rocket Internet den öffentlichen Kapitalmarkt nicht mehr. Die erhöhte Verfügbarkeit von Kapital außerhalb der Börse sei eine Entwicklung der jüngeren Vergangenheit. Damit hätten sich wesentliche Parameter in Bezug auf die Börsennotierung nachträglich verändert.Als nicht börsennotiertes Unternehmen könne Rocket Internet bei strategischen Entscheidungen unabhängig von Stimmungen am Kapitalmarkt einen längerfristigen Ansatz verfolgen, sagte Samwer. Das gelte umso mehr, als sich die Start-ups anders als beim Börsengang im Herbst 2014 überwiegend in einem sehr frühen Stadium ihrer Entwicklung befänden. Zudem würden mit dem Börsenrückzug Kosten gespart.Auch der Aufsichtsrat stellte sich hinter den Schritt: “Das Delisting ist in bestem Interesse von Rocket Internet”, sagte der Vorsitzende und frühere ProSiebenSat.1-Manager Marcus Englert.Michael Kunert von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) hingegen forderte den sofortigen Rücktritt des Aufsichtsrats, da er versagt habe, und kritisierte eine “unmoralische Übervorteilung” einzelner Aktionäre. Der Aufsichtsrat vertrete einseitig die Interessen der Großaktionäre. Der Hauptgeschäftsführer der Aktionärsvereinigung DSW Marc Tüngler hatte im Vorfeld sogar von “legalem Betrug” gesprochen. Einen fairen Handel mit Rocket-Internet-Aktien werde es nicht mehr geben. Keine PrämieZahlreiche Fragesteller, darunter die Fondsgesellschaft DWS, machten einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Aktiengesetzes geltend, da der Hauptaktionär Global Founders (Anteil 45,11 %), CEO Samwer (Anteil 4,53 %) und zwei Aufsichtsräte von den Beschlüssen unberührt blieben. Diese Aktionäre hatten sich verpflichtet, das Rückerwerbsangebot nicht anzunehmen. Unter diesen Vorzeichen warf die DWS die Frage auf, ob es nicht eher geboten wäre, allein den betroffenen Minderheitsaktionären hierzu das Stimmrecht zu geben und auf die Ausübung der u. a. durch Global Founders gehaltenen Stimmrechte zu verzichten. Samwer, Vorstandskollege Soheil Mirpour sowie Aufsichtsratschef Englert entgegneten, dass sich das Rückkaufangebot an alle Aktionäre richte. Jedem Anteilseigner stehe es frei, seine Aktien zu veräußern oder am Unternehmen beteiligt zu bleiben. Daher liege keine Ungleichbehandlung vor. Ein Stimmrechtsverbot für bestimmte Aktionäre sei weder zulässig noch geboten.Verschiedene Fragesteller erinnerten daran, dass auf den ordentlichen Hauptversammlungen 2019 und 2020 von einem Börsenrückzug noch keine Rede gewesen sei. Das Angebot über 18,57 Euro enthalte keine Prämie auf den gesetzlichen Mindestpreis und liege deutlich unter dem inneren Wert der Aktie, stellte DSW-Vertreter Christian Röhl klar. Das lasse darauf schließen, dass Rocket Internet die Annahmequote egal sei. Unternehmensvertreter erwiderten, dass der Angebotspreis auf Grundlage der gesetzlichen Vorgaben ermittelt worden sei und dem Sechsmonatsdurchschnittskurs entspreche. Es sei keine Unternehmensbewertung vorgenommen worden. Das Angebot diene nicht dem Kontrollerwerb, es gehe auch nicht darum, Aktionäre aus dem Unternehmen zu drängen.Nach dem Delisting würden die Aktionäre im Rahmen der gesetzlichen Berichtspflichten informiert. Quartalsberichte und eine Investor-Relations-Funktion werde es nicht mehr geben, wohl aber eine Hauptversammlung. Die Transaktionskosten für das Delisting veranschlagt Rocket auf 1,85 Mill. Euro.Der zweite Tagesordnungspunkt, eine Ermächtigung zum Erwerb weiterer eigener Aktien von 10 % des Grundkapitals, fand eine Mehrheit von 81,5 %. Daraufhin beschloss der Vorstand am Donnerstag ein Rückkaufprogramm über bis zu 8,84 % des Grundkapitals, das parallel zum Delisting-Angebot läuft und maximal bis 15. November dauert. Anders als bei der Delisting-Offerte erfolgen die se Käufe über die Börse.